Washington D.C. – von der Mordhauptstadt zum Tourismusjuwel

Ferien in den USA: Das assoziiert man in der Regel mit New York, Los Angeles, Miami oder Las Vegas. Die Hauptstadt der USA zählt hingegen nicht zu den beliebtesten Reisezielen von Schweizer Touristen. Die Gründe dafür finden sich in der Geschichte der Stadt. In den letzten zwanzig Jahren hat jedoch ein grundlegender Wandel stattgefunden.  

Als Hauptstadt der USA galt Washington lange als etwas verschlafene, langweilige Beamtenstadt mit einigen Sehenswürdigkeiten von nationalem Interesse und einer Handvoll interessanten Museen – so etwas wie Bern ohne Geranien vor den Fenstern. Zudem prägten Spannungen zwischen Schwarzen und Weissen lange Zeit den Alltag, was mit der Stellung Washingtons als erste Stadt mit einer afroamerikanischen Mehrheit zusammenhängt. Im Rahmen der Great Migration Mitte des 19. Jahrhunderts machten sich viele Sklaven vom Süden in Richtung Norden des Landes auf, um von den in den Südstaaten erfahrenen Misshandlungen zu flüchten. Washington, an der Grenze zwischen Nord- und Südstaaten gelegen, war der erste und zudem beste Zufluchtsort, da es keinem Bundesstaat zugehörig war, und sich die geflüchteten Sklaven deshalb gut niederlassen konnten. Dadurch nahm Washington D.C. eine zentrale Stellung in der Bürgerrechtsbewegung ein, die Ende der fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts für die Gleichstellung der Schwarzen kämpfte. Nach der Ermordung von Martin Luther King kam es zum ersten Mal zu heftigen Unruhen im Distrikt. Viele Häuserblocks brannten nieder, zahlreiche Weisse kehrten darauf der Stadt den Rücken. Ende der Achtziger folgte die Crack Epidemie, die eine regelrechte Explosion der Kriminalität mit sich brachte. Die mit Drogen und Armut verbundenen Delikte gipfelten 1991 in unglaublichen 497 Ermordungen innerhalb eines Jahres. Dies brachte der Stadt die unrühmliche Bezeichnung „murder capital“ ein. Die Kriminalität festigte die durch die Segregation etablierte Rassentrennung zusätzlich. Die Stadt war wortwörtlich schwarz-weiss: Bis zur 16. Strasse wohnten Farbige, westlich davon die Weissen.

Danach setzte jedoch eine Gegenbewegung ein, die bis heute anhält, wobei sicher half, dass mit dem Abklingen der Crack Epidemie die Kriminalität kontinuierlich zurückging.  Politik und Wirtschaft begannen mit einem systematischen Programm der planmässigen Aufwertung von Wohngegenden, der sogenannten „Gentrification“.  Dadurch konnten Geschäfte in die Innenstadt zurückgelockt werden und die neu erbauten, modernen Wohnungen zogen eine junge und kaufkräftige Bevölkerung an. Zudem etablierte sich langsam eine schwarze Mittelklasse in D.C..
Die Stadt ist heute fast nicht mehr wiederzuerkennen. 2012 hat die Kriminalität den tiefsten Stand seit 1963 erreicht. Die Rassenteilung ist zwar insofern noch sichtbar, als dass in gewissen Regionen die eine Hautfarbe dominiert, jedoch ist die Bevölkerung heute in den meisten Wohngebieten ethisch so stark durchmischt, dass man von Chinesen, Somaliern über Pakistanern alle Ethnien findet. Und so kommt es, dass dort, wo früher regelmässig Menschen auf offener Strasse erschossen wurden, heute schicke Restaurants aus dem Boden schiessen.

Jedoch gibt es auch Verlierer dieses Wandels. Die mit der Aufwertung einhergehenden steigenden Wohnkosten zwingen immer mehr ärmere Bürger dazu, in Vororte wie beispielsweise Prince George’s County zu ziehen. Als Folge nimmt die Kriminalitätsrate dort leicht zu. Der Wegzug von ärmeren Bevölkerungsschichten führte 2011 dazu, dass der Anteil der schwarzen Bevölkerung in Washington D.C. erstmals seit 50 Jahren unter 50 Prozent fiel. Wer heute in dem Distrikt wohnen will, muss also bereit sein, viel Geld in die Hand zu nehmen. Die Nachfrage nach einer permanenten Bleibe muss  gross sein, was die leicht verzweifelt dünkenden, von Hand geschriebenen Kaufinserate an Straßen-Ampeln nahe legen.

Washington D.C.  war früher also nicht ganz unberechtigt touristisches Niemandsland. Aber auch heute hat die Hauptstadt Mühe, sich neben den bekannten Destinationen zu behaupten. Zu heiss und feucht im Sommer, zu patriotisch, zu wenig spektakuläre Hochhäuser im Vergleich zu New York und als Party-Stadt ohnehin völlig ungeeignet. Zwar sind diese Klischees nicht völlig aus der Luft gegriffen, doch Washington D.C. hat mittlerweile viel mehr zu bieten als Schnappschüsse vom Weissen Haus oder vom Kapitol. Die folgenden Aktivitäten sind bei einem Aufenthalt in Washington D.C. wärmstens zu empfehlen.

