Assanges neuer Job: Bad Boys interviewen

Was macht eigentlich ein Mann, der unter Hausarrest steht und als Chefredakteur von Wikileaks quasi gelähmt ist? Er durchläuft eine berufliche Neuorientierung – der Australier geht unter die Journalisten: Vor zwei Tagen wurde die erste Ausgabe von Julian Assanges neuer Fernsehshow “The World Tomorrow” auf dem Sender “Russia Today” ausgestrahlt. Darin interviewt Assange jewals einen Gesprächspartner, der seiner Meinung nach die Zukunft der Erde massgeblich mitgestalten und beeinfluss wird. “What they would never say on mainstream TV” – damit wirbt Russia Today für seinen Newcomer. Auf der Wunschliste Assanges für die Sendung stehen Dissidenten, frühere Wikileaks-Informanten oder (noch geheime) Personen, deren Interviews noch nie in englischer Sprache veröffentlicht wurden.

Assanges neuer Arbeitgeber ist “Russia Today”, ein dem Kreml nahe stehender Fernsehsender. Er hätte auch andere Angebote gehabt und sich aufgrund ihrer hohen Reichweite in den USA für die Russen entschieden: Nach BBC News ist Russia Today der dort am zweit häufigsten gesehene ausländische Kanal. Mit diesem Coup gelingt es Assange, sämtliche westliche Medien zu verspotten und sich selbst wieder ins Rampenlicht zu rücken. Es wird sicher lohnen, die weiteren Episoden zu verfolgen und zu sehen, wer sich dann gegenüber von Assanges wiederfinden wird.

Review der ersten Episode – Hassan Nasrallah

Julian Assange’s The World Tomorrow: Hassan Nasrallah (E1)

In der ersten Episode spricht der Wikileaks-Gründer mit Said Hassan Nasrallah, Chef der libanesischen Hezbollah. Das ist insofern ein guter Einstieg, als es der erste Auftritt Nasrallahs in nicht-arabischen Medien seit 2006 ist. Das Gespräch dauert etwa eine halbe Stunde und viel Neues kommt dabei erst einmal nicht zutage: Assange beginnt mit der Frage, wie der Hezbollah-Chef die Zukunft des Nahostkonflikts sieht (Überraschung: Nasrallah mag die Israelis noch immer nicht!) und bietet damit eine Bühne für Standardrhetorik. Besonders interessant wird es um Minute 9, als das Gespräch auf die syrische Opposition zu sprechen kommt. Hezbollah, die “Partei Gottes”, die sich sonst als Agentin Unterdrückter versteht und den Arabischen Frühling im Jemen, Ägypten und Tunesien unterstützte, hält noch immer zu Assad. Nasrallah begründet diese Haltung damit, dass sich der syrische Präsident im Widerstand der Palästinenser sehr verdient gemacht habe. Ein Bürgerkrieg in Syrien sei das Produkt israelischer und amerikanischer Interessen. Die Hezbollah habe sogar versucht, mit den syrischen Oppositionellen zu sprechen und sie an einen Tisch mit der Regierung zu bringen – was Erstere allerdings abgelehnt hätten.

Julian Assange schlägt sich ganz gut in seiner neuen Rolle: Die Fragen sind direkt und aktuell, er bringt Nasrallah des Öfteren zum Schmunzeln. Es gelingt dem Interviewer aber nicht immer, eine Antwort auf seine Fragen zu bekommen. Auf der Skala der Bad Boy-Interviewer liegt er für mich deshalb vor Claus Kleber, aber noch weit hinter einer Barbara Walters. Mal schauen, welche Gäste und Antworten die nächsten Interviews mit sich bringen.

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2 Comments

  • Jochen

    Die “Videokonferenz” des Herrn Assange hatte meiner Meinung nach nicht die gleiche Wirkung wie das epische Interview des Claus Klebers, der wie immer eine perfekte Frisur vorzuweisen hatte, aber dafür überzeugte es durch Authentizität und Souveränität. Dies ist eine durchaus gute Abwechslung für den unter Hausarrest stehenden Assange, der sich mit seiner neuen Fernsehshow wieder schön in Szene setzen kann.

  • Eric Saegesser

    Wie nahe steht Russia Today dem Kreml?

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