Profs privat: Peter Ulrich

«Genug ist das Beste, was es gibt.»

Herr Ulrich wohnt mit seiner Frau in Thalwil im Kanton Zürich. «Profs privat» fand deshalb nicht bei ihm zuhause statt, sondern in einem der putzigen Häuschen an der Guisanstrasse, welche als Institutsgebäude fungieren. Herr Ulrich hatte uns eingeladen, ins Institut für Wirtschaftsethik zu kommen. Über den verschneiten Weg gelangen wir zur Tür des Hauses, welches in der Winterlandschaft wie ein Ferienchalet erscheint, wären da nicht die langsam abbröckelnde Fassade und die knarrenden Dielenbretter. Drinnen ist es gemütlich warm, ruhig, fast schon familiär. Das Institut für Wirtschaftsethik ist alles andere als gross – dementsprechend klein ist auch das Büro von Prof. Ulrich. Am 29. Mai 1948 in Bern geboren, wuchs Herr Ulrich in Zumikon (ZH) und St. Gallen auf. Die Studienzeit verbrachte er in Fribourg und später in Basel. Heute hat er zwei erwachsene Töchter, 31 und 28 Jahre alt.

Unterwegs: weltweit und mit «Othi»

Herr und Frau Ulrich haben einen kleinen Hund mit grossem Namen («Othello»), mit dem Herr Ulrich einen grossen Teil seiner freien Zeit verbringt: Spaziergänge und Bergwanderungen mit «Othi» (mit oder ohne Frauchen) sowie gelegentliches Schönwetter-Skifahren bezeichnet er als seine Hobbys.

An seine letzten «richtigen» (d. h. «Offline»-)Ferien kann sich Herr Ulrich genau erinnern: «Das war nach dem Frühjahrsemester 2007. Wir waren eine Woche auf einer griechischen Insel.» Am liebsten verbringe er seine Ferien ohnehin im mediterranen Raum, und zwar nicht nur in Form von Badeferien, sondern durchaus auch in Form von Reise- und Kulturferien. Die schönsten Ferien liegen 32 Jahre zurück: Herr Ulrich und seine Frau sind damals während 12 Wochen durch Südamerika getrampt: «Es ist interessant, dass man sich im Alter von 60 Jahren an einzelne Tage und Situationen einer so eindrücklichen Lebenserfahrung noch genau erinnern kann.»

Das «perfekte Wochenende» zeichnet sich für Herrn Ulrich durch Zwanglosigkeit und völlige Zeitsouveränität aus. Seine Zeit würde er dann «vor allem in der Natur» verbringen.

Heim(elig)

In seinem Büro fühlt sich Herr Ulrich aber auch ganz wohl. An seiner Uhr klebt ein rotes Dreieck die Zeit von 10 bis 15 nach ab: die heisse Zone, in der er sich auf den Weg machen muss, wenn er pünktlich zur Vorlesung ankommen möchte. Das Büro bietet einen hübschen Ausblick ins Grüne – bzw. in die verschneite Landschaft: ein Kontrast zum kalten Beton-Alltag des A-Gebäudes. Im Institut herrscht das «Offene-Türe-Prinzip». Zuhause in Thalwil hält sich Herr Ulrich am liebsten in der Wohnküche, rund um den Esstisch herum, auf. Und am Wochenende ist das, was auf den Esstisch kommt, fast immer von ihm gekocht.

Der «methodische Optimist»

Herr Ulrich würde sich nicht als ängstlich beschreiben. Er ist ein Optimist, was man wohl als Professor für Wirtschaftsethik sein muss. Er meint zwar dazu, dass es sich um einen «methodischen Optimismus» handelt, das heisst, er glaubt immer so lange an das Positive, bis das Gegenteil bewiesen ist. Natürlich wurde er dadurch auch oft enttäuscht. Nach 20 Jahren Arbeit in der Wirtschaftsethik hat sich sogar bei einem Optimisten wie ihm eine gewisse Ernüchterung, zum Teil gar Desillusionierung breitgemacht. Er musste erkennen, dass gewisse ideologische Denkweisen sehr starr sind und Gesichtspunkte der Fairness noch oft wenig zählen, z. B. in den Unternehmen. So hat er die Zielrichtung seines «Glaubens an das Gute» erweitert und setzt vermehrt auf die Zivilgesellschaft und die Politik. Trotz all diesem Optimismus gibt auch Herr Ulrich zu, dass er einen durchgreifenden Mentalitäts- und Wertewechsel im Wirtschaftsleben wohl nicht mehr miterleben werde. Darum gibt es wahrscheinlich auch noch sehr lange Arbeit für sein Institut.

