Stress – Die Würze des Lebens

Täglich begegnen wir ihm und müssen uns mit ihm arrangieren: Stress. Eine kleine Anleitung, wie wir den alltäglichen Kampf vermeiden oder gewinnen können.

Da ist es wieder, dieses Gefühl. Die Hände werden nass, der Nacken verkrampft und man hat den Eindruck, nicht Herr der Lage zu sein. Es hält uns am Abend wach und sorgt dafür, dass wir uns unruhig im Bett hin- und her wälzen. Selbst die Fahrt zur Arbeit oder zum Studium ist nicht mehr dieselbe. In Gedanken versunken überdenken wir immer wieder und wieder die Situation. Kann ich das schaffen? Bin ich gut genug? Was, wenn nicht? Die einen verkraften es besser, die anderen sind nur noch angespannt und explodieren beim kleinsten Problem. Mit einem Wort: Stress. Jeder erlebt ihn, fast jeden Tag. An bestimmten Tagen kommen wir gut mit ihm klar und an anderen erdrückt er uns förm- lich und bringt uns an unsere Grenzen. Doch was ist Stress eigentlich? Was macht er mit uns und wie sollen wir mit ihm umgehen?

Stress, der evolutionäre Reflex

Um Stress verstehen zu können, müssen wir zurück in die Vergangenheit des Menschen – in eine Zeit ohne Internet und Strom, welche noch von Raubtieren und Höhlen geprägt war. Nehmen wir durch unsere Sinne eine Gefahr war, beispielsweise den bedrohlich wirkenden Säbelzahntiger, so löst dies einen tief verankerten Reflex aus. Körperlich betrachtet ist Stress nichts weiteres als ein Alarmprogramm, durch das in kurzer Zeit viel Energie bereitgestellt wird. Herzschlag, Atemfrequenz und Blutdruck steigen, während die Muskeln durchblutet und angespannt werden. Körper und Kreislauf sind bereit, durchzustarten. In der Biologie würde man von einem «fight or fligth»-Szenario sprechen: kämpfen oder fliehen. Aber was vor 10’000 Jahren nützlich sein konnte, ist heute in einer entscheidenden Prüfung, einer Präsentation oder dem Vorstellungsgespräch für den Traumjob weniger hilfreich. Mit zunehmendem Stresslevel kommen immer mehr Schwierigkeiten auf. Die Fähigkeit, rational zu denken und alle Aspekte eines Problems zu sehen, schwindet. Was zuvor noch glasklar erschien, ergibt nun überhaupt keinen Sinn mehr. Wir merken, wie uns die Situation aus der Hand gleitet und wir ihr plötzlich ausgeliefert gegenüberstehen, ohne zu wissen, wie es nun weitergeht.

Von «Burnout» zu «Boreout»

Manch einer würde nun dazu tendieren, Stress aus seinem Leben völlig verbannen zu wollen. Man könnte versuchen, jede potenziell «gefährliche» Situation zu umgehen, doch ist das die Lösung? Ganz klar nicht! Schon der Mediziner Hans Selya sagte um 1950: «Stress ist unser ständiger Begleiter, solange wir Leben. Manchmal geht uns seine Anhänglichkeit auf die Nerven; dennoch verdanken wir ihm jeden persönlichen Fortschritt und erreichen durch ihn immer höhere Stufen geistiger und körperlicher Weiterentwicklung. Er ist die Würze des Lebens.» Schon Anfang des letzten Jahrhunderts fand man heraus, dass die maximale Leistung eines Menschen Stress und Belastung voraussetzt. Jemand, der ständig unterfordert ist, hat kaum Antrieb und wird sich nur schwer für Neues begeistern lassen, was von Experten als «Boreout» bezeichnet wird. Wer dagegen immer unter Stress steht und sich überfordert fühlt, wird Leistungseinbussen, Motivationsausfall und Krankheit erleben. In harten Fällen kann es sogar zu einem Zusammenbruch führen – einem «Burnout». Man muss sich eingestehen, dass Stress zu unserem Leben dazugehört und nicht ausgeklammert werden sollte. Ein gesundes Stress-Niveau bringt die letzten fünf Prozent aus uns heraus. Ziel ist es, Stress in seinem Alltag zuzulassen und sich nicht in die vermeindliche Sicherheit der Routine zu retten.

