Papas Tesla ersetzt den Porsche

Sport, Super-Papa, Solarenergie – Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen. Mit seiner Leidenschaft für Nachhaltigkeit setzt er sich Tag für Tag am Lehrstuhl für Management erneuerbarer Energien ein. Auch privat lebt er umweltbewusst.

Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen trifft mit dem Velo beim neuen Tibits am Bahnhof St.Gallen ein. Hier habe er noch keinen Stammplatz, in Zürich hingegen schon, meint er lachend. Dass Wüstenhagen ein vegetarisches und veganes Restaurant als Treffpunkt vorgeschlagen hat, ist kein Zufall. Nachdem er sich – «ein bisschen Stereotyp muss sein» – einen grünen Smoothie bestellt hat, setzen wir uns in den ersten Stock des Restaurants. Wir bleiben lieber bei einem Cappuccino.

Die Öko-Diät

Mit 15 Jahren hat sich Wüstenhagen entschieden, sich vegetarisch zu ernähren. Den Anstoss gab das Buch «Diet for a Small Planet» (deutschsprachiger Titel: «Die Öko-Diät»), das er durch seinen Bruder entdeckte. Je mehr er sich in das Thema einlas, desto klarer wurden ihm die Vorteile einer vegetarischen Ernährung.
Auf Fleisch zu verzichten ist nur eine von vielen Massnahmen, die für ihn zu einem nachhaltigen Lebensstil gehören. «Im Herbst ziehe ich lieber auch mal einen Pullover an, als gleich die Heizung aufzudrehen.» Einst schleppte Wüstenhagen mit seinem Kollegen eine Tonne für die Entsorgung von Aluminium mit in die Schule – damals war es noch undenkbar, dass man an jedem Bahnhof getrennte Mülltonnen vorfindet.

Nach Alu kommt Atommüll

Ausgeweitet hat sich das Interesse für Nachhaltigkeit mit der Katastrophe von Tschernobyl 1986. Erneuerbare Energien kamen zum ersten Mal ins Spiel. Dies inspirierte Wüstenhagen auch bei der Studienwahl. Zuerst dachte er an Physik und Umwelttechnik. «Dann kam irgendwoher der Tipp aus dem Umfeld: Du, Wirtschaft spielt auch eine Rolle.» So kam er zu seinem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens in Karlsruhe und Berlin. Nach einigen Zwischenstationen fand Wüstenhagen den Weg nach St.Gallen, wo er seit 2009 den Lehrstuhl für Management erneuerbarer Energien leitet.
In seinem CEMS-Master-Kurs «Model UNFCCC» ist Energie ein wichtiges Stichwort. Der Kurs ist keine klassische Vorlesung, in der die Studenten nur dasitzen und zuhören. Stattdessen simulieren die Studierenden aus St. Gallen und sieben anderen europäischen CEMS-Schools aktiv die UNO-Klimaverhandlungen – das setzt viel persönliche Energie frei.
Auch wenn die HSG mehr für Ökonomie als für Ökologie bekannt ist, hatte sie, im Vergleich zu anderen Universitäten, schon früh ein offenes Ohr für nachhaltige Projekte. Dies dürfte nicht zuletzt dem traditionell hohen Anteil an Drittmitteln zu verdanken sein. Durch Drittmittel können nachhaltige Forschungsprojekte und deren Umsetzung besser finanziert werden. In St. Gallen träfen zudem Leute, die sich für Nachhaltigkeit interessieren, auf solche, die etwas bewegen wollen – daraus ergebe sich eine spannende Mischung, findet Wüstenhagen.

Photovoltaik nicht fotogen?

Die Solarzellen auf dem Dach der Universität sind nach wie vor ein sehr heikles Thema. Da das Hauptgebäude unter Denkmalschutz steht, wurden zahlreiche Vorstösse immer mit derselben Begründung abgelehnt. «Ein paar wenige Entscheidungsträger im kantonalen Baudepartement sind felsenfest davon überzeugt, dass die Gebäude stets so bleiben müssen, wie sie sind. Und weil die Flachdächer so schönen Kies obendrauf haben, sei es undenkbar, darauf Solarzellen
zu installieren», schmunzelt unser Gegenüber.
Nicht nur Wüstenhagen, sondern auch HSG-Studenten versuchen schon jahrelang etwas dagegen zu unternehmen, bisher jedoch erfolgslos. Besonders der studentische Verein oikos war in diesem Bereich sehr aktiv. Wüstenhagen interessiert es brennend, wie die Studierenden das mit den Solarzellen auf dem Dach des Hauptgebäudes sehen. (Auf der Facebook-Seite von prisma findet ihr eine Umfrage zu diesem Thema.)

