HSG Gründungsgeschichte: Thomas Bergen und getAbstract

Gastbeitrag von: Stephan Gemke, Chair for Entrepreneurship, www.startup.unisg.ch

Was mit der Zusammenfassung von Lehrbüchern und Skripten zu einem kompakten Mitschrieb begann, entwickelte sich in den letzten 14 Jahren zur weltweit grössten Bibliothek an Buchzusammenfassungen. Kurzum: Zu getAbstract. In diesem Artikel erläutert Thomas Bergen die Entstehungsgeschichte von getAbstract und offenbart einige Hintergrundinformationen.

Die Geschichte von getAbstract beginnt wie viele Unternehmensgründungen in der Studienzeit der Gründer, im vorliegenden Fall zwischen 1987 und 1991 an der Universität St. Gallen. Ausgangspunkt war das Spannungsverhältnis aus begrenzten Kapazitäten und zunehmender Informationsmenge, mit dem sich die seit der Schulzeit befreundeten getAbstract-Gründer Rolf Dobelli, Patrick Brigger und Thomas Bergen auseinanderzusetzen hatten. Statt jede einzelne Seite der Vorlesungsskripte und Lehrbücher auswendig zu lernen, fassten sie daher die wesentlichen Informationen zusammen. Mit solchen Abstracts von Studientexten waren sie in der Lage, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, der Informationsflut Herr zu werden und nebenbei noch ihren Kommilitonen zu helfen, die sich diese Zusammenfassungen nur zu gern ausliehen. Ein Lernphänomen, das sich auch heute noch grösster Beliebtheit erfreut.

„Damals als Studierende dachten wir nicht direkt daran, daraus ein Unternehmen zu machen. Zu diesem Entschluss kam es erst einige Jahre später, als mein Freund Rolf Dobelli auch in der Praxis und bei vielen Führungskräften das Dilemma der Informationsüberfrachtung sah. Zu Studienzeiten hatten wir zunächst eine Reihe anderer Geschäftsideen im Sinn“, gibt Thomas Bergen zu verstehen. Weiter führt er aus: „Während des Studiums tauschten wir uns immer wieder über verschiedene Geschäftsideen aus. Zu mindestens 50 von diesen Ideen haben wir mehr oder weniger ausführliche Businesspläne geschrieben. Und vor getAbstract selbst initiierte ich drei andere Gründungsprojekte. So wollten wir bspw. edles Schreibpapier produzieren, einen Management Buy-out wagen oder ein Gerät zur Vermessung der Herzarterie herstellen. Kleine Beträge von vielleicht 500-1‘000 Schweizer Franken hatte ich dazu investiert. Letztendlich haben wir aber festgestellt, dass sich diese Vorhaben nicht ausgingen.“

getAbstract war zunächst ein Nebenprojekt

Da eine Gründung immer mit einem hohen Risiko behaftet ist, hält Thomas Bergen nicht sonderlich viel von der sogenannten „all-in Mentalität“. Mit 24 Jahren, wenn die Opportunitätskosten vergleichsweise gering sind, könne man leicht alles stehen und liegen lassen und sich ausschliesslich seiner Geschäftsidee widmen. Das war bei Mark Zuckerberg oder Bill Gates ja genauso. Aber ab 30 Altersjahren wird der Schritt in die Selbstständigkeit schwieriger. Herr Bergen war selbst 33 Jahre alt, Vater eines Kindes und bereits in einem Unternehmen angestellt, als er getAbstract mitgründete. „Es wäre wahnsinnig gewesen, in diesem Kontext und ohne erprobtes Geschäftsmodell wieder bei null anzufangen und sich zu 100% getAbstract zu widmen. Daher haben wir uns ein Jahr Zeit gegeben, getAbstract ans Laufen zu bekommen und zu schauen, ob es sich lohnt. Rolf konnte sich damals zu 100% getAbstract widmen und ich habe in meiner Freizeit und in der Nacht mitgearbeitet. Als wir sahen, dass eine Nachfrage besteht und das Geschäftsmodell funktioniert, entschloss ich mich, meine Zeit und meine Arbeitskraft ganz getAbstract zu widmen. Leider bestand mein damaliger Arbeitgeber (eine Privatbank) jedoch auf Vertragserfüllung, so dass ich zwei Jahre lang jeweils mit einer Woche pro Monat das Geschäft in Südamerika für sie aufbaute. Geschadet hat diese Situation aber weder mir noch getAbstract oder der Privatbank: Die Privatbank ist noch heute an getAbstract beteiligt“, erläutert Thomas Bergen.

