Forschen für das Kapital

Ein Forschungsinstitut der Universität St. Gallen hat eine Studie zu den ökonomischen Auswirkungen der Erbschaftssteuerinitiative publiziert. Wieder ist der Auftraggeber ein bürgerliches Komitee. Ist die unabhängige Forschung an der HSG gefährdet?

Am 14. Juni dieses Jahres dürfen die Schweizerinnen und Schweizer wieder einmal über ein Anliegen aus dem Volk an der Urne abstimmen. Die «Erbschaftssteuerinitiative» will Erbschaften und Schenkungen künftig mit einem Satz von 20 Prozent besteuern. Ein einmaliger Freibetrag von bis zu zwei Millionen Franken soll weiterhin steuerfrei vererbt werden können. Schenkungen fallen ebenfalls unter diese Kategorie, sofern sie nicht mehr als 20’000 Franken pro Jahr betragen. Des Weiteren sieht der Initiativtext «besondere Ermässigungen» für landwirtschaftliche Betriebe und Familienunternehmen als Erbschaften vor, solange diese mindestens zehn Jahre von den Erben weitergeführt werden. Die genauen Regelungen müssten somit auf Gesetzesstufe erfolgen. Die Erträge aus dieser Steuer würden zu zwei Dritteln in die Kasse der AHV fliessen und zu einem Drittel den Kantonen zukommen, so will es die Initiative.

Die politischen Lager haben zu diesem Anliegen aufgrund der ideologischen Sprengkraft bereits klar Stellung bezogen. Die Linke sieht in der Initiative ein legitimes Instrument der Vermögens- um- oder -rückverteilung, während die bürgerliche Fraktion einen Angriff auf liberale Grundsätze und darüber hinaus eine Gefährdung der ökonomischen Grosswetterlage in der Schweiz wittert.

Studie der Gegner

Um ihre Anliegen mit einem wissenschaftlichen Fundament zu unterlegen, haben die Gegner der Initiative eine Studie in Auftrag gegeben, welche die volkswirtschaftlichen Folgen der Erbschaftssteuer untersuchen sollte. Verfasser der Studie war dabei kontroverserweise ein Forschungsinstitut der Universität St.Gallen. Geleitet wurde die Studie vom ehemaligen Nationalrat und emeritierten Professor Franz Jaeger. Vergangenen März wurde die Studie publiziert und den Medien vorgestellt. Die Resultate wurden den Hoffnungen der Auftraggeber mehr als gerecht: Über 12’000 Arbeitsplätze werden laut Studie mit der Initiative verloren gehen und das jährliche Wirtschaftswachstum um rund 0.12 Prozent des Bruttoinlandprodukts sinken. Auch die übrigen Erkenntnisse lesen sich wie ein Sammelsurium an Argumenten für die Initiativgegner.

Bezahlte Auftragsarbeit

Bei den Befürwortern der Initiative ist die Kritik am wissenschaftlichen Wert der HSG-Studie dementsprechend deutlich: «Die zitierte Studie ist offensichtlich eine bezahlte Auftragsarbeit, welche die vorgefassten Thesen der Initiativgegner zu stützen hatte», sagt Andreas Käsermann, Kampagnenleiter der Initianten. Über den wissenschaftlichen Wert der Studie urteilt der ehemalige Medienverantwortliche der SP Schweiz weiter: «Zentraler Kritikpunkt ist, dass sich die Autoren nicht einmal die Mühe genommen haben, den seit Monaten bekannten vorgeschlagenen Freibetrag von 50 Millionen Franken für Unternehmen und den Steuersatz von fünf Prozent in Betracht zu ziehen. Unter wissenschaftlicher Arbeit verstehen wir etwas anderes.»

Der Verfasser der Studie, Franz Jaeger, zeigt sich von solchen Vorwürfen unbeeindruckt: «Mir ist klar, dass nach unserer Studie solche Vorwürfe von dieser Seite kommen. Die Resultate sind jedoch wissenschaftlich fundiert, methodisch nachvollziehbar und haben nichts mit politischem Wunschdenken zu tun». Man habe intern auch die 50 Millionen Freibetrag gerechnet und könne auch jeden anderen Betrag rechnen.