Für passiv Sportbegeisterte

Weil es Baseball in Europa nicht gibt, und es sich hierbei um einen vergleichsweise geistreichen Sport handelt, ist der Besuch eines Spiels der  Washington Nationals ein Muss. Die amerikanische Sportbegeisterung ist ohnehin eine Erfahrung für sich, kennt der durchschnittliche Schweizer eine ähnliche Gefühlslage doch höchstens beim Fussball, und dann auch nur, wenn gleich die Europameisterschaft im eigenen Land stattfindet. Das Gute am Baseball ist zudem, dass die gemächliche Spielweise ein häufiges Frequentieren der Ess- und Trinkstände zulässt.

Für aktiv Sportbegeisterte

Weil Ferien in den USA eigentlich immer eine übermässige Nahrungsaufnehme mit sich bringen, bietet sich eine sportliche Betätigung als Gegensteuer an. Wenn man diese dann gleich mit einem kleinen Stadtrundgang verbinden kann – umso besser. Das Weisse Haus als Ziel der eigenen Joggingstrecke spornt ordentlich an. Je nach Distanz, Fitness und Lust kann man den Rückweg auch mit der U-Bahn zurücklegen. Die Kreditkarte ist alles, was man dafür braucht.

Für Naturbegeisterte

Entlang des Potomac Rivers und des C&O-Kanals führen über Meilen Fahrradwege, die zum gemächlichen Erkunden des Stromes einladen. Am besten bereitet man ein Picknick vor und mietet am Watergate für 30 Doller pro Tag ein Fahrrad. Nach dem kurzen Schock, dass in Amerika eben doch nicht alles billiger ist, kann man gemächlich 25 Kilometer flussaufwärts fahren, bis zu den Big Falls, wo man sich angesichts der wilden, unverbauten Flusslandschaft direkt in die eigenen Kindheitserinnerungen von Pocahontas zurückversetzt fühlt.

Für Kulturinteressierte

Washington hatte schon immer ein breites Angebot an hervorragenden Museen, in den vergangenen Jahren sind aber viele neue dazugekommen. Das Newseum etwa in der Nähe des Kapitols beschäftigt sich mit den Medien, mit Journalismus und mit Pressefotografie. Besonders die Pulitzer-Preis Ausstellung ist einen Besuch wert. Wer hingegen lieber etwas Nervenkitzel hat, kommt beispielsweise im Crime Museum voll auf seine Rechnung.

Für Pferdebegeisterte:

Ob Reiter oder nicht, ein Trail Ride auf einem der Pferde der Mulford Riding School bei Centreville in Virginia begeistert schlichtweg. Ein unprätentiöser Stall mit etwa 30 Pferden erwartet die ReiterInnen. Dass man auf dem Land angekommen ist, merkt man spätestens bei der Anzahl Familienmitglieder der Stallbesitzer. Eines von zehn (!) Kindern begleitet den Ausritt, der durch hohes, unberührtes Gras und sumpfige Wege führt. Wer etwas Ausschau hält, sieht wilde Schildkröten.

Für Abenteurer

Wer Action braucht, meldet sich bei dem Hochseilgarten Go Ape! im Upper Rock Creek Park in Maryland an. Was harmlos unter permanenter Beobachtung in etwa zwei Meter Höhe beginnt, steigert sich mit jedem Parcours. Spätestens wenn man ganz allein mit Karabinerhacken in 20 Metern Höhe an Bäumen rumkrakelt, setzt langsam ein mulmiges Gefühl ein. Im letzten Durchgang unbedingt die Station „extreme“ absolvieren. Gekreische ist vorprogrammiert.

Für Vielesser

Wer weder Action, Natur noch Sport braucht, um glücklich zu sein, isst in dem uramerikanischen Tastee Diner im Vorort Bethesda Pancakes zum Frühstück. Die Fassade lässt zwar leisen Zweifel an der Richtigkeit der herausgesuchten Adresse aufkommen, aber spätestens wenn einem die besten Pancakes der Stadt auf der Zunge vergehen, bestätigt sich die Restaurantwahl.

Für Nachtschwärmer

Wer die Stadt unsicher machen will, findet um die 14. Strasse eine Vielzahl an Bars und Clubs. Wer es etwas schicker mag, ist beim Dupont Circle gut aufgehoben. Und wer auf Aufriss aus ist, wird in der Bar „Lost Society“ an der 14. Strasse glücklich. Dort bestätigt sich die Direktheit der Amerikaner beim Flirten insofern, als dass selbst die väterliche Begleitung Annäherungsversuche nicht abschrecken kann.


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