Juristin aus Leidenschaft

Die Professorin für Völker- und Europarecht über Tanztheater, das Nachtleben in Connecticut und den sparsamen Umgang mit ihrer Freizeit.

Als prisma im «Kafi Franz» eintrifft, nimmt Patricia Egli gerade den letzten Bissen ihres Gipfelis. Im Hintergrund zischt die Kaffeemaschine. Eigentlich hatte die Juristin uns auf einen Spaziergang eingeladen, aus logistischen Gründen verlegten wir das Gespräch jedoch in eines der gemütlichsten Cafés der Gallusstadt. Mit einem Lächeln begrüsst die Professorin uns und beginnt das Gespräch zugleich mit der Frage, ob wir unseren Break bisher genossen hätten. Das Eis, hätte es je welches gegeben, wäre somit sofort gebrochen.

Slam Dunks und Pirouetten

Aufgewachsen ist die zierliche Professorin in Rapperswil-Jona am Zürichsee. Als jüngste von drei Mädchen sei ihre Kindheit sehr «behütet» gewesen. Die Schwestern hätten ihr sogar sämtliche Diskussionen erspart, wann sie aus dem Ausgang zurück sein müsse, erinnert sich Egli scherzend. Wegen ihrer filigranen Statur passt Patricia Egli gut ins Bild der «kleinen Jüngsten», nicht aber in dasjenige einer Basketballerin. Genau an dieser Sportart aber fand sie Gefallen. Dennoch tauschte sie bald darauf den Basketball gegen Ballettschuhe und die Turnhalle gegen die Theaterbühne und entdeckte darin ihre grosse Leidenschaft. Bis zum 16. Lebensjahr perfektionierte sie dreimal wöchentlich Plié und Pirouetten oder widmete sich dem Schauspiel. Detailliert erzählt sie uns von ihren früheren Tanztheateraufführungen und blüht dabei förmlich auf. Irgendwann liess der volle Zeitplan dem musischen Engagement keinen Platz mehr, die Passion jedoch blieb bestehen. Bis heute verfolgt sie jährlich die jungen Ballerinas, die am «Prix de Lausanne» konkurrieren.

Von der Kauffrau zur Juristin

Die Schulzeit verlief «völlig normal», wie Egli rückblickend beschreibt. Mit einer Ausnahme, so die Professorin, deren Gerechtigkeitssinn schon im Jugendalter ans Licht kam. Patricia Egli schloss nicht direkt mit Matura ab. Bereits in der 6. Klasse mussten sich die Mädchen zwischen Geometrie und Handarbeit entscheiden, wobei sie dem kreativen Vorbild ihrer Schwestern folgte. Ohne Geometrie konnte man aber nicht ins Gymnasium übertreten. Deshalb erwarb Egli anstatt der Matur vorerst das Handelsdiplom, obwohl sie eigentlich Geschichte studieren wollte. Da das kaufmännische Berufsfeld den Interessen der Professorin nicht gerecht wurde, holte sie die Matur unmittelbar nach. Was heute als selbstverständlich gilt, war damals ein fast revolutionäres Unterfangen. Entgegen der demotivierenden Einflüsse seitens der Lehrer meisterte Egli diesen Weg – mit Bravour.

Statt der neolithischen Revolution oder den antiken Griechen widmete sich Egli dem Recht. So richtig auf den Geschmack kam sie dann während des Studiums an der HSG. Vor allem der Bezug von Schweizer Verfassungsrecht zu internationalem Recht fasziniert sie. Wie brennend die Leidenschaft für ihr Spezialgebiet ist, bleibt während des Gesprächs nur schwer unbemerkt. Sie lässt die Gelegenheit nicht aus, unsere Kenntnisse über die Spezialitäten des Schweizer Rechtssystems, genauer gesagt der (fehlenden) Verfassungsgerichtbarkeit, mit einer Randbemerkung über «Artikel 190 BV» aufzufrischen.

«Sieben Bundesräte, hallo?!»

Obwohl Patricia Egli an der HSG einst lernte und heute lehrt, verbrachte sie keineswegs die gesamte Zeit in St.Gallen. Ihren Master absolvierte die heutige Professorin an der Yale University. Besonders in Erinnerung blieben ihr die vor Studienantritt erhaltenen Sicherheitshinweise des lokalen Police Department, welche auf höchste Vorsicht hinwiesen. «Oh mein Gott, wo gehe ich bloss hin?», beschreibt Egli ihren ersten Schock schmunzelnd. Um die Geografie der USA etwas aufzufrischen: Die Yale University liegt nicht in einer Grossstadt, sondern in New Haven, einem gemäss Egli «kleinen Kaff» in Connecticut. Somit lernte die Professorin das amerikanische Provinzleben par excellence kennen und verbrachte die Samstagabende beim Pizzaessen, statt sich ins (nicht vorhandene) Nachtleben zu stürzen. Während ihrer Zeit in den USA konnte Patricia Egli viele wertvolle Erfahrungen sammeln und auch vom internationalen Austausch extrem profitieren. Sie berichtet von der intensiven Auseinandersetzung mit dem Schweizer Rechtssystem, welche mit der Rechtfertigung gegenüber Menschen anderer Nationen automatisch stattgefunden hätte. «Schliesslich muss man einem Amerikaner erst mal erklären, warum die Schweiz sieben Bundesräte hat!», fügt sie lachend hinzu.

