Pro/Contra: Die Durchsetzungsinitiative

PRO: Der Abstimmungssonntag mit der Durchsetzungsinitiative rückt unerbittlich näher. Die Stimmungslage wirkt zunehmend gereizt. Der Ausgang bleibt aber weiterhin offen. Fokus, worauf es ankommt.

Matthias Müller findet,
Matthias Müller findet, dem Volkswillen sei getreu nachzuleben.

Wahrlich: Die Durchsetzungsinitiative ist nicht das Gelbe vom Ei. Sie weist Mängel auf. Ein Verzicht auf die Prüfung der Verhältnismässigkeit im Einzelfall ist einer davon – und wohlmöglich der Gravierendste.  Und dennoch geniesst das Volksansinnen bis jetzt anhaltenden Rückgrat in der Bevölkerung. Ein Zeichen dafür, dass das Vertrauen in die Regierungselite gefährlich nahe am Gefrierpunkt angelangt ist? Vielleicht.

Der eigentliche Zankapfel zwischen Gegnern und Befürwortern betrifft nicht unbedingt nur den an Präzision angereicherten Katalog der Delikte. Die Knacknuss liegt vor allem bei der Härtefallklausel, die durch das Parlament im Ausführungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative verankert wurde. Man erinnert sich: Volk und Stände haben im Jahre 2010 mit 53% die Ausschaffungsinitiative der SVP angenommen. Der Gegenvorschlag, welcher unter anderem eine Härtefallklausel vorgesehen hatte, wurde von allen Ständen und mit insgesamt 54.2% Nein-Stimmen abgelehnt. Schon damals drehte sich das politisch-juristische Gezänke um die eben besagte Ausnahmeregelung. Ein unvoreingenommener Blick in das Abstimmungsbüchlein des Bundesrates bestätigt dies. Die Landesregierung hielt darin fest, dass die Initiative „Ausländerinnen und Ausländern automatisch und unabhängig das Aufenthaltsrecht entziehen“ will. Der Gegenentwurf hingegen forderte, „dass beim Entscheid über den Entzug des Aufenthaltsrechts die Grundrechte und Grundprinzipien der Bundesverfassung und das Völkerrecht zu beachten sind [diese verlangen eine Verhältnismässigkeitsprüfung; siehe z.B. Art. 8 EMRK]; er steht deshalb im Einklang mit der BV und dem Völkerrecht.“ Einfach ausgedrückt: Die Ausschaffungsinitiative steht im Widerspruch zu wichtigen Maximen und untergräbt insbesondere den richterlichen Ermessensspielraum. Und trotzdem: Die Ausschaffungsinitiative wurde angenommen.

Man mag diesen Schritt nun beklagen, befürworten oder falsch finden. Aber war es richtig vom Parlament, im Endspurt der Gesetzgebung dennoch eine im Vorfeld zur Abstimmung dermassen scharf kritisierte und letztlich mehr oder minder direkt abgelehnte Klausel re-zu-installieren? Wie auch immer die Frage beantwortet wird, im Endeffekt zerschellt die gesamte juristisch-politische Slalomfahrt an der einen Fundamentalfrage: Wie regelt unsere Demokratie die Debatten über unsere Politik? Wer entscheidet in Letztinstanz? Die Bürger in unserem Staat, die Herren und Frauen der Künste, das Parlament oder bald sogar einmal ein Verfassungsgericht?

Unsere Verfassung ist auf jeden Fall eindeutig: Das doppelte Mehr entscheidet. Und das ist auch richtig so. Zwar diszipliniert sie uns in manchen Bereichen, kann gar bisweilen zum unüberwindlichen Monument werden (wenn z.B. gegen das zwingende Völkerrecht vorangegangen wird), aber sie ist weder heilig noch ewig. Sie ist – einfach gesagt – dem Willen der Bürger unterworfen. Denn wo kommt das allgemeine Interesse besser zum Ausdruck als bei einem Volksentscheid?

Ja, unsere Demokratie ist ein fein austariertes System. Aber das Rückgrat bildet die Volkssouveränität. Was will man denn anders? Etwa eine Diktatur der Minderheit? Gilt nicht gerade hier das nicht-verhandelbare Gesetz: Mehrheit vor (vermeintlicher) Wahrheit? In der Demokratie geht man vom mündigen Menschen aus, dem zugetraut wird, dass er autonom und richtig entscheiden kann. Daraus kann nur eine Schlussfolgerung gezogen werden, nämlich dass das Resultat an der Urne bindend ist und respektiert werden muss. Wer in dieser Richtung Zweifel sät oder gar in die Gegenrichtung marschiert, müsste konsequent die Demokratie, wie wir sie heute kennen, abschaffen.

Umgemünzt auf die Durchsetzungsinitiative: Der Ausweisungsautomatismus war das wesentliche Element der Ausschaffungsinitiative und ist es auch in dieser Vorlage. Hätte das Parlament der neuen Verfassungsbestimmung von damals nachleben müssen? Ich wage die These: Ja. Und es hätte sich damit nicht dem europäischen Weltgeist entzogen. Wurde der Verzicht einer Härtefallklausel explizit erwähnt? Vermutlich nicht. Wie ist nun zu verbleiben? Das Parlament und die Justiz sind aufgerufen, den Volkswillen zu achten und diesen nicht mit juristischen Kniffen auszuhebeln – ungeachtet dessen, wie er ausfällt.