In der Studie habe man diesen jedoch nicht berücksichtigt, weil es sich dabei um reine Spekulation handle und jeder andere Betrag über den 20 Millionen vom Gesetzgeber durchgesetzt werden könne. «Mit den Auswirkungen einer Bundeserbschaftssteuer in der Schweiz beschäftige ich mich seit vielen Jahren. Der Auftrag der Unternehmergruppe erfolgte erst im letzten Herbst und die Entschädigung des Auftraggebers an die HSG konnte knapp die Kosten der Studie decken», sagt der Wissenschaftler weiter zum Vorwurf der monetären Motivation. Vielmehr sei es seine Pflicht, als Ökonom die nötige Expertise in den politischen Diskurs zu bringen.

Bekanntes Muster

Die Debatte erinnert stark an die Diskussionen rund um die «1:12-Initiative» im Jahr 2014. Auch damals publizierten Forscher der Universität St.Gallen eine Studie, welche im Fall einer Annahme der Initiative grossen wirtschaftlichen Schaden prognostizierte.

Hinsichtlich der Rolle der HSG werfen beide Fälle über die Diskussion um deren Inhalt hinweg dieselbe ethische Grundsatzfrage auf: Wo befindet sich die Grenze zwischen legitimer Forschungsfinanzierung und dem drohenden Verlust von deren Unabhängigkeit? Die Gratwanderung entlang dieser Grenze gestaltet sich durch den steigenden Spardruck der Kantone, der oftmals unmittelbar auf Bildungsinstitutionen abgewälzt wird, für viele Universitäten und insbesondere für die HSG mit ihrem hohen Grad an Eigenfinanzierung zunehmend schwieriger. Auf der einen Seite müssen die finanziellen Mittel für ressourcenstarke und fundierte Forschung sowie deren Infrastruktur von jemandem zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist politisch motivierte Forschung an sich durchaus legitim, sofern deren Ziel und Zweck transparent deklariert werden. Auf der anderen Seite muss jedoch die Frage erlaubt sein, ab welchem Grad monetärer Abhängigkeit – und dem damit verknüpften Wunsch des Auftraggebers – unabhängige Forschung mit objektiven und wissenschaftlich fundierten Resultaten aufgrund eines unüberwindbaren Zielkonflikts zur Unmöglichkeit verkommt.

Franz Jaeger kennt diese Grundsatzfrage aus eigener Erfahrung: «Während meiner ganzen Tätigkeit als Forscher wurde ich permanent mit dieser Thematik konfrontiert.» Dabei habe er stets darauf geachtet, seine wissenschaftliche Integrität zu wahren. Dies habe in der Vergangenheit auch schon zu Rechtsstreitigkeiten geführt: «Ein Auftraggeber war damals stocksauer, weil die Resultate der Studie nicht seinen Wünschen entsprachen». Mit der zunehmenden Privatisierung der Geldquellen der Schweizer Universitäten hat er hingegen keine Probleme, solange dabei die nötigen Kontrollinstanzen geschaffen würden, welche die Unabhängigkeit der Forschung weiterhin garantieren. Wichtig sei für Forscher zudem, stets über ein pluralistisches Feld von privaten Sponsoren zu verfügen, um eine zu starke Bindung an nur einen Auftraggeber zu verhindern.

Trotz dieser beschwichtigenden Worte wird sich die Debatte um die Abgrenzung notwendiger Forschungsfinanzierung von monetär manipulierter Wissenschaft in Zukunft wohl weiter verschärfen. Die Hochschullandschaft der Schweiz steht vor einem grossen Umbruch, in welchem deren Werte und Prioritäten grundlegend diskutiert werden müssen.

Ob die beiden Studien der Institute der Universität St.Gallen diese ethische Grenze überschritten haben, ist indes unweigerlich eine politische Frage und dadurch ausschliesslich subjektiv zu beantworten. Ihre zahlreichen Kritiker und das Klischee der «Kaderschmiede des Kapitalismus» wird die Universität durch solche Studien aber gewiss auch in Zukunft nicht verlieren.

Illustration Roman Schister


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