Kantianischer Akademiker in Südkalifornien

Der Akademiker und Politikwissenschaftler Ronald Bee lehrt seit über 15 Jahren an der San Diego State University in Südkalifornien. prisma traf den Professor und sprach mit ihm über die europäische Identität, die politische Wirkung von Mehrsprachigkeit und warum Amerikaner nicht wählen gehen.

Ich treffe Ronald Bee in seinem Büro auf dem Campus der SDSU. Der nüchtern eingerichtete Raum bietet kaum mehr als zwei Personen Platz und scheint ein begehrter Ort auf dem Campus zu sein. Nach dem Interview steht knapp ein Dutzend weiterer Studenten Schlange, um eine Audienz beim gebürtigen Kalifornier zu erhalten.

Bee selbst spricht in angenehm ausformulierten Sätzen, wie man sie sonst nur in den Nachrichten, oder eben von einem erfahrenen Pädagogen vernimmt und besitzt das sympathische Lächeln eines amerikanischen Politikers. Der grosse, gepolsterte Ledersessel, in den er sich entspannt zurücklehnt, komplettiert diesen Eindruck. Nach einer entsprechenden Geste setze ich mich ebenfalls und wir beginnen unser Gespräch.

Gebürtiges zoon politikon

Dass Ronald Bee gerade in der Politikwissenschaft gelandet ist, war bereits früh in seinem Leben absehbar. Seit jeher habe er sich im akademischen Bereich für Politik interessiert. «Ich kandierte bereits in der Grundschule für das Amt des Schülersprechers. Dasselbe tat ich dann auf der Highschool und im College» erzählt Bee und fügt mit einem gewissen Stolz an «und habe auch jedes Mal gewonnen.» So erschien es schlicht als logische Konsequenz, nach dem College gen Washington D.C. aufzubrechen, um für jene Männer zu arbeiten, welche die Geschicke des ganzen Landes lenken. Von Anfang an habe ihn die Aussenpolitik jedoch mehr gereizt als die inneren Angelegenheiten. Diese Neigung erklärt sich Bee vor allem durch seine Faszination für fremde Sprachen: «Ich war seltsam als Jugendlicher. Statt wie alle anderen Spanisch, wollte ich Französisch und Deutsch lernen, wie mein englischer Grossvater.»

Sehnsuchtsziel Europa

Die Ambition, diese beiden Sprachen auch wirklich zu beherrschen, trieb den Amerikaner dann auch früh auf den europäischen Kontinent. «Für mich war es stets ein Imperativ, an einem Ort zu leben, wo die zu erlernende Sprache auch wirklich gesprochen wird. Nur so versteht und lernt man diese auch richtig», stellt der Professor bestimmt fest. Bereits während seiner Studienzeit an der University of California nutzte er die Gelegenheit, um ein Austauschsemester im französischen Grenoble zu absolvieren. Dies sei eine immens wichtige Erfahrung für seine Sprachkenntnisse gewesen und habe zusätzlich seine Wanderlust geweckt. Zu diesem ersten Aufenthalt kamen deshalb ein Jahr Arbeitserfahrung im Büro des Berliner Bürgermeisters in Deutschland sowie zahlreiche weitere Reisen hinzu, sodass Bee insgesamt sechs Jahre auf dem alten Kontinent verbrachte.

Europäische Kultur ?

Auf die Frage, was er denn von der europäischen Kultur halte, gibt Bee eine Antwort, zu der nur ein Amerikaner fähig ist, der die Europäer wirklich verstanden hat: «Gibt es denn überhaupt eine europäische Kultur?» Gemäss seiner Erfahrung, sollte man vielmehr von einer britischen, belgischen oder französischen Kultur sprechen, da sich die Länder in so vielen Hinsichten unterscheiden. Eine derart differenzierte Antwort hört man hier in Kalifornien eher selten, wo Europa gemeinhin als föderalistisches Pendant zu den USA wahrgenommen wird.

Einige Gemeinsamkeiten findet Bee dann aber doch noch: «Europäer witzeln ständig über ihre Nachbarn. Die Franzosen über die Briten, die Westschweizer über die Deutschschweizer oder die Deutschen über die Italiener.» Das Verständnis für diesen Humor habe ihm den Zugang zu den unterschiedlichen Kulturen wesentlich erleichtert. Auch die Mehrsprachigkeit, die viele Europäer eigen ist, sieht er als verbindendes Element.

Sprache als politisches Hindernis

Den amerikanischen Spitzendiplomaten in Europa attestiert Bee indes ein schlechtes Zeugnis. «Ich sehe es als politisches Problem wenn der russische Botschafter an einer Sicherheitskonferenz in Berlin fliessend Deutsch spricht und unser amerikanischer Vertreter nicht über ein Guten Tag hinauskommt» kritisiert Bee. Ähnliches habe er auch bei einem Interview in Frankreich erlebt. Aufgrund seines einwandfreien Französischs, fragten ihn die Franzosen kurzerhand, weshalb nicht er den Posten des amerikanischen Botschafters innehätte. Den Amerikanern fehle sowohl das Interesse als auch die Notwendigkeit mehr als eine Sprache zu lernen. «Langfristig muss sich das ändern», postuliert der Kalifornier.

Aversion zur Regierung

Neben dem Monopol der englischen Sprache analysiert der Politikwissenschaftler auch das Phänomen der stets niedrigen Wahlbeteiligung der Amerikaner in den Midterms, den alle vier Jahre stattfindenden Kongresswahlen.

Bee nennt drei Hauptursachen: Erstens sei die amerikanische Mentalität seit jeher von einer Aversion für die Zentralregierung geprägt. «Wir sind selbständig und brauchen keine fremde Hilfe», so das Credo der meisten Amerikaner. «Des Weiteren grassiert in den USA eine starke Form der Betroffenheitsdemokratie» führt er weiter aus. Solange es den amerikanischen Bürger nicht betrifft geht er auch nicht wählen. Den dritten Grund sieht der Akademiker in der Polarisierung des politischen Prozesses. Der Graben zwischen den beiden Parteien sei mittlerweile derart gross geworden, dass objektive Politik kaum noch möglich sei. «Nicht einmal das Staatsbudget wurde in der gegebenen Zeit ratifiziert», ärgert sich Bee. Dies führe zu einem beinahe kafkaesken Misstrauen in die Funktionalität der Regierung. Doch er sieht auch produktive Reaktionen auf diese Entwicklung: «In Zukunft werden die Wähler unabhängiger Kandidaten zunehmen.»

Mit Blick auf die Uhr und einem freundlichen Händedruck beenden wir das Gespräch und ich zwänge mich an den draussen wartenden Studenten vorbei. Als ich in die strahlende südkalifornische Sonne trete, bleibt mir neben meinem bescheidenen Englisch eine Erkenntnis: Auch hier an der weltfernen, pazifischen Küste finden sich kritische und aufgeklärte Geister, die sich Gedanken über das politische Geschehen machen und den Unterschied zwischen Westschweizern und Deutschschweizern kennen. Kant wäre beeindruckt.


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