Mehr als nur Crowdfunding

Die Onlineplattform «investiere» verhilft Jungunternehmen zu Kapital und zu Kontakten in der Branche. Seit 2010 hat sie schon mehr als zehn Millionen Franken zusammengetragen.

Vielen Start-ups geht einige Jahre nach der Gründung das Geld aus. Die Gründer haben ihr Erspartes aufgebraucht, Familie und Freunde wurden schon angezapft und für eine Bank ist das junge Unternehmen nicht kreditwürdig – zu unsicher sind die möglichen Erträge und zu gross das Risiko, das gesamte Darlehen zu verlieren. Meist kommt der finanzielle Engpass denkbar ungelegen: Jetzt nimmt das Unternehmen Gestalt an, jetzt entscheidet sich, ob das grosse Wachstum einsetzt oder ob das Start-up scheitert, wie die meisten seiner Art. Wer in dieser Phase keinen Geldgeber findet, bleibt auf der Strecke, egal wie gut die Geschäftsidee ist. Allein: Wie findet das Start-up einen Investor, der bereit ist, sein Geld auf ein junges Pferd zu setzen? Und wie spürt der wagemutige Investor das nächste WhatsApp auf?

Online-Plattform ersetzt informelle Kontakte

Das Aufspüren von Start-ups mit Potenzial haben sich die Business Angels zur Aufgabe gemacht. Meist sind sie selbst erfolgreiche Gründer, die gutes Geld verdient haben, oder erfahrene Branchenkenner, zum Beispiel Manager in einem Grosskonzern, die ihr Geld und Wissen als Privatpersonen weitergeben wollen. In den USA gibt es rund drei Millionen solcher Start-up-Finanzierer, schätzt das Business-Angel-Netzwerk Banson. Auch hierzulande häufen sich die Investitionen von Business Angels. Das Problem: Von den rund fünf Milliarden Euro an jährlichem Wagniskapital in Europa sind nur gerade zehn Prozent sichtbar; der Rest fliesst über informelle Kontakte und Netzwerke.

Diesen Markt will das Investorennetzwerk «investiere.ch», das seit 2010 Geldgeber und Jungunternehmen zusammenbringt, umkrempeln. Die Online-Plattform stellt vielversprechende Start-ups vor und ermöglicht ihnen den Kontakt zu interessierten Investoren. Zu den über 5’000 registrierten Mitgliedern auf «investiere» gehören rund 1’000 akkreditierte Investoren. Sie können, falls ihnen eine Geschäftsidee zusagt, einen Betrag ab 10’000 Franken in Aussicht stellen. Der Unternehmer prüft ihren Antrag und genehmigt den Zugriff auf seinen detaillierten Businessplan und eine weitreichende Dokumentation. Erst wer nach einer genauen Prüfung der Unterlagen und einem Treffen mit den Unternehmern von der Geschäftsidee überzeugt ist, verpflichtet sich, das Kapital zu zeichnen. Ist die vorher festgelegte Mindestsumme erreicht, wird die Finanzierungsrunde abgeschlossen.

Finanzierungsrunden sind meist überbucht

Bis sich ein Start-up auf «investiere» präsentieren darf, wird es auf Herz und Nieren geprüft. Aus tausenden Geschäftsideen hat «investiere» in den ersten drei Jahren erst 29 eine Plattform gegeben, davon schlossen 26 die Finanzierungsrunde erfolgreich ab. «Erfolg im Geschäft mit dem Wagniskapital hat, wer den Schrott effizient filtern kann», sagt Steffen Wagner, Mitgründer und Geschäftsführer von «investiere». Die rigide Vorauswahl liegt im eigenen Interesse: Gut die Hälfte der Gebühren erhält «investiere» in Form von Anteilen am finanzierten Start-up. Dabei verlässt sich «investiere» auf die eigenen Experten, die das Start-up auf Marktpotenzial, Produkt, Team und vieles mehr prüfen, auf Drittmeinungen von Branchenexperten und letztlich auf die soziale Kontrolle im Investorennetzwerk selbst.

