Lebst du noch oder putzt du schon?

Das WG-Leben ist spätestens kurz vor dem Schulabschluss eine Art globaler Jugendtraum. Zu diesem Zeitpunkt finden sich viele Jungs und Mädchen mitten „Aschiss vo mim Läbe“, sitzen sie denn auch unnötig in der Schule herum („Sie haben die Grenze von 10 Absenzeneinheiten überschritten“) , sehen sich von ihren Eltern entmündigt („Was macht diese Vodka-Flasche in deinem Zimmer?!“) und finden allgemein in ihrem Alltag nicht die Freiheit, die ihnen zusteht. Im Sinne der französischen Revolution planen sie in ihren Gedanken den Ausbruch ins richtige Leben unter dem Motto „Nichts wie weg!“. Die Wohngemeinschaft verkörpert zu diesem Zeitpunkt all das, was jetzt nicht ist: ein Kühlschrank voller Bier, laute Musik, keine Regeln, keine Pflichten.

Mit der richtigen iPod-Playlist (Sido- Mein Block, MIMS- This is why I’m hot, Larry F- Ufojugend, etc.) heisst es dann zehn Maturprüfungen und eine Wohnungssuche später 1789 zum zweiten, wobei „Liberté, Egalité, Fraternité“ durch „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ abgelöst wurde. Nachdem die Eltern geholfen haben, das Malm-Bett, das Billy-Regal und die Nyvoll-Kommode aufzustellen, schickt man sie schnellstmöglichst mit dem Karton wieder nach Hause und kann sie dabei knapp noch durch die Türe drücken, während sie letzte Tipps für den Haushalt und das Wohnen hineinschreien. Zufrieden nimmt man das erste Bier aus dem Kühlschrank, dreht den Swag auf und legt sich auf die Couch. This life is a party, I ain’t never growing up.

In den ersten Tagen fühlt man das wahre Good Life. Morgens schnell was essen, in die Vorlesung rennen, dann ins Bodypump, später nach Hause, um die Newsfeed im Facebook abzuchecken, und schon geht die Party wieder los- ganz im Sinne des Tagesablaufs von Asher Roth.

Aber wie Beni Thurnheer schon nach manch einem Schweizer Nati-Spiel von den TVs der enttäuschten Fans heraus seufzte, so scheint der Traum ausgeträumt allzu oft auch für persönliche Hoffnungen und Vorstellungen zu gelten. Last Friday Night  per se lässt nämlich nicht viele Erinnerungen vom Abend selber übrig, der Gestank von Bier in der Wohnung, der kaputte Tisch, das ungespülte Geschirr, das sich auf mysteriöse Weise seit Wochen in der Küche anhäuft, aber schon. Fast schon apokalyptisch erscheint nun die einst so chillige Wohnung. Beruhigt kann man sich doch noch ins eigene Zimmer zurückziehen, wie eine Oase in einer Wüste der Verheerung.

Der Heureka-Effekt lässt nicht lange auf sich warten: „Toll Ein Anderer Machts“ als Ausführung von Team geht eben nur so lange gut, als dass man kein persönliches Interesse am gewissen Etwas (in diesem Fall die Wohnung) hat. Ganz nach dem Beispiel von vielen Ländern, die sich mit ähnlichen Schicksalen und Super-GAUs konfrontiert sahen, setzen sich die WG-Mitglieder in einer ausserordentlichen Sitzung zusammen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Die Diskussion entwickelt sich immer langsamer, die Stimmung ist betrübt. Ein Outsourcing der Wertschöpfung an eine Expertengesellschaft im Bereich „Chemical Cleaning“ ist schliesslich nicht finanzierbar, und so bleibt am Ende als letzter Ausweg die Opferung ihrerselbst. Der Termin ist gesetzt, und es bleibt noch kurz Zeit, ein letztes Mal an die frische Luft zu gehen, die Freunde zu sehen, die Welt zu geniessen. Dann ist es so weit: Mit Tränen in den Augen, Handschuhen, Masken, Cillit Bang und Deo marschiert die Truppe in Richtung Küche.

17:23- Unter dem Kommando von Mr. Proper kann die Schlacht beginnen.

00:07- Es ist still, zwei Gestalten liegen erschöpft im Dunkeln. Die schwache, müde Stimme eines tapferen Kriegers geht vom einen zum anderen: „We did it.“

Nur zwei Wochen später ist der Vorfall schon wieder in Vergessenheit geraten, bis einer der Veterane nach einer BWL-Vorlesung die Küche betritt, nur um zu merken, dass die mittlerweile seit fünf Tagen gefüllte Spülmaschine nicht funktioniert. Wenig später klingelt weit weg vom Schlachtfeld im Elternhaus das Telefon: „Mami, Papi, ich vermiss euch.“

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