Ein Votum für das Votum

Es ist eine Schande, dass Papandreou mit seinem mutigen Vorstoss, die Griechen über die europäischen Rettungspakete und die massiven Sparmassnahmen sein Volk betreffend abstimmen zu lassen, abgeschmettert wurde. So hart wurde er nicht nur von Staatschefs und Leitmedien anderer Länder angegangen, dass er nicht nur seinen Vorschlag zurückzog, sondern auch so, als hätte es ihn nie gegeben. Dennoch gibt es – zumindest aus idealistischer Sicht- gute Gründe, eine Volksabstimmung durchzuführen:

1. Wenn das System der Finanzmärkte und die Demokratie in einen Konflikt geraten sollten, sollte nicht die Demokratie geändert werden. Ein Wert, der in den verschiedensten Ländern Jahrhunderte überdauert hat, der bei der französischen Revolution viele Tote gefordert hat, beim Hambacher Fest gegen Repression verteidigt wurde und den die Schweiz als den Kerngedanken ihres Wesens schlechthin ansieht – der soll aufgegeben werden, weil Finanzmärkte, die es vor gerade einmal fünfzig Jahren noch nicht einmal gegeben hat, gerade Stress machen? Nicht mit uns. If banks are too big to fail, are people too small to matter?

2. Wenn schon Unsicherheit, dann wenigstens demokratisch legitimiert. Jeder Assessi, der letztes Jahr bei Philip Hildebrandts Gastvortrag im Audimax anwesend war, erinnert sich an eine einprägsame Szene: Während er die verrücktesten Themen ausführlich anschneidet, seine Krisenpolitik verteidigt und Aussagen wie „wir lügen, wenn es nötig ist“ trifft, hat er keine Antwort auf die drängensten Fragen: Wie findet Europa aus der Krise heraus? Neben ihm geht das anderen Top-Ökonomen der HSG ganz genauso. Weder Monika Bütler noch Martin Kolmar wissen, was der Weg aus der Krise sein sollte. Aber wenn nicht einmal die Speerspitze der Ökonomen den Königsweg kennt – wie sollen ihn dann die Volksvertreter wissen? Egal wer redet: Es kann richtig sein – muss es aber nicht. In einer solchen Situation ist es unverantwortlich, so zu tun als ob irgendjemand – und sei es der französische Präsident, die deutsche Kanzlerin oder ein EU-Kommisar – den Weg aus der Krise wissen. Aber wenn wir schon wissen, dass wir sehr wahrscheinlich irren – warum lassen wir nicht das Volk entscheiden? Die Menschen müssen die Folgen tragen, die Menschen sollen über ihr Schicksal entscheiden dürfen – und wenn sie falsch liegen, haben sie wenigstens ihr Schicksal selbst gewählt

3. Papandreou ist gewählt von den Griechen, nicht vom EU-Ministerrat. Dieser Punkt ist so kurz wie einleuchtend: Wieso sollte sich ein Regierungschef eines Landes stärker dem Willen seiner Amtskollegen verpflichtet fühlen, als denjenigen, die er vertritt und denen er seine Macht verdankt? Papandreou ist von den Griechen gewählt und sollte auf sein Volk hören, nicht auf die Meinungen anderer Regierungschefs.

4. Neid ist keine Lösung. Überraschend war in vielen ausgerechnet linksorientierten Medien wie der Süddeutschen Zeitung in Deutschland eine Verurteilung Papandreous zu lesen. Wie kann das sein? Niemand in Deutschland ruft stärker nach demokratischer Legitimation in der Schuldenkrise als die Medien. Aber jetzt, wo sie kommt, gibt es nichts Schlimmeres. Es stellt sich die Frage: Sind das tote Fische, die mit dem Strom schwimmen – oder gönnen sie den Griechen nicht, was sie selbst liebend gerne hätten?

5. Ohne Verständnis kein Dialog, ohne Dialog keine Zukunft. Man stelle sich vor, Deutschland oder die Schweiz hätte eine 40%ige Jugendarbeitslosigkeit. Man stelle sich vor, die sozialen Ungleichheiten wären so himmelschreiend, dass die junge Elite scharenweise ins Ausland flieht. Man stelle sich vor, wir hätten griechische Verhältnisse – würden wir die Massnahmen, die andere Länder uns aufzwingen, einfach so akzeptieren? Man denke an Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg und man denke an Adenauers Widerstand gegen den Plan, Deutschland als Agrarstaat auszugestalten. Diese glücklicherweise vererbte deutsche Dickköpfigkeit zieht sich bis heute durch – und aus diesem Grund würde niemand aus einem der unseren Wohlfahrtsstaaten es akzeptieren, wenn im Ausland so ungerechtfertigt über uns geurteilt würde. Noch dazu mit derart weitreichenden Folgen für unsere Zukunft.