CONTRA: Die Initianten hebeln mit ihrer Durchsetzungsinitiative nicht nur fundamentale Verfassungsgrundsätze aus, sondern missbrauchen das Initiativrecht zu ihrer politischen Profilierung. Bei näherer Betrachtung erscheint ihr Verhalten anmassend und heuchlerisch.

Peter Hettich
Peter Hettich – Professor für Öffentliches Wirtschaftsrecht an der HSG – findet, die DSI schafft mehr Probleme, als dass sie löst.

Viele prisma-Leser werden den Appell von uns Rechtsprofessoren gegen die Durchsetzungsinitiative zur Kenntnis genommen haben. Die dort aufgeführten Bedenken werde ich nicht wiederholen: Verfassungsgrundsätze wie Verhältnismässigkeit, Rechtsstaat und Gewaltenteilung kommen im Zusammenhang mit Sicherheit und Kriminalität leider doch eher formaljuristisch daher.

Persönlich muss ich zugeben: Einem Vergewaltiger oder Mörder, der nach rechtskräftiger Verurteilung aus unserem Land ausgeschafft wird, werde ich keine Träne nachweinen. Die heutige und noch mehr die schon verabschiedete zukünftige Gesetzgebung sehen vor, dass diese Landesverweisung auch regelmässig ausgesprochen wird – und das ist richtig so. Obwohl ich Härte gegenüber kriminellen Ausländern durchaus befürworte, habe ich gegen die Ausschaffungsinitiative gestimmt und werde auch gegen die Durchsetzungsinitiative stimmen. Abgesehen vom fehlgeleiteten Inhalt der Initiative ärgert mich vor allem das anmassende und heuchlerische Spiel der Initianten und der hinter ihnen stehenden SVP.

Anmassend sind die Initianten, weil sie sich als Vollstrecker des Volkswillens aufspielen. Dies, obwohl sie – damals wie heute – höchstens knappe Mehrheiten hinter sich scharen können: 52,3% sind nicht das Volk. Vielmehr mangelt es den Initianten selbst an Respekt vor dem Volkswillen: Seit 1970 mussten wir insgesamt 12mal über Initiativen gegen “Überfremdung” oder “Asylmissbrauch” abstimmen; diese Vorlagen wurden bis jüngst allesamt abgelehnt. Zeugt es von Respekt vor dem Volkswillen, wenn das gleiche Thema immer wieder aufgerollt wird, bis sich dann endlich einmal eine knappe Volksmehrheit findet? Zeugt es von Respekt vor dem demokratischen Prozess, wenn man bei der Ausschaffungsinitiative schon im zweiten Jahr der fünfjährigen Umsetzungsfrist Unterschriften für die Durchsetzungsinitiative sammelt? Die letzten Zweifel über die scheinbar hehren Motive dieser Kreise verfliegen, wenn man deren Verhalten bei der Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative betrachtet: Sogar die NZZ sah im Verhalten der SVP (und FDP) einen Verfassungsbruch. Es geht den Initianten also sicher nicht um den “Volkswillen”.

Heuchlerisch sind die Initianten, weil sie das Problem der Ausländerkriminalität nur bewirtschaften, aber nicht lösen wollen. Mit dem automatischen Landesverweis ist die Ausschaffung nämlich noch längst nicht vollzogen. Man kann die weggewiesenen Ausländer nicht einfach an die Grenze stellen. Wer bei Themen wie “Asylchaos”, “Ausländerkriminalität” oder generell “Masseneinwanderung” wirksame Änderungen herbeiführen will, muss also auch die entsprechenden Exekutivbefugnisse für sich beanspruchen. Das in diesem Bereich zentrale Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), dem auch das Staatssekretariat für Migration (SEM) und das Bundesamt für Polizei (fedpol) zugeordnet sind, wird jedoch nach wie vor von BR Simonetta Sommaruga geleitet. Wie die Sozialdemokratin nach den Bundesratswahlen vom letzten Dezember ausführte, haben weder Ueli Maurer noch Guy Parmelin den Wunsch geäussert, ins EJPD zu wechseln. Das heisse Eisen “Migration” wollte offenbar keiner der SVP-Bundesräte anfassen, obwohl es sich um das zentrale Wahlkampfthema der Partei handelte. Ein wohl politisch kluger Entscheid dieser Bundesräte, angesichts dessen, dass die Probleme hier eben nicht mit der Brechstange lösbar sind.

Die Verfassung enthält den Grundkonsens über unser Zusammenleben. Sie ist viel zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen. Weil es um die Verfassung ging, war ich mir jüngst auch nicht zu schade, das Recht der SVP zum Ausschluss von Bundesräten aus ihrer Partei in der Basler Zeitung öffentlich zu verteidigen. Leider haben die politischen Parteien unsere Verfassung aber als Spielwiese für sich entdeckt. Die Linken überfluten uns mit Volksbegehren, die letztlich auf die von ihnen angestrebte “Überwindung des Kapitalismus” zielen (Initiativen zu Konzernverantwortung, Fair-Food, Vollgeld, Nahrungsmittelspekulation, Grundeinkommen, 1:12, Mindestlohn, etc.). Die Rechten quälen uns mit Initiativen zur Einschränkung von Rechtsstaat und Grundrechten (Initiative zu Selbstbestimmung, Durchsetzung, Ausschaffung, Abtreibung, Pädophile, etc.). Auf dieses Dauerfeuer von links und rechts gibt es nur eine richtige Antwort: Nein, Nein, Nein und nochmals Nein.


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