Passion über die Pension hinaus

Bevor Herr Ulrich im Sommer in Pension geht, möchte er darum möglichst alles so weit wie möglich zu Ende führen und «eine aufgeräumte Baustelle» zurücklassen. Aber die Wirtschaftsethik wird den passionierten Wirtschaftsethik-Professor Ulrich auch nach seiner Emeritierung nicht verlieren. Herr Ulrich freut sich darauf, in Bereichen arbeiten zu können, die er selber bestimmt und die ihn besonders interessieren. Sein Ziel sei es, nur noch auf die Qualität der Arbeit zu schauen und die Quantität deutlich zu mässigen. So möchte er auch die Qualität seines privaten Lebens verbessern. Herr Ulrich ist zuversichtlich, dass die Lebensqualität im siebten Lebensjahrzehnt hervorragend sein kann, wenn man die Work-Life-Balance einigermassen frei von Denk- und Sachzwängen gestalten kann. Und zwar bevor einen ein Herzinfarkt dazu nötigt.

Seine Zeit möglichst effizient zu nutzen, scheint für Herrn Ulrich schon sein Leben lang ein Thema gewesen zu sein. Biografisch war er immer eher früh dran, ob mit Studium, beruflichen Stationen oder nun mit seiner Pension. Heute meint er jedoch, dass er diese Zielstrebigkeit vielleicht fast zu streng genommen habe. Er bereut es ein wenig, dass er sich zum Beispiel in seiner Studienzeit nicht mehr Zeit gegeben hatte. Auch für nicht zielorientierte, vielleicht sogar «nutzlose» Dinge.

«Genug» – eine Frage des Masses

«Genug ist das Beste, was es gibt» ist deshalb jetzt Herrn Ulrichs neues Lebensmotto. Es geht dabei darum, das richtige Mass zu finden. Er spricht als Beispiel die materielle Seite des Lebens an. Für ihn stand die Einkommensmaximierung nie im Vordergrund. Aber die materielle Seite ist ihm auch nicht völlig egal. Viel wichtiger ist jedoch, ein Mass zu finden, mit dem man zufrieden leben kann. Das Gleiche gelte auch für die Freizeit, für die Noten und viele andere Bereiche des Lebens. Wahrscheinlich ist das Motto sogar eine Form seiner persönlichen Utopie für eine bessere Welt. Was wäre besser, als wenn jeder Mensch von allem so viel hätte, wie er braucht? Natürlich stellt sich dann immer die Frage, was genau «genug» ist bzw. wie man «genug» definiert. Das ist, oberhalb eines menschenwürdigen Minimums, eine Frage der Bildung und der Lebenskunst.

Erwartungen an die Studierenden

Vor dem Hintergrund der momentanen Finanzkrise stellt sich natürlich auch die Frage, was sich Herr Ulrich von der momentanen (Studenten-)HSG-Generation für die Zukunft wünscht. Herr Ulrich meint hierzu, die Studierenden sollen so gut als möglich verhindern, im Studium zu so genannten «Fachidioten» zu werden: «Eine Prägung durch das Studium findet überraschend schnell statt.» Die Studierenden sollen sich der Grenzen der Reichweite und der sinnvollen Anwendung des Erlernten bewusst sein. Sie sollen sich immer wieder vor Augen führen, dass «sie sich im Studium einen bestimmten Filter angeeignet haben.» Um es mit den Worten von Friedrich August von Hayek auszudrücken: «Wer nur Ökonom ist, kann kein guter Ökonom sein.» Dieses Zitat ist nach Herrn Ulrichs Meinung auf alle Disziplinen anwendbar. Die Forderung beinhaltet einerseits ein selbstkritisches Reflektieren und andererseits eine Bereitschaft zur Interdisziplinarität: «Das Studium soll nicht nur (Aus-)Bildung sein, sondern darüber hinaus auch eine Horizonterweiterung», findet Herr Ulrich.

So kommen wir zum Schluss unseres Gesprächs auf allgemeine Tipps an Studierende. Prof. Ulrich findet: «Viele Studierende studieren instrumentell», d. h. um der Karriere statt der eigentlichen Inhalte des Studiums willen. Herr Ulrich würde sich diesbezüglich ein Umdenken auf Seiten der Studierenden wünschen, hin zum Gedanken, das Studium für die eigene persönliche Entwicklung zu nutzen. Sich auch mit «den grossen Fragen des Lebens» auseinandersetzen, vertiefte Fragen stellen – auch wenn diese auf den ersten Blick nicht «nützlich» sind – gehört für Herrn Ulrich in die Studienzeit, denn «solche Chancen, sich frei zu entwickeln, gibt’s im Leben nie wieder!» Wer eine Führungsposition anstrebe, der müsse eine professionelle Haltung entwickeln. Dazu gehöre nicht nur das «professionelle Know-how», sondern ebenso ein «professionelles Ethos». Ersteres ist mehr oder weniger selbsterklärend, Letzteres soll kurz erläutert werden: Das «professionelle Ethos» beinhaltet ein Selbstverständnis in einem qualifizierten Beruf, das sich untrennbar an Verantwortung bindet, und zwar im Dienste des Allgemeinwohls, nicht nur zahlender Partikulärinteressen: «Als guter Manager wird in Zukunft nur gelten, wer seine Unternehmung nachhaltig erfolgreich führen kann und dabei den legitimen, aber zum Teil konfligierenden Ansprüchen aller Stakeholder (Anspruchsgruppen) in fairer Ausgewogenheit gerecht wird!»


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