Nicht bestanden heisst nicht zwangsläufig dumm und faul.

Ich wusste, dass die Prüfungen nicht gut gelaufen waren, wirklich. Ich hatte ein ungutes Gefühl, und als es dann schliesslich soweit war und die Ergebnisse veröffentlicht wurden, zögerte ich den Moment der Wahrheit immer noch heraus. Erst mit der Begründung, das Serviceportal sei doch sowieso total überlastet, dann unter dem Vorwand, dabei lieber alleine zu sein. Irgendwann kam ich dann aber doch nach Hause und konnte es nicht länger aufschieben. Das Ergebnis war niederschmetternd: ich hatte keine einzige Prüfung bestanden, 14,25 Minuscredits. Danach machte ich eine Weile lang erst einmal gar nichts. Dann googelte ich, in einem Moment der Rationalität, „HSG Prüfungseinsicht“, konnte aber die Termine nicht direkt finden. Stattdessen stiess ich auf einen alten prisma-Artikel. Er hiess „Rekurs als letzte Hoffnung“ und handelte von einem Assessmentstudenten, der sich nach dem ersten Semester ungefähr in der gleichen Lage befand wie ich jetzt. „Als die Prüfungsresultate kamen, veränderte sich sein Leben“, stand da, und „er war schockiert“. So geht es mir auch.

Bloss ahnt man, dass es so kommen wird, wenn man den Artikel liest. Denn der Protagonist darin verpasst lieber jede Vorlesung als eine einzige Party und bucht für die Lernphase einen Wellnessurlaub. Meine Geschichte geht anders. Damit möchte ich nicht sagen, dass ich die Bücher seit der Startwoche nicht mehr aus der Hand gelegt habe, aber ich denke schon, dass andere mit meinem Arbeitspensum locker durchgekommen sind. Ich habe, soweit ich mich erinnern kann, im gesamten Semester zwei Vorlesungen verpasst (LWA), ich bin zu den Übungen gegangen und habe die Pflichtlektüren gelesen. Auf die erste Prüfung, VWL, war ich dank Uniseminarordner und selbstgeschriebener Karteikarten gut vorbereitet, aber dann verzettelte ich mich beim ersten Aufgabenteil, hatte für den zweiten nur wenig Zeit und musste Vieles auslassen. Völlig frustriert kam ich nach Hause, versuchte aber, mich auf die nächste Klausur zu konzentrieren. Wieder hatte ich Zeitprobleme, zurück blieb das Gefühl, dass das viele Lernen mir nichts gebracht hatte. Nach jeder Prüfung sagte ich mir, wenn nur die folgenden besser würden, sei alles nicht so dramatisch, aber es wurde nicht besser. Irgendwann war es schwer, mich noch weiter fürs Lernen zu motivieren, und es machte mir nicht mehr viel aus, nicht fertig geworden zu sein.

Wenn mich jemand fragte, wie die Prüfungen gelaufen seien, antwortete ich „nicht gut“, wurde aber jedes Mal aufs Neue beschwichtigt, dass es schon nicht so schlecht gewesen sei. Wie oft habe ich in den letzten Wochen den Satz „Du hast bestimmt bestanden“, mit der Betonung auf dem „du“, gehört? Ich begann, selbst daran zu glauben. Schliesslich hatte ich doch wirklich nie grosse Mühe gehabt, die Sachen zu verstehen und anderen zu erklären. Eine Kommilitonin hat mich einmal gefragt, wie ich das anstellen würde, dass alles mir so leicht falle. An solche Situationen versuche ich mich jetzt zu erinnern, wie als Beweis dafür, dass wirklich nur die Prüfungen schlecht waren, aber nicht das ganze Semester.

Aber das ist nicht immer einfach. Man ist ständig versucht, den Dingen eine gewisse Kohärenz zuzusprechen, nach dem Motto „es musste ja so kommen“. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman spricht in diesem Zusammenhang von einem „handsight bias“, einer nachträglichen Voreingenommenheit. Das menschliche Gehirn ist nicht gut darin, frühere Auffassungen und Überzeugungen zu rekonstruieren, erklärt er, deshalb haben wir im Nachhinein oft das Gefühl, gewisse Ereignisse vorausgeahnt zu haben. Tatsächlich hätte es in vielen Fällen aber auch ganz anders kommen können.

Für mich ist das beruhigend, hilft in der konkreten Situation aber auch nicht weiter. Irgendwann habe ich doch noch die Termine der Prüfungseinsicht gefunden. In zwei Wochen werde ich also versuchen, noch ein paar Punkte aufzutreiben, damit ich wenigstens noch eine Chance habe, das Assessmentjahr zu bestehen.

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