Tokyo in 10 Tagen Teil 2

Hachiko-Bus

4. Januar

Am Mittwoch besuchten wir Shibuya. Dieser Stadtteil Tokyos war früher DAS Vergnügungsquartier der Stadt; heute hat es Konkurrenz durch Shinjuku (als etwas ‘reifere’ Version) und Roppongi (Nachtleben) erhalten. Aber gerade für die jüngere Generation ist Shibuya noch immer ein aufregender Spielplatz. Die grossen Strassen werden von schrillen Leuchtreklamen in ein tanzendes Farbenspiel getaucht, von Lautsprecherfahrzeugen mit Werbebotschaften beschallt, und zu jeder Tageszeit ausser vielleicht vor 11:00 morgens drängeln sich tausende Menschen durch das verwinkelte Gassennetz. In Shibuya geht’s auch oft mal steil rauf und runter, was dem Stadtbild noch einen weiteren Hauch von Chaos verleiht. Nebst teuren Markengeschäften wie OIOI Marui und Parco, gibt es auch kleinere individuelle Labels die hier ihre Ware präsentieren. Shibuya ist nicht umsonst einer der Hotspots für Fashionistas, eine Art Quelle für neue Trends in  Kultur, Mode und Style. Das sieht man auch an den, für europäischen Geschmack bizarr gekleideten jungen Japanern, die hier in höherer Konzentration vorkommen als sonstwo. Ausserdem gibt es eine Unmenge von Cafés, Bars und Restaurants und ich übertreibe nicht wenn ich behaupte, dass hier für jeden Geschmack etwas zu finden ist. Natürlich kann man auch in Shibuya um die falsche Ecke biegen, und befindet sich dann entweder in einer ziemlich heruntergekommenen Gasse, wo nichts mehr von der Schillerwelt der Einkaufsstrassen übrig ist, oder aber auf dem Love Hotel Hill, wo sich die berühmt-berüchtigten Liebeshotels aneinanderreihen. Wir bummelten gemütlich einige Stunden durch dieses Stadtchamäleon, und wünschten uns oft mindestens ein zusätzliches Augenpaar, um ja nichts zu verpassen. Natürlich statteten wir auch der Hachiko-Statue den obligaten Besuch ab. Hachiko war ein Hund, der jeden Tag am Bahnhof von Shibuya die Rückkehr seines Herrchens von der Arbeit erwartete, und diesen Brauch treu sogar 7 Jahre lang nach dem Tod des Herrchens fortsetzte, bis er selber starb. Zum Gedenken an diese unerschütterliche Treue haben die Japaner dem Hund eine Statue gleich neben dem Bahnhof gewidmet.

Nach dem Besuch dieser Wunderwelt ging es weiter nach Roppongi, wo wir uns mit Jessica zu einem Museumsbesuch treffen wollten. Für die Kuniyoshi Ausstellung wurde zu der Zeit in ganz Tokyo heftig geworben, so dass auch unsere Neugier geweckt worden war. Kuniyoshi war ein Künstler der Edo-Zeit, der in seinem Leben eine Unmenge japanischer Farbholzschnitte geschaffen hat. Das heisst, er hat die Tuschezeichnung geliefert, während Holzschnitter und Drucker die Holzschnitte anfertigten. Ansonsten wäre eine solche Fülle  von Werken wohl kaum möglich gewesen. Seine Holzschnitte sind auf der ganzen Welt bekannt, und ihr habt bestimmt auch schon das eine oder andere Abbild davon gesehen.

ein Wal von Kuniyoshi

Der Rundgang dauerte 1,5 Stunden, obwohl wir jedes Bild nur einige Sekunden betrachten konnten – es waren nämlich so viele Besucher in der Ausstellung, dass man dicht an dicht mit anderen Kulturinteressierten stand, und sich in einer Schlange fortbewegte. Da konnte man schlecht minutenlang alles aufhalten. Da ich auch schon in anderen Museen war, die (wie bei uns) nur spärlich besucht waren (was viel angenehmer ist), hat mich dieser Andrang sehr überrascht, und den Besuch natürlich gleich aufgewertet („das muss ja eine ausserordentlich gute Ausstellung sein!“). Es war auch wirklich eindrücklich, vor allem der Gedanke, dass all die feinen Details einmal aus Holz geschnitzt worden waren – kaum zu glauben!