Bei den üblichen Crowdfunding-Plattformen bringt eine Masse aus kleinen Beträgen den Erfolg. Bei «investiere» ist vielmehr die Qualität der Investoren entscheidend. «Wir sehen uns als Netzwerk, das gut vernetzte und erfahrene Investoren mit Schweizer Top-Start-ups zusammenbringt», sagt Wagner. Da viele Finanzierungsrunden überbucht sind und mehr Kapital als benötigt in Aussicht gestellt wird, können die Unternehmer ihre Geldgeber oft auswählen. Und weil für Start-ups gute Kontakte in der Branche wichtiger sein können als das blosse Kapital, erhält nicht unbedingt derjenige den Vorzug, der mehr investiert. Ein branchenerfahrener Investor, der bei der Finanzierung die Führungsrolle übernimmt und dem die Co-Investoren vertrauen, ist weit mehr wert.

Start-ups aufspüren für Grossunternehmen

Täglich senden Jungunternehmer ihre Businesspläne an «investiere». Doch von den bisher zustande gekommenen Deals ist nur jeder Fünfte per Blindbewerbung eingegangen. Über vierzig Prozent der finanzierten Start-ups waren Vorschläge aus dem eigenen Netzwerk. «Wir haben bald gemerkt, wie wichtig die Online-Community ist, um hochstehende Start-ups zu finden», sagt David Sidler, Kommunikationschef bei «investiere». Die erfahrenen Investoren wirken wie ein Filter und liefern im Durchschnitt bessere Geschäftsideen. Deshalb richtete «investiere» für die registrierten Nutzer ein Online-Instrument ein, das wie ein Ökosystem funktioniert. Dort können die Investoren selbst interessante Start-ups einbringen, und wenn sich genügend andere dafür interessieren und das Unternehmen liken, wird die «investiere»-Crew darauf aufmerksam.

In letzter Zeit suchen immer mehr Grossunternehmen die Zusammenarbeit mit «investiere». Es hat sich herumgesprochen, dass das Start-up-Netzwerk gut darin ist, Jungunternehmen einzuschätzen. «investiere» will nun seine Dienstleistung ausbauen, um für Grossunternehmen Start-ups zu identifizieren. «Das tun wir nicht nur, weil wir damit Geld verdienen», sagt Wagner. Vielmehr würden die Start-ups dank der Vernetzung mit Grossunternehmen von deren Vertriebskanälen und Marktkenntnissen profitieren. Darüber hinaus sind Grossunternehmen natürlich auch mögliche Käufer.

Zehn-Millionen-Grenze geknackt

Das Modell von «investiere» scheint zu funktionieren. Gesamthaft konnte die Plattform seit dem Start 2010 über zehn Millionen Start-up-Kapital aufbringen. Zudem werden die gesammelten Summen immer grösser – im Moment liegen sie meist zwischen 400’000 und 700’000 Franken. Immer öfter zeichnet ein führender Investor gleich einen grossen Anteil, zum Beispiel 100’000 Franken. «investiere» wächst, weil immer mehr Investoren, Branchenkenner und Unternehmer zur Community stossen. Zudem ist die Plattform – wie es sich für ein Start-up-Unternehmen gehört – in stetigem Wandel und wird fortwährend erweitert.

Zuletzt wurde der Akkreditierungsprozess formalisiert, den ein Investor durchlaufen muss, bevor er Zugang zu den laufenden Finanzierungsrunden erhält. Um akkreditiert zu werden, muss der Investor unter anderem einen Fragebogen ausfüllen, der zeigt, ob er die Risiken des Wagniskapitals richtig einschätzt. In der Schweiz ist die Start-up-Finanzierung noch kaum reguliert, die Plattform untersteht nicht der Finma. Dieses Vorgehen orientiert sich daher an internationalen Standards. «investiere» möchte damit künftigen Regulierungen zuvor- kommen.

Steffen Wagner (Foto: Livia Eichenberger)
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David Sidler (Foto: Livia Eichenberger)

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