Der Erfolg gibt ihm Recht: Über 10‘000 Zusammenfassungen von Büchern, Videos (z.B. TED-Talks) und Reports (z.B. der Weltbank) aus den Sparten Politik, Ökonomie, Philosophie, Religion, Belletristik, Naturwissenschaften, Psychologie und Soziologie sind derzeit verfügbar. Viele davon in mehreren Sprachen (deutsch, englisch, spanisch, französisch, portugiesisch, russisch und chinesisch). Dies ist weltweit einzigartig. Besonders stark nachgefragt werden die Rubriken Finanzen, Führung und Management, Strategie sowie Karriere und Selbstmanagement. Mit Stolz verweist Thomas Bergen auf die kürzlich live gegangene Kooperation mit der Fachzeitschrift „The Economist“, der ersten co-gebrandeten Kooperation des Economist weltweit. Unter der Bezeichnung Compressed Finance werden in Zusammenarbeit mit der Economist Intelligence Unit die relevantesten Finanz- und Wirtschaftsreports renommierter internationaler Quellen ausgewählt und zusammengefasst.
Dass man mit über 500 Verlagen zusammenarbeite, sei absolut einzigartig und „es freut uns ungemein, dass wir das Vertrauen der Verlage immer wieder rechtfertigen und auch geniessen können“, führt Thomas Bergen die Beziehungen zu den Verlagen weiter aus. Der vermutbare Kannibalisierungseffekt, dass Zusammenfassungen dem Bücherverkauf schaden könnten, hat sich nicht eingestellt, im Gegenteil: Die Zusammenfassungen weisen auf interessante Bücher hin und wirken damit sogar verkaufsfördernd.

Wie entstehen die Abstracts?

Zwischen zwei und vier Wochen dauert der gesamte Prozess, welcher mit der Zusendung der entsprechenden Medien durch die Verlage beginnt. Nach intensivem Lesen und Abwägen gehen die ausgewählten Werke in die Produktion (getAbstract nennt seine Redaktion Produktion), wo nach einem 6-Augen-Verfahren schlussendlich die 8- oder 5-seitige Zusammenfassung finalisiert wird. Business-Themen werden grundsätzlich immer auf fünf Seiten, TED-Talks auf zwei und Klassiker auf acht Seiten zusammengefasst – auch die Bibel, die Lieblingszusammenfassung von Thomas Bergen und eine der meistgelesensten Zusammenfassungen von getAbstract.

„Einfach war es jedoch nicht die Verlage auf der einen Seite und unsere Kunden auf der anderen Seite für uns zu gewinnen. Man muss auch gut verkaufen und überzeugen können. Und hierzu braucht es vor allem einen klaren Kundennutzen sowie Empathie. Ich hatte das Glück, dass ich gut mit Menschen kann und es mir Freude bereitet, ihnen bei ihren Problemen zu helfen. Und was wir ja machen, ist ein Problem zu lösen. Entweder ein Zeitproblem, ein Verständnisproblem oder ein Skalierungsproblem, also Wissen mitarbeiterübergreifend zugänglich zu machen. Nur deswegen kam es auch zu unserer Kooperation mit Microsoft. Nachdem es uns zweimal nicht gelungen war, einen vernünftigen Vertrieb in den USA aufzubauen, hatten wir das Glück, dass ein Mitarbeiter von Microsoft unseren Service nutzte und anfragte, ob man ihn nicht auf seine Kollegen ausweiten könne. Da damals diese Kontaktanfragen noch an mich weitergeleitet wurden, habe ich gleich die Gelegenheit ergriffen, mich direkt bei diesem Mitarbeiter zu melden und ihm anzubieten, dass ich innerhalb der nächsten Tage vorbeikommen würde. Ich hätte ohnehin in die USA fliegen müssen. Einige Tage später standen unsere Assistentin und ich bei Microsoft im Headquarter zum Meeting mit dem dortigen Chef der Bibliothek. Er musste uns jedoch versetzten, da er es wegen eines Autodefektes nicht rechtzeitig ins Büro schaffte. Erneut habe ich dann aus der Not eine Tugend gemacht, nach seiner Telefonnummer gesucht und ihn direkt angerufen und gefragt, ob wir ihm helfen könnten. Er verneinte zwar, fragte aber gleichzeitig, worum es in unserem geplatzten Meeting konkret hätte gehen sollen. Ich erinnerte ihn an getAbstract und welchen Nutzen wir Microsoft bieten könnten, woraufhin er direkt zusagte und uns bat, ihm den Kooperationsvertrag zuzusenden. Seitdem ist Microsoft einer unserer Kunden und die USA unser momentan stärkster Markt.