Stress ist oft hausgemacht

Im Alltag wird das Wort «Stress» übermässig oft verwendet. Steht man im morgendlichen Stau oder muss unzählige Aufgaben gleichzeitig erledigen, bezeichnet man sich schnell als gestresst. In solchen Momenten ist man beansprucht, jedoch noch nicht gestresst. Ab wann kann man also von Überbelastung und nicht mehr nur von Belastung sprechen. Was sind die Auslöser? Zunächst kann man zwei Ebenen von sogenannten Stressoren identifizieren. Einerseits kann uns Druck von aussen in einen gestressten Gemütszustand bringen – egal, ob es der Lärm vom Spielplatz nebenan oder der Zeit- und Leistungsdruck in der Schule ist. Es ist auch möglich, dass wir uns selbst unter Druck setzen, weil wir immer fehlerfrei arbeiten möchten oder stets alles alleine erreichen wollen. Ein Grossteil der Stressauslöser findet sich bei uns selbst, und somit ist es ein guter Ansatz, an seinem eigenen Denken etwas zu ändern. Man tut gut daran, sich realistische Ziele zu setzen und neue Aufgaben als Herausforderung und nicht als Gefahr zu sehen. Ob wir ein Problem als gefährlich einstufen, hängt davon ab, wie wir die Konsequenzen des Gelingens oder Misslingens kalkulieren. Es ist somit möglich, dass zwei Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten und Erfahrungen eine Situation völlig unterschiedlich wahrnehmen. Stress entsteht schlussendlich in unserem Kopf – wir können versuchen, das Kalkulieren zu unterlassen oder aber alle Konsequenzen zu erkennen und damit angemessen umzugehen.

Stressabbau ist lernbar

Anstatt mit Techniken zu versuchen, seine eigene Widerstandsfähigkeit zu stärken, gibt es auch die Möglichkeit, schon aufgestauten Stress wieder abzubauen. Es ist empfehlenswert, schon im Alltag kleine Zeitinseln in Form von Pausen einzuplanen. Wer regelmässige und geplante Pausen macht, ist leistungsfähiger und länger belastbar. Ebenfalls sollte auf eine ausgewogene Ernährung geachtet werden. Personen, die unter Stress stehen, nehmen häufig zu viel und zu energiereiche Nahrung zu sich. Es können Folgekrankheiten wie Übergewicht oder Kreislaufprobleme entstehen und wiederum Stress erzeugen.

Sport im Allgemeinen hat einen stark mindernden Einfluss auf das Stressniveau des Menschen. Schon 60 Minuten sportliche Betätigung pro Woche können nachweislich den Stress reduzieren, sofern man nicht Ziele verfolgt, die zu hoch angesetzt sind. In diesem Zusammenhang sollte der Spass im Vordergrund stehen, da man sich sonst nur selbst ärgert und schlussendlich noch gestresster zu Hause ankommt als zuvor. Ein letztes und oft unterschätztes Element bildet der Schlaf. Es geht hier nicht um die Anzahl Stunden, sondern um die Qualität des Schlafes. Abends ist es von Vorteil, sein Smartphone zur Seite zu legen und sich nicht bis kurz vor Schlafenszeit vom Fernseher berieseln zu lassen. Rituale wie Musik oder Gespräche mit anderen haben einen beruhigenden Einfluss. Sich mit 9gag, Facebook oder anderen Seiten in den Schlaf zu scrollen, ist keine gute Idee. Künstliches Licht mindert die Produktion des Schlafhormones Melatonin und hält wach.

Stress gehört zu unserem Leben und wir müssen lernen, damit umzugehen. Wem es gelingt, durch Bewegung, Ernährung und Schlaf seinen Stress im Zaun zu halten, wird auch den Alltag bewältigen können.


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