Die tatsächlichen Beweggründe Papandreous für das Votum sind ungewiss. Sicher ist jedoch, dass der Vorstoss mehr Gnade verdient hätte.

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2 Comments

  • Piit

    Ein Volksentscheid wäre (überspitzt) so, also würde man abends in eine Bar gehen, sich mit seinen Kumpels ausgiebig betrinkt, und am Ende dürfen alle Gäste selbst darüber abstimmen, ob sie die Rechnung zahlen müssen oder nicht.
    Ist zwar etwas polemisch, aber das ist nicht gemeint mit direkter Demokratie und wird ihr nicht gerecht!

  • Tristan

    Lieber Tobias
    Du übersiehst zwei Dinge. Das eine Faktum hättest du dem verlinkten Artikel in der Süddeutschen direkt entnehmen können, das zweite ist ein kleines Detail grosser Bedeutung.
    Bei letzterem spreche ich darüber, dass Kritik an Papandreous Vorstoss nicht nur eine Frage des Inhalts, sondern auch eine Frage des Vorgehens war. Die ganze EU ist seit Monaten in Aufruhr, weil etwas schief läuft, an dem Griechenland, sagen wir mal, mehr beteiligt ist, als andere EU-Staaten. Kaum ein Staat ist unbeteiligt, aber Griechenland ist nunmal momentan Hauptakteur. Wie kann es sein, dass man so lange diskutiert und debattiert, hin und her und her und hin – viel läuft schief und man merkt, dass unsere beste Freundin die Wirtschaft immer nervöser wird – mit ihr die Regierungschefs von Frankreich und Deutschland – und als am Höhepunkt dieses Marathons eine Einigung erzielt wird, die wieder alle betrifft und der auch alle Regierungen (nicht alle Völker!) zugestimmt haben, der Herr Papandreou her geht und zum ersten Mal auf den Gedanken einer Volksabstimmung kommt. Was soll denn das? Entweder ihm ist der Gedanke erst nach alle dem plötzlich gekommen – dann hat er eine sehr langsame Leitung – oder er hat bewusst lange gewartet und wollte alle mit dieser tollen Idee überraschen – dann ist ihm die Überraschung ja gelungen.
    Was ich sagen will, ist, dass man so nicht mit Verhandlungspartnern umgeht. Und dass man deshalb bewusst und zurecht erbost war, wenn er nach Wochen der gemeinsamen Beratung plötzlich einen Alleingang macht.
    Das alles, weil, und ich komme zum anderen Faktum, das ich bereits kurz angeschnitten habe: Wir uns wohl alle einig sind, dass eine Entscheidung momentan, wie auch immer geartet, schnell gefällt werden muss. Und Demokratie ist super und toll und ich kann abstimmen lassen, ob noch mehr Minarette gebaut werden, oder nicht, weil ob in der Zeit der Abstimmungsvorbereitungen die Zahl der Minarette sich verdreifacht ist im Prinzip doch wurscht. Ob aber alle Eurostaaten während einer solchen Zeit in der Luft hängen, hat weit reichende Konsequenzen, die über Griechenland hinaus gehen. Aus dem gleichen Grund hat bei mir auch noch keiner geklingelt, um mich zu fragen, ob ich’s gut finde, Milliarden in Rettungsschirme zu stecken und fadenscheinige Risikohebel drauf zu packen. Einfach weil’s schnell gehen musste.

    Ein Volk darf wegen mir ja innerhalb des Lands abstimmen bis zum Gehtnichtmehr. Das Ergebnis sind schwache Volksvertreter, die kein Schwein interessiert und volksverklärendes Marketing, das die Abstimmungen manipuliert. Natürlich nebst einem Anteil Wahlberechtigter, die zu faul waren, sich zu informieren und trotzdem wählen gehen. Zum Glück kenne ich ja kein Land, wo das so läuft. Denn Volksabstimmungen haben auch eine Menge positiver Effekte. Und Papandreou könnte ja mal auf die Idee kommen, seine nationalen Reformen abstimmen zu lassen. Dann hätte man aber schneller die Elite beschnitten, als die gucken könnte und vielleicht auch endlich die Leute von der Strasse. Die demonstrieren nämlich hauptsächlich gegen ihre Regierung und deren Pläne. Darüber abzustimmen ist er aber wohl zu feige. Der Dialog muss lokal geführt werden, wenn es um lokale Probleme geht und international, wenn es um internationale Probleme geht.

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