Vom Aufstieg und Fall des studentischen Engagements

Die HSG ist bekannt für das aussergewöhnliche Engagement ihrer Studenten. Im vergangenen Jahr wurden 16 Vereine neu akkreditiert. Eine Analyse der bunten und teilweise etwas skurrilen Vereinslandschaft St. Gallens.

Noch nie wurde ein SHSG-Präsidententeam gewählt, das nicht bei seiner Bewerbung die Rolle der studentischen Vereine hervorhob – auch bei Shin Szedlak und Caroline Lebrecht, dem neuen Team, das der SHSG vorsteht, war das nicht anders. Mehr als 100 Vereine sind es mittlerweile. Über die Quantität können wir uns nicht beklagen – und die Qualität?

Musterschüler …

Die bekannteste Erfolgsgeschichte ist zweifelsohne das St. Gallen Symposium, im Rahmen dessen vor 45 Jahren fünf Studenten aus fünf Nationen das Internationale Management Symposium mit je 100 Teilnehmern aus der Studentenschaft und der Wirtschaftswelt organisierten. Diese beinahe intime Gesprächskultur hat den Geist von St. Gallen geprägt. Heute ist daraus ein Komitee von 28 Studentinnen und Studenten geworden, auch wenn dahinter mittlerweile eine professionelle Organisation steht.

Doch es gibt weitere Beispiele von Initiativen die klein angefangen haben und dann über sich hinausgewachsen sind: oikos, gegründet 1987 als Verein für nachhaltigeres Wirtschaften, lange bevor Sustainability in jedes halbwegs schlaue Marketingkonzept gehörte. 1998 begann die stetige Internationalisierung der Organisation, die heute ein globales Netzwerk von 40 Vereinen und  Tausenden Mitgliedern bildet. AIESEC gibt es seit 1951, den Ausländerclub seit 1962. prisma selbst hat – auch wenn man es uns in keinster Weise ansieht – schon einige Jahre auf dem Buckel. Nicht zu schlagen sind hingegen die traditionellen Verbindungen: Die Zofingia ist sogar älter als die Universität selbst.

… und Pleiten

Nicht alle Vereinigungen konnten sich so lange behaupten: «Challenge the Best» wurde 2010 initiiert, wollte brillante Köpfe und Nobelpreisträger in die Schweiz holen, hatte allerdings erhebliche Organisations- und Finanzprobleme. Obwohl die kleine Gruppe im Sommer 2013 noch versucht hat, die Initiative wiederzubeleben, wurde sie vom Parlament im vergangenen Herbstsemester beerdigt.

Mit einer grossen Kampagne trat dafür Skilltalks auf die Bühne des vielfältigen Angebots. Das Versprechen: Nach den Skilltalks-Anlässen mit einem mittelmässig erfolgreichen Marketing- oder Kommunikationsprofi oder Coach ist man einerseits 20 Franken
ärmer, dafür hat man die sonst so kargen Uniräume mal farbig ausgeleuchtet gesehen. Im Idealfall weiss man sogar, wie man «sein Gegenüber in 15 Sekunden überzeugt» oder «in drei Schritten zu mehr Lebensqualität» gelangt. Die Reaktionen waren  gemischt. Von Begeisterung über die neue Inspiration bis hin zur Enttäuschung über die leeren Phrasen und das blosse Abspielen von YouTube-Motivations-Videos gingen die Meinungen stark auseinander. Zweifellos wurde viel Arbeit in die sechs angekündigten Vorträge gesteckt, das Marketing und die Nachbearbeitung mit Online-Videos waren aufwändig gestaltet und kamen frisch daher.

Ausgetalkt

Waren die Ankündigung im vergangenen Semester noch laut, so ist es um Skilltalks seit Jahresbeginn still geworden. Zwar  verspricht die Homepage nach wie vor kommunikative Höhepunkte für den studentischen Alltag, doch konkrete Veranstaltungen fanden seit Dezember keine mehr statt. Anfragen über die weiteren Pläne bleiben unbeantwortet. Ob man sie vermisst, bleibe dahingestellt.

Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe von Vereinen, die in die ewigen Jagdgründe eingehen – ob der Jagdverein schuld war? Auch Ius Iurandum Sangallensis ist inzwischen in der Versenkung verschwunden. 2011 versuchte eine kleine Gruppe, eine Art Code of Conduct zu etablieren, mit dem HSG-Studenten durch die «Ehrverpflichtung» ihr ethisches Bewusstsein offiziell ausweisen können. Das Bedürfnis für ein offizielles HSG-Wertesystem schien dennoch kleiner als gedacht, denn mittlerweile sind die Aktivitäten des Vereins eingestellt. Bis vor fünf Jahren gab es beispielsweise auch einen marxistisch-leninistischen Lesezirkel, der den Kapitalismus überwinden wollte. Auch einigen der über 100 momentan akkreditierten Vereinen dürfte über kurz oder lang das Aus blühen, da viele Vereinsschicksale vom Engagement einzelner Personen abhängen.

16 Neugründungen in einem Jahr: CV-Pimping oder echtes Engagement?

Die Liste dürfte in den kommenden Jahren länger werden, denn alleine im Jahr 2013 gab es 16 Neueintragungen (siehe Box). Wir wagen die Prognose, dass wohl die meisten das Jahr nicht überleben werden. Warum erlebt die Vereinslandschaft momentan einen solchen Boom, und sind die Neuzugänge wirklich eine Bereicherung von Studentenschaft und Universität?

Vielleicht ist der Boom an teilweise sehr ausgefallenen Vereinskreationen das Spiegelbild der eintönigen Mainstream-Lehre der HSG. Eine selbst gegründete Initiative bietet eine gute Möglichkeit, sich neben dem generalistischen Ansatz einen individuellen USP zu schaffen. Doch die sind längst nicht immer karrieretechnischer Natur. Offensichtlich machen sich Klassiker wie Marketing- oder Consulting Club gut im CV, und wenn man während der einen oder anderen Unternehmensbesichtigung Kontakte in die Arbeitswelt knüpfen kann, lohnt sich die Mitgliedschaft doppelt. Vielfach steht jedoch ein eigenes Anliegen am Anfang eines Projekts, und so zum Beispiel der Wunsch, sich in einem Kreis von Gleichgesinnten von der immer grösser  werdenden HSG-Masse abzuheben.

Wer Anlässe mitorganisiert oder sich in einen Vorstand wählen lässt, darf sich für 90 Stunden Arbeit sogar einen Credit anrechnen lassen – ein Mittel der Uni, das traditionsgemäss hochgehaltene studentische Engagement zu fördern. Für die wenigsten dürfte die Jagd nach Credits der primäre Grund für ihr Engagement sein, auch wenn diese sicher nicht abschrecken. Bei den Aktivisten von Amnesty International Students St. Gallen stehen aber wohl andere Motive im Zentrum. Ebenso für die Mitglieder des Schachclubs oder für die über 20 regionalen Netzwerke – immerhin sind die Partys des Calanda Bündner-Vereins oder die Get-togethers der Scandinavian Society weitherum bekannt.

Wer will, kann sich während eines Semesters jeden Abend einem neuen Verein anschliessen – da stellt sich schon die Frage, ob die Qualität nicht wieder mehr über der Quantität stehen sollte.

Neu akkreditiert seit 2013

• Tech-Club
• Asia Club
• English Society
• Hungaricum
• InDeed
• Italian Club
• Family Business Club
• Private Equity & Venture Capital Club
• Social Business Club
• THINK – Th e High Impact Network
• Young Entrepreneurs Club
• Salsita Rica
• Business Game St. Gallen
• Toastmaster St. Gallen
• Contemporary Philosophy & Politics
• Helping KAKO


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