Die Ausstellung war übrigens im Mori Museum, einem Teil des riesigen Roppongi Hills Turmes, in dessen Vorhof auch die Maman-Spinne steht:

Maman-Spinne

Und noch die Aussicht von Roppongi nach Osten zum Tokyo Tower:

Tokyo Tower in der Ferne

Und das Roppongi Hills in der Dunkelheit, als wir aus der Ausstellung kamen:

der Roppongi Hills Komplex

Nach dem Museumsbesuch waren wir an diesem Abend nicht nur körperlich, sondern auch geistig erschöpft. Jessica, die Japanologie studiert, hatte uns nämlich sehr viel über die Inhalte der Bilder erzählen können (z.B. geht es oft um Dämonen und Geister, und dazu gibt es viele Geschichten). Es ist wirklich bewundernswert, wieviel sie über Japan weiss, und ich bin ihr sehr dankbar, dass sie stets mit grosser Geduld jede Frage beantwortet, auch wenn sie ihr noch so banal erscheinen mag.

5. Januar

Über diesen Tag werde ich hier nicht allzu viel berichten, das war nämlich unser Mädels-Shopping-Tag. Das heisst Jessica, Alessia und ich zogen durch Harajuku und dann weiter nach Ikebukuro, um uns die neusten japanischen Trends anzuschauen, und natürlich das eine oder andere auch zu erstehen, wobei natürlich stehts die Gepäcklimite drohend am Rückreisehorizont lauert. Im Fall von Alessia kommt da noch die Einfuhrsteuer hinzu; mir als Langzeitaufenthalter bleibt das hoffentlich erspart. Etwas erwähnenswertes gibt es dennoch, und zwar bezüglich der ‘Verkaufskultur’ in Japan. Die ist nämlich ganz anders als in Europa. Während man bei uns Wert auf eine angenehm ruhige, entspannte Atmosphäre, oder je nach Stil auf passende Musik legt, wird in Japan lauthals um Kunden geworben. In Harajuku, in der Takeshita Dôri, steht vor fast jedem Geschäft ein Verkäufer auf einem Podest und brüllt die aktuellen Aktionen in die Menge. In den Läden drinnen schreien die Verkäuferinnen mit ihren nervtötend hohen Stimmen ihr ewiges „Bitte schauen Sie sich um“. Besonders an Neujahr, mit dem Start des Januar-Sale, ist der Lärmpegel oft fast unerträglich. Als wir nach Ikebukuro weiterzogen und dort in einem Einkaufszentrum durch die Läden spazierten, sahen wir sogar Verkäuferinnen mit Megaphonen. Da wurde dann plötzlich ein ‘Time-Sale’ (also ein begrenzter Rabatt, z.B. ab jetzt für 30 Minuten alles nochmal 10% reduziert) angekündigt, und der entsprechende Laden gestürmt.

6. Januar

Nach all der Aufregung des vorherigen Tages freuten wir uns nun umso mehr auf etwas Natur und Langsamkeit. Wir hatten nämlich beschlossen, ein, zwei japanische Gärten zu besuchen. Der erste stand heute auf dem Programm: der Koishikawa-Korakuen Garten, im Norden gelegen. Es war auch mein erster Garten-Besuch, irgendwie ist mir die Idee vorher nicht gekommen. Für knapp 3.- Eintritt spazierten wir etwa 2 Stunden durch die herrliche Anlage und genossen die verschiedenen Grün- und Blautöne von Pflanzen, Wasser und Himmel, denn nach wie vor war das Wetter prächtig. Ich glaube, diesem Ausflug werden Bilder eher gerecht als Worte:

Teich im Garten, mit dem Tokyo Dome im Hintergrund
Aussicht im Park
eine schöne rote Brücke