Gründung zur Jahrtausendwende

Auf die Frage, ob sich die Verhältnisse von damals (also 1999, dem Geburtsjahr von getAbstract) zu heute stark verändert hätten, verdeutlicht Thomas Bergen, dass die Unterschiede höchstens marginaler Natur seien: „Heute ist es vermutlich nicht mehr ganz so leicht für Start-ups, an das grosse Geld zu kommen, da es vor 14 Jahren deutlich mehr Venture Capitalists gab. Zudem gilt man heutzutage nicht mehr als technisch versiert, wenn man einen Online-Shop bauen kann. Damals war das noch ein grosser Akt, heutzutage ist es eher ein Klacks“, gibt Thomas Bergen zu verstehen. Ansonsten sei alles beim Alten geblieben: Es brauche immer noch ein exzellentes, motiviertes und sich ergänzendes Team, eine zukunftsträchtige Idee, ein funktionierendes Geschäftsmodell und ausreichende Liquidität, damit Start-ups erfolgreich werden und bleiben. Statt nur auf Marktanteile und Umsätze zu schauen, sei es viel wichtiger, so schnell wie möglich positive Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. „Hätten wir darauf nicht geachtet, gäbe es getAbstract heute nicht mehr. Die Arbeitsplätze, die wir schaffen und erhalten, sowie der hohe Kundennutzen, den wir erzielen, all das gäbe es nicht, hätten wir nicht von Beginn an auf eine solide Finanzierung geachtet.“

Lessons Learnt für die HSGler

Allen gründungswilligen HSGlern rät Thomas Bergen dazu, nicht blindlings drauflos zu gründen. Die Chancen und Risiken sollten im Vorfeld sorgfältig gegeneinander abgewogen werden und in einen durchdachten Businessplan münden. Von einer Strategie im Sinne von „einfach mal zu starten, das Beste zu hoffen und mal schauen, was wird“ hält er wenig, schliesslich sei es ja auch für die potentiellen Kunden nachteilig, wenn man sein Geschäftsmodell und sein Produkt ständig verändern würde.

Ebenfalls solle nur der- oder diejenige gründen, die es ernst meinen mit dem Unternehmertum. Nur des möglichen Exits wegen zu gründen, sei keine ausreichende Motivation. Das Leben als Unternehmer hat seine Hoch- und Tiefs, und da können die Gründer ihre Kraft nicht nur aus finanziellen Anreizen schöpfen. Als einen letzten Punkt warnt er davor, zu viele Anteile an Investoren abzugeben. Aus seiner eigenen Gründer- und Investmenterfahrung heraus weiss Thomas Bergen, dass Venture Capitalists rein finanz- und damit renditegetrieben sind. Wenn man als Gründer 5 Millionen Schweizer Franken aufnehme, jedoch nur 20% am Unternehmen halte, sei man ein Angestellter und kein richtiger Unternehmer mehr. Man dürfe die Kontrolle nicht abgeben. Die Gefahr sei sonst gross, zum Spielball der Investoren zu werden. Abberufungen als CEO oder zusätzliche Finanzrunden mit starker Verwässerung für die Gründer seien keine Seltenheit. Das Renditestreben der VCs sei jedoch per se nichts Schlechtes, man müsse als Gründer nur wissen, worauf man sich einlasse.

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