Schlechte Vorbilder

Nachdem Präsident Trump im August 2017 den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündet hat, stellt sich die Frage, wie man Massnahmen für Nachhaltigkeit auf globaler Ebene am besten umsetzt. Wüstenhagen findet, dass westliche Demokratien in dieser Hinsicht ihrer Verantwortung nicht gerecht werden: «Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass es eigentlich unterschätzt wird, wie viel Vorbildwirkung wir in wohlhabenden Ländern haben. Der durchschnittliche Bewohner eines Entwicklungslandes träumt davon, so zu leben wie in reichen westlichen Ländern. Wenn wir ihm vorleben, dass man ein zwei Tonnen schweres Auto mit 15 Liter Benzinverbrauch fahren und zweimal im Jahr zum Shopping nach New York fliegen muss, dann will er das auch.» Wir sollten besser auf Teslas oder Velos umsteigen und diese zu den neuen Trends machen.
«Das Gefährlichste ist, wenn die Leute aufhören selbst zu denken.» Dies geschah in den Augen von Rolf Wüstenhagen in der Vergangenheit viel zu oft und auch heute sei es nicht viel besser. Deswegen ist ein vorbildliches Verhalten in jeder Position wichtig. Ob als Bundesrat, Chefin eines grossen Unternehmens oder als Familienvater, in allen Rollen hat man eine Wirkung auf Andere. Konsistenz durchs Leben hindurch ist ihm ein grosses Anliegen. Wüstenhagen findet es wichtig, seiner Tochter Wissen über ein nachhaltiges Leben mit auf den Weg zu geben. «Damit meine Tochter in Zukunft auch noch gut auf diesem Planeten leben kann, muss man heute etwas tun.» Auch sie beginne sich zu engagieren und habe vor der letzten Energieabstimmung eine Diskussion mit ihrer Klasse und dem 64-jährigen Lehrer geführt.

OL ohne Limit

Zeit in der Natur verbringen kann Wüstenhagen nicht allzu viel, denn die tägliche Arbeit nimmt einen Grossteil seines Lebens in Anspruch. Doch wenn er mal länger draussen ist und sich bewegen möchte, dann beim Orientierungslauf (OL). Bereits seit dem Teenageralter ist er begeisterter OL-Läufer und nimmt heute noch an Wettkämpfen teil. Seine Ferien verbindet er wenn möglich mit internationalen Läufen. Wüstenhagens erste Interrailreise im Alter von 15 Jahren führte ihn zu einem 6-Tage-OL nach Schottland, inklusive Abstecher nach Südfrankreich auf dem Rückweg.
Diese Leidenschaft färbte auch auf seine Tochter ab. «Orientierungslauf ist eine Schule fürs Leben. Man wird ziemlich früh eigenständig. Das sehe ich bei meiner 13-jährigen Tochter, die sich schon ziemlich souverän durch estnische, finnische und britische Wälder bewegt.»

Schulen im Verzug

Apropos Schule: Da gibt es in den Augen unseres Interviewpartners noch viel Handlungsbedarf. Themen wie Klima und Nachhaltigkeit kommen im Unterricht nur am Rande vor. Der Lehrplan 21 versucht hier Verbesserungen zu erreichen, ein Problem sei aber die politische Polarisierung. «Es ist noch nicht überall angekommen, dass Nachhaltigkeit eigentlich kein Thema für Rechts-Links-Schubladen ist, sondern uns alle betrifft.» Traurigerweise haben Umweltkatastrophen wie Tschernobyl und Fukushima oft mehr bewirkt als etwa die langen Berichte der Klimaforschung, wenn es darum geht, bei der Bevölkerung etwas auszulösen und sie zum Nachdenken anzuregen.
Einer Person, die sich noch nicht so mit Nachhaltigkeit auskennt, würde Wüstenhagen folgenden Gedanken mit auf den Weg geben: «Überleg dir mal, wo deine Energie herkommt und wo die Emissionen landen, die du damit verursachst.»


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