7. Januar

Der gestrige Garten hatte es uns so angetan, dass wir am nächsten Tag gleich noch einen aufs Programm setzten. Der Hama-Rikyû Garten ist im Südosten gelegen, bei Shimbashi. Nachdem wir wiederum 3.- Eintritt bezahlt hatten, bekamen wir je ein Paar Kopfhörer und ein Umhängegerät, das uns den Weg durch den Garten zeigte und uns derweil mit Informationen zu Geschichten aus der Edo-Zeit unterhielt. Es war äusserst angenehm, denn überall im Garten waren versteckt Funkstationen angebracht, die, wenn man in ihre Nähe kam, die nächste Information auslösten. In diesem Garten hatte es auch drei Teehäuser, die, mit viel Holz innen und aussen verkleidet, herrlich ins Bild passten. So ein Spaziergang ist die reinste Erholung für Gemüt und Auge!

Hama-Rikyû Park
und nochmal

8. Januar

Sonntag, Ruhetag? Nicht für Touristen in Tokyo! Heute waren endlich wieder einmal ein paar Attraktionen angesagt. Zuerst ging es nach Norden ins Ueno-Distrikt, bekannt für seinen Park und Zoo. Im Park zeigte ich meinen Geschwistern die drei nahegelegenen Schreinanlagen – der Bogengang gefiel ihnen besonders gut:

ein kleiner Torii-Bogengang im Ueno-Park

Danach besuchten wir den Zoo, und dieses Mal waren die Pandas wach und aktiv. Das ist einerseits super, weil interessant, andererseits hat das Ganze auch einen Nachteil: Einen Runden drehenden Panda wollen einfach ALLE sehen, und es wird dementsprechend schwieriger, einen Blick zu erhaschen, von Fotos ganz zu schweigen.

Panda im Ueno Zoo

Auf dem Weg zurück ins Zentrum von Tokyo, nach Iidabashi zum Yasukuni Schrein, zwang ich meine Geschwister noch dazu, japanische Süssigkeiten zu probieren: Dango und Daifuku, beides unter anderem aus Mochi (Reiskuchen, wobei Kuchen meiner Meinung nach eine völlig falsche Vorstellung vermittelt. Mochi ist eher eine zähe, klebrige Masse, die sich beim Essen noch ausdehnt). Leider fanden die Leckereien bei Raphael und Alessia weniger Anklang als erwartet, wobei sich meine Erwartung aus der Tatsache ergab, dass ich diese Speisen liebe. Je näher mein Abreisetag kommt, desto mehr steigt mein Konsum typisch japanischer Esswaren, und mir graut jetzt schon vor dem Tag wo mir mein Vorrat, den ich auf jeden Fall irgendwie in die Schweiz importieren möchte, zu Ende geht… Aber genug der Süsse und zurück zu Ernsthafterem. Der Yasukuni Schrein ist ja, wie ich wahrscheinlich auch schon mal erwähnt habe, den Kriegstoten gewidmet, und daher besonders im Ausland sehr umstritten, dafür bei Nationalisten und Patrioten umso beliebter. Neben dem Schrein befindet sich auch ein Kriegsmuseum, das wir zusammen besuchten. Darin befindet sich eine riesige Ausstellung über die Kriegsgeschichte Japans, mit unzähligen Kriegsartefakten, die von Samurairüstungen und -schwertern über die ersten Gewehre bis zu Panzer des 1. und Flugzeuge des 2. Weltkriegs reichen. Leider waren Fotos verboten, und nur ein Bruchteil der ausführlichen Erklärungstexte in Englisch. Ausserdem hatten wir etwas spät angefangen, so dass wir nur eineinhalb Stunden Zeit hatten – wir hätten gerne das Doppelte oder Dreifache investiert, so interessant war das Ganze.

japanisches Kriegsflugzeug

Hiermit endet Teil 2 der Rückschau auf unser Tokyo-Sightseeing-Programm. Der nächste Teil wird hauptsächlich unserem Ausflug nach Nikkô ausserhalb von Tokyo gewidmet sein, abgerundet mit dem Schluss unserer gemeinsamen Zeit.

______________________________________________

MEHR DAZU


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*