Gehorche! – 3096 Tage

Man kann dem Kinobesucher wohl eine gewisse voyeuristische Veranlagung nicht absprechen, wenn er bereit ist, für 3096 Tage Geld zu bezahlen; Natascha Kampuschs Leben auf Zelluloid gebannt. Natascha ist zehn Jahre alt, als sie entführt wird – mit 18 kommt sie frei. Acht Jahre, 3096 Tage, 74304 Stunden… Chronologisch führt der Film über die verschiedenen Etappen ihrer Entführung: wie sie sich noch mit der Mutter streitet, weinend zur Schule läuft und dann, plötzlich, in einen weissen Lieferwagen gezerrt wird. Wahrhaft vom Erdboden verschluckt. Fast ein Jahr baute Wolfgang Priklopil an seinem Kellerverlies für das Mädchen: Ein Raum, knapp 6 Quadratmeter, eine Toilette, ein Waschbecken. Eine Zahnbürste, Zahnpasta, eine Haarbürste kriegt sie noch.

Ihre Tage im Verlies sind lang und er der Herr darüber; eine Gegensprechanlage, mit der er sie immer überwachen kann, sorgt dafür, dass sie nie allein und die totale Kontrolle nur allzugegenwärtig ist. Mehrere Tage ohne Essen als Strafe für “Vergehen”, wenn sie nicht gehorcht, nicht das macht, was sie soll. “Gehorche! Gehorche! Gehorche!”, schreit er dann in die Anlage, stundenlang.

Die Hungerstrafen zeigen ihre Wirkung und ihre Folgen – völlig abgemagert hilft Antonia Campbell-Hughes in der Rolle der Teenagerin Natascha beim Hausumbau, kocht und tanzt mit ihm, doch schwach wirkt sie dabei nicht, nicht, wie man es als Aussenstehender von einem entführten Mädchen erwarten würde – krank, ja, zerbrechlich vielleicht, aber nicht schwach. Schauspielerisch ist 3096 Tage überhaupt auf einem guten Niveau. Thure Lindhardt in der Rolle des aufbrausenden Wolfgang Priklopil bringt das unterdrückte Muttersöhnchen mit sadistischen Neigungen und dem Hang zur Machtdemonstration überzeugend auf die Leinwand. Doch trotz der guten Leistung der beiden Hauptdarsteller, trotz guten Einstellungen in Zeitlupe und Nahaufnahmen, die einen in die Handlung ziehen sollen – es klappt nicht. Man bleibt ein Betrachter von aussen, kommt nicht in die Geschichte rein. Möglicherweise liegt es an der schlechten Synchronisation ins Deutsche (der Film wurde in Englisch eingespielt), die insbesondere bei einer Geschichte, die in Wien spielt, ins Auge sticht. Oder es mag daran liegen, dass man bereits zu viel über Natascha gelesen hat, ihre mediale Präsenz derart gross war. Obwohl sie ein Opfer ist, ist sie keine Sympathieträgerin. Das macht es nicht einfacher, mit der Film-Natascha mitzufühlen oder zu leiden – man ist schon zu abgestumpft und hat es schon zu oft gehört.

Doch was nach dem Kinobesuch bleibt ist ein dumpfes Gefühl des “Unbefriedigtsein”. Vieles bleibt weiterhin unklar, insbesondere wenn man bedenkt, welche Diskussionen derzeit um den Wahrheitsgehalt von Nataschas Kampuschs Geschichte geführt werden, nachdem ihr Vater schwere Vorwürfe gegen sie erhoben hat.

Ein weiterer Film, der sich der gleichen Thematik widmet, dabei aber deutlich überzeugender und berührender gemacht ist, ist “Michael” vom österreichischen Regisseur Markus Schleinzer. In dieser Geschichte wird ein zehnjähriger Junge von einem Mann entführt, im Keller eingesperrt und sexuell missbraucht. Der Film beruht zwar nicht auf wahren Begebenheiten, ist aber dennoch deutlich einfühlsamer gemacht als 3096 Tage und somit, im Gegensatz zum Kampusch-Film, empfehlenswert.

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