Professorin mit Leidenschaft

Nach ihrem USA-Aufenthalt zog es Egli weiter ans Max-Planck Institut in Heidelberg, ein weiterer Höhepunkt ihrer Laufbahn. Dort widmete sie sich ganz der Forschung. Aus dieser Erfahrung nahm sie ausserdem den Anstoss für ihre Habilitation, die zu einem der Meilensteine ihrer Karriere zählt. Patricia Egli kann durchaus mit Stolz auf ihren akademischen Werdegang zurückblicken, und zurecht tut sie dies auch. «Nach spannender und intensiver Forschungszeit ist es ein wahnsinnig tolles Gefühl, die Resultate einzureichen. Es erfüllt einen mit Stolz und Freude», erzählt sie lächelnd. Mit derselben Freude und viel Herzblut unterrichtet Egli seit 2013 an der Universität St.Gallen. Besonders schätzt sie den Austausch mit den Studenten und hofft, das Interesse der Lernenden zu wecken. Mit ihrer liebenswürdigen und wohlwollenden Art vermag sie es durchaus, ihre Leidenschaft für die Materie auf die Zuhörer zu übertragen.

Freizeit als Delikatesse

Trotz ihres akademischen Erfolgs hat Patricia Egli nie den Boden unter den Füssen verloren. Grosse Ziele setzt sie sich nicht, von deren illusorischem Charakter hält die Pragmatikerin nichts. Dennoch verfügt sie über reichlich Berufserfahrung fernab der Wissenschaft. Unter anderem praktizierte sie als Anwältin und wurde dann Gerichtsschreiberin am Bundesverwaltungsgericht. Heute ist sie neben ihrem 50-Prozent-Pensum an der HSG am Verwaltungsgericht in Zürich tätig, wo sie diesen Sommer zur Ersatzrichterin gewählt wurde.

Mit zwei 50-Prozent Jobs ist Patricia Egli eine vielbeschäftigte Frau. Viel Zeit fürs Privatleben bleibe dabei nicht, gesteht sie. Die akademische Tätigkeit kenne nämlich keine fixen Arbeitszeiten, statt Feierabend bestimmten Deadlines den beruflichen Alltag. «Als Dozentin kann ich nicht einfach frei nehmen – obwohl die Studenten sich daran kaum stören würden», fügt sie scherzend hinzu. Zwei Stellen zu vereinbaren, die wenig Freizeit bieten, sei eine grosse Herausforderung, wobei sie manchmal durchaus an ihre Grenzen stosse. Dennoch versucht Egli, so oft es die Arbeit erlaubt, kleine Pausen zu nehmen, um abzuschalten. Entspannung verschafft sie sich bei kleinen Auszeiten mit ihrem Partner oder einem Kurztrip nach Stockholm, um die Schwester zu besuchen. Ausserdem ist Patricia Egli leidenschaftliche Kino- und Theaterbesucherin. Die Inspiration bietet eine willkommene Ablenkung zum Alltag. Einzig die Verwirklichung ihrer sportlichen Ambitionen hat bisher noch nicht stattgefunden. Wegen Krankheit fand der Berner Frauenlauf letztes Jahr leider ohne Patricia Egli statt, obwohl zur Motivation die zwei Nichten sogar die Startgebühren finanziert hatten. In Zürich-Höngg unweit der Werdinsel wohnt Egli nahe einer der schönsten Joggingstrecken, auf der sie sich öftere Präsenz vorgenommen hat, denn sie weiss: «Sport bietet die beste Möglichkeit, um abzuschalten».

Obwohl die Kaffeetassen bis auf kleine Milchschaumreste längst leer sind, könnten wir uns noch stundenlang mit Patricia Egli unterhalten, die individuellen Zeitpläne erlauben dies jedoch nicht. Als wir uns erheben, fällt der Blick auf den auffälligen Ring an Patricia Eglis Hand. «Das ist eine Litchi – man erkennt sie an der Dornenschale – ein Familiengeschenk zum Lizenziat», erklärt sie. So ungezwungen wie das Gespräch begonnen hatte, endet es auch.

Geburtstag: 23. Dezember 1972 in Uznach SG

Hobbys: Kino, Theater, Sport – unter Vorbehalt

Lieblingsmusik: Kate Bush, sonst variierend

Lieblingsbücher: Kolumnen und Bücher von Max Gold

Lieblingsort: nicht geografisch bestimmt, sondern personenbezogen

Foto: Livia Eichenberger


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