Die Lifestyle-Revolution

Auf Initiative von oikos Carbon Neutral Campus und Unisport bietet die Migros in der Mensa neu ein vegetarisches „Lifestyle“-Menü an. Die einen freuen sich über den neu geweckten kulinarischen Ehrgeiz der Migros und das ökologische Bewusstsein – die anderen fürchten die Diktatur der Körnchenpickerei!

Ein Kilo Rindfleisch hat in seiner Karriere bis auf den Teller 36 Kilogramm CO2 produziert. Das entspricht einer 250 Kilometer langen Autofahrt mit einem mittelmässig umweltfreundlichen Auto. Dennoch gehört das Poulet aus Brasilien und das saftige Schnitzel zum Speiseplan in der Mensa, der nicht unwesentlich zu den 51 Kilogramm Fleisch beitragen, die wir pro Person und Jahr verspachteln.

„Weil die Mensa offensichtlich ein sehr fleischlastiges Angebot hat, haben wir dort einen sehr grossen Hebel, die CO2-Emissionen auf dem Campus zu reduzieren“, dachte sich Linus Grob, „und vielen ist nicht bewusst, dass die Ernährung den grössten Teil des persönlichen Umwelt-Footprints ausmacht.“ Gemäss dem Global Footprint Network „brauchen“ die Schweizerinnen und Schweizer bereits mit ihrer Ernährung einen ganzen Planeten. Deshalb haben Linus und oikos CNC der Migros vorgeschlagen, dem Lifestyle Einzug in den Speiseplan zu gewähren. Ein neues, nachhaltiger produziertes und vegetarisches Menü wird während zwei Monaten den Tageshit ersetzen – danach entscheidet die Kundennachfrage, ob es weitergeführt wird.

„Unser Ziel war nicht ein weiteres 08/15-Vegi-Menü, sondern eines, das die Kunst des kreativen Kochens ohne Fleisch zelebriert.“ Wie bei Tibits oder Hiltl ginge es darum, aus qualitativ hochwertigen Produkten einen gesunden, optisch ansprechenden und ökologisch sinnvollen Teller mit leckerem Essen zu machen. Obwohl die Migros am Anfang skeptisch war und Umsatzeinbussen befürchtete, lenkte sie ein und bietet in einer zweimonatigen Pilotphase Zucchetti-Käseschiffli, Kichererbsenstroganoff oder grillierte Auberginen an.

Der ökologisch geschulte und kulinarisch anspruchsvolle Gaumen wird es der Monopol-Mensa danken: Die Lifestyle-Initiative verspricht eine Alternative zu pampigem Risotto und Fertigsauce, die lieblos auf den Teller geklatscht werden. Alle LOHAS und Vegetarier, ob aus Überzeugung oder Lifestyle-Gründen, dürfen sich freuen: Vitamine und Reichhaltigkeit – ja vielleicht sogar die Liebe – halten Einzug in die Migros-Küche! Dafür wird der Preis des Lifestyle-Angebots aufgrund der lokal und nachhaltig produzierten Produkte leicht steigen: 9.50 bis 11.50 kostet es in der Regel.

Unter anderem deshalb ist das Angebot nicht bei allen gleich willkommen. Der neue Ehrgeiz der Zubereitung wird die Migros erst noch unter Beweis stellen müssen. Am lautestens allerdings ist die Kritik aus der Fraktion, für die der Fleischkonsum fast schon staatsbürgerliche Pflicht ist: „Ich degradiere mich doch nicht selbst eine Stufe tiefer in der Nahrungskette“ und „Mein Hund isst nur Fleisch und ist trotzdem fitter als ich“ entgegnet die überproportional männliche Verspottet-Gemeinde, deren persönliches Schicksal offenbar unmittelbar von der Existenz von „Körnchenpicker“-Angeboten wie dem Lifestyle-Menü oder dem Veggie-Day abhängen. Sie befürchten die Diktatur des Vegetarismus, die soziale Ächtung all jener, die gerne nach einem Steak greifen (das es in der Mensa ja ohnehin nicht gibt).

„Im Gegenteil“, kontert Linus, „das schmackhafte Lifestyle-Menü soll keine lästige Pflicht sein, sondern Spass machen. Wir distanzieren uns beispielsweise explizit vom Ansatz der Uni Basel, wo plötzlich die gesamte Mensa ausschliesslich vegetarisch sein sollte.“ Jede und jeder wird weiterhin die freie Wahl haben. oikos CNC sieht sich unter anderem darin bestärkt, weil es sowohl auf die Pappbecher-Initiative als auch auf das Lifestyle-Menü ausserordentlich viele positive Rückmeldungen gibt. Keine Überraschung, ist doch das Umweltbewusstsein längst im Lifestyle des normativ-kritischen HSGlers angekommen – was jetzt endlich auch im Speiseplan Beachtung findet. Die Skeptiker können sich entspannen: Vom Vegi-Zwang sind wir weit entfernt, die Schwedenbraten und Schnitzel dominieren nach wie vor das Mensa-Bild, dafür ist die Schlange vor dem Lifestyle-Menü angenehm kurz.

Pepperoni mit Linsen – „Spinnsch, das ässi sicher nöd!“, meint einer, der irrtümlicherweise in der kürzeren Schlange anstand und vorne angekommen seinen Irrtum bemerkte. Von denen, die das Menü ausprobieren, höre ich jedoch vorwiegend positive Stimmen: „schmackhaft und frisch“ – „macht echt was her“ – „das ist nicht einfach nur ein normales Menü ohne Fleisch, sondern jemand hat sich was dabei überlegt“, lautet der Tenor. Auch ich komme zum Schluss: Es ist eines der besten Gerichte, die ich in der Mensa schon gegessen habe – und ich bin satt! Die Kritik am Preis bleibt trotzdem, auch unter den Hardcore-Vegis. Linus ist sich des eher hohen Preises durchaus bewusst und erkennt Handlungsbedarf: „Vielleicht wird man später bei der Optik Abstriche machen müssen, um den Preis zu drücken.“ So oder so, das Lifestyle-Menü ist definitiv einer Bereicherung. Ein Facebook-Nutzer kommt sogar zum Schluss: „Das ist das beste, was ein studentischer Verein seit Langem zu Stande gebracht hat.“ prisma wünscht en Guete!


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