«Himmelfahrtskommando»: Grosses Kino!

Die ganze Welt ist sich diskussionslos einig: Wir Schweizer können nicht Film und erst recht nicht Komödie. Ausnahmen wie «Jeune Homme» (2006) oder «More Than Honey» (2012) bestätigen die Regel. Zu diesen seltenen Meisterwerken darf sich nun auch der St. Galler Jungregisseur Dennis Ledergerber mit seinem Baby «Himmelfahrtskommando» zählen.

In seinem Zweitling zeichnet der 25-Jährige die trügerische Idylle des Dörfchens Gottlingen, das es an Opportunismus und Kleinkariertheit problemlos mit Seldwyla (Gottfried Keller) und Güllen (Friedrich Dürrenmatt) aufnehmen kann. Das Nest an träumerischer Lage ab vom Schuss hat bisher weder ein Smartphone gesehen, noch ein sauberes Wort Englisch gehört. Einer der Gemeinderäte bringt die Machtlogik auf den Punkt: «Eine Hand wäscht die andere und beide das Gesicht».

Die überschwänglich fröhlichen, langhaarigen und weiss gekleideten Mitglieder einer amerikanischen Sekte, welche eines Tages in das Alpendorf stolpern, passen so gar nicht in diese Szene, doch nachdem klar wird, dass die kleine Gruppe neben Gitarren und ihrer befreienden Botschaft auch zünftig viel Zaster mitbringt, verstummen die fremdenkritischen Stimmen. Wer interessiert sich schon dafür, wie eine singende Glaubensgemeinschaft zu kofferweise Bargeld kommt, wenn sich Frau Gemeindeammann damit ein neues Auto leisten kann? «Welkoming tu Gottlinschen!»

Als die isoliert lebende Gruppe in ihrem Bus tödlich verunfallt, sehen die Bewohner die ultimative Möglichkeit, sich der «treuhänderischen Verwaltung» des stattlichen Vermögens anzunehmen: Symbolisch für den neuen Reichtum wird aus der ungemähten Fussballwiese ein professioneller Sportplatz und solange jeder ein bisschen profitiert, schaut niemand so genau hin – bis eines Tages Walter Andreas Müller alias der Pöstler drei amerikanische Reisende in weissen Tüchern entdeckt, die ihre Freunde in den Bergen besuchen wollen.

Dann ist der Teufel los! In der Not entschliessen sich die Gemeinderäte, die sich vollumfänglich und ausschliesslich den Interessen der Gemeinde verpflichtet fühlen, die Sektenmitglieder kurzum selbst zu ersetzen. Dass neun Bünzli’s, die einen amerikanischen Lobpreis-Zirkel mimen, viel Potenzial zur Komik bergen, dürfte ihnen ebensowenig bewusst sein wie die Tatsache, dass sie mit ihrem prinzipien- und skrupellosen Vorgehen ihr eigenes Grab schaufeln.

Bemerkenswert ist auch, welche Schauspielergrössen Dennis Ledergerber und Manuel Schneider mit ihrer Low-Budget-Produktion an Bord holen konnten. Zwar spielt Walter Andreas Müller (Zweierleier, Fascht e Familie) wie immer nur Walter Andreas Müller, dafür ist Andrea Zogg (Sennentuntschi) als grimmiger Bauer umso köstlicher, wenn er sich als Wortführer gegen das fremde Teufelspack zu wehren versucht und sich liebevoll um seinen Güggel Prinz Leopold kümmert. Auch die Rolle des Gemeindepräsidenten Guido, der die Begehrlichkeiten seines Volkes zu koordinieren versucht, ist mit Beat Schlatter (Mein Name ist Eugen) ideal besetzt.

Die schauspielerische Neuentdeckung des Streifens ist ohne jede Frage Philipp Kluckner. Als ziemlich verwirrter Bauernsohn Fridolin überzeugt er mit einem sensationellen Ausdruck und einer autistischen Ader, wie sie sich der Tatort nur wünschen kann. Kollegen wie Corinne «Cam» Müller (Der Bachelor) stellt er damit locker in den Schatten. Mit seiner ziemlich fanatischen Leidenschaft für “Füüür” sorgt Fridolin auch inhaltlich für mächtig Feuer unter dem Dach von Gottlinschen.

Zugegeben, die Figuren vom Pfarrer («Wann betet man eigentlich?» – «Wenn man dafür bezahlt wird.») über den potenten russischen Knecht bis hin zur machttrunkenen Frau Gemeindeammann erfüllen so ziemlich alle Stereotypen, doch aufgrund ihrer Zusammensetzung und der dialektischen Erzählung bleibt die Geschichte bis zum Schluss spannend und entwickelt eine interessante Eigendynamik.

Das Epos der Situationskomik, das auf einer Novelle des Ostschweizers Stefan Millius beruht (der übrigens selbst einen Gastauftritt im Film hat), wird so vielseitig, unterhaltend und mit vielen witzigen Details inszeniert, dass man es gar nicht enden lassen möchte. Wahrscheinlich liegt dies auch am technisch sehr gut gemachten, aber absolut unpassenden, Finale.

Herzlichen Dank an das gesamte Schauspiel- und Produktionsteam für diesen tollen Beitrag zum Schweizer Film! Er ist ab 21. März im Cinema Corso und weiteren Schweizer Kinos zu sehen.

Bild: Der Dorfbauer (Andrea Zogg) mit seinem Sohn Fridolin (Philipp Kluckner, l.), dem russischen Knecht (Raphael Carlucci, r.) und seinem Prinz Leopold. Quelle: www.himmelfahrtskommando.ch

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