Interview mit Josef Raschle – Dompfarrer des Bistums St.Gallen

Bei soviel Sünde brauchts auch Erlösung… passend zu unserer aktuellen Ausgabe interviewten wir deshalb den Dompfarrer  des Bistums St.Gallen Josef Raschle.

prisma: Herr Raschle, seit wann und wie häufig nehmen Sie Beichten entgegen?

Ich nehme Beichten ab, seit ich meine Tätigkeit als Priester vor 44 Jahren aufgenommen habe. In der Kathedrale von St. Gallen bin ich seit 14 Jahren tätig. Hier gibt es wöchentliche Beichtsessionen im Beichtstuhl.

Ist die Nachfrage nach diesen wöchentlichen Sessionen gross?

Die Beichtsessionen werden sehr gut besucht. Interessant ist dabei, dass das Angebot von ganz verschiedenen Personen genutzt wird – unabhängig von Alter, Geschlecht, Nationalität und sozialer Stellung. Sogar Kinder legen ihre Beichten bei mir ab.

Aus welchem Grund beichtet man?

Da gibt es unterschiedliche Motive. Für manche ist es ein spirituelles Ritual, welches in regelmässigem Abstand durchlaufen wird. Andere beichten aktuelle Fehler oder Sünden, welche sie beschäftigen. Kürzlich hat mir eine Frau davon berichtet, wie sie immer noch darunter leide, vor 20 Jahren zweimal eine Abtreibung vorgenommen zu haben. In diesem Fall kann man auch von einer Lebensbeichte sprechen.

Welche Sünden werden am häufigsten gebeichtet?

Sehr oft entstammen die Inhalte der Beichten aus dem sexuellen Bereich, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Dabei kann es sich um Ehebruch, Schwierigkeiten im Umgang mit der eigenen Sexualität oder auch um Beziehungsprobleme handeln. Häufig empfindet mein Gegenüber auch etwas als sündhaft, was ich selber nicht als Sünde qualifizieren würde. Das behalte ich aber für mich, meine Aufgabe ist es nicht zu urteilen.

Was machen Sie konkret in der Beichte mit Einzelpersonen?

Ich versuche mich möglichst zurückzunehmen und einfach zuzuhören. Die Beichte wird gegenüber Gott und sich selber abgelegt – nicht gegenüber mir. Ich kann aber eine Lossprechung zugestehen, welche als Neubeginn aufgefasst werden kann und daher eine sehr befreiende Wirkung hat. Wenn die Voraussetzungen für eine wirksame Lossprechung gegeben sind, kann man für jede Tat Vergebung erlangen. Selbst wenn jemand einen Mord begangen hat – auch das wurde mir übrigens schon einmal gebeichtet.

Sind Sie schon einmal in einen persönlichen Interessenskonflikt gekommen? Wie gehen Sie in diesem Falle vor?

Ich würde niemals Inhalte an externe Stellen melden. Dies wäre eine klare Verletzung des Beichtgeheimnisses. Wenn ich merke, dass jemand keine Reue zeigt und beispielsweise weiterhin in Bordellen verkehrt, dann versuche ich jeweils eine passende theologische Reaktion zu finden. Gott verzeiht Sünden nur, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. Man muss sich zu den Fehlern bekennen, man muss sie bereuen, und der Vorsatz, sich in Zukunft zu bessern, muss erkennbar sein. Ich wehre mich in diesem Zusammenhang auch gegen den Vorwurf, Katholiken hätten es einfach, da sie sich durch das Versöhnungsritual alles erlauben können.

Gibt es auch erheiternde Momente bei der Beichtabnahme?

Grundsätzlich ist das Bussakrament stark von Belastung und Trauer durchsetzt. Wenn aber jemand sagt: „Ich habe noch nie gebeichtet und ich bin eigentlich nicht einmal katholisch!“, dann ist das schon lustig.

Betreuen Sie auch Studierende der Universität St. Gallen?

Es kommen regelmässig Studierende der HSG zur Beichtabgabe. Manchmal wird offen kommuniziert, dass man an der HSG studiert, und manchmal gehe ich davon aus. Beispielsweise wenn mir jemand erzählt, wieder einmal zu viel getrunken und zu wenig für das Studium gelernt zu haben und deshalb durch die Prüfungen gefallen zu sein.

______________________________________________

MEHR DAZU


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*