20 Minuten Fame: eine Geschichte der Klischees

Die HSG ist unter die B-Promis gegangen und füllt regelmässig die Seiten eines Boulevardheftes. Diese Medienpräsenz ist aber ein zweifelhaftes Vergnügen. Ein Kommentar.

In den vergangen Monaten hat 20 Minuten wiederholt über die HSG berichtet. Weder unsere Alma mater, noch wir Studenten kamen dabei gut weg. Ironisch-süffisante bis provokative Artikel zeichneten ein Bild von einer von Arroganz und Überheblichkeit strotzenden Lehrstätte. Die Weinerlichkeit der 8000 Studenten über kaltes Wasser wurde angeprangert, unsere moralische Verkommenheit benannt («HSGler zockten ihre Mitstudenten ab») und die Versuche unserer Studentenschaft, der schlechten Stimmung und Klischees mit einem eindeutigen Statement zu Toleranz und Vielfältigkeit entgegenzutreten, wurde in der Überschrift belächelnd auf eine PR-Massnahme reduziert: «HSGler sorgen sich um ihr Image». Die kompletten investigativen Kleinode haben wir für euch in einer Tabelle gesammelt (siehe unten).

Datum Titel # Kommentare
24.11.2015 «Nach dem WC wasche ich die Hände nicht mehr» 924
01.12.2015 HSGler sorgen sich um ihr Image 294
11.09.2015 Ärger wegen Stripperin an der Uni St. Gallen 289
27.10.2015 HSGler zockten ihre Mitstudenten ab 225
08.01.2016 Laut HSG-Studentenheft lohnt sich das Schummeln 164
09.01.2016 HSG-Studenten büffeln auf Ritalin 149
04.03.2016 Prüfungspanne – Studenten kriegen 20 Franken 107
10.03.2016 Riesenärger um falsche Noten an HSG 100
18.01.2016 HSG-Studenten wohnen vermehrt in Zürich 63
30.10.2015 Jodel ist bei Studenten hoch im Kurs 38
20.01.2016 Bekannte Fragen an HSG-Prüfung 24
11.02.2016 185 HSG-Studis müssen Prüfung wiederholen 14
07.12.2015 Financial Times adelt die HSG 14
13.03.2016 «Ich will irgendwann für die Regierung hacken» 2

Woher kommt das plötzliche Interesse?

Die Tabelle liefert auch gleich den Grund für die plötzliche mediale Aufmerksamkeit durch 20 Minuten. Je klischeebeladener und aufgeladener der Inhalt, desto höher die Anzahl an Kommentaren. Und, daraus folgend, höheres Leserinteresse, was zu höherem Traffic und schliesslich zu höherem Werbeeinkommen führt. Traffic und Interaktionen sind die einkommensrelevanten Kennzahlen heutiger Onlinemedien, und Einsichten in den vermeintlichen HSG-Alltag, die Stereotype bestätigen, laufen besser als objektive Berichterstattung. Zur Überprüfung dieser These darf man hierzu gerne die obersten drei Artikel der Tabelle sowie die untersten drei Artikel vergleichen und seine eigenen Schlüsse über das darin gezeichnete Bild der HSG ziehen. Das sind grossartige Nachrichten! Als HSG-Student kann man beruhigt aufatmen: Es ist nichts Persönliches, sondern reines Business-Kalkül. Und, wenn einer das versteht, dann doch wir!

11665675_10208704462953349_1862324716_o Screen Shot 2016-04-05 at 22.59.50 Screen Shot 2016-04-05 at 23.05.26 Screen Shot 2016-04-06 at 00.32.19 Screen Shot 2016-04-06 at 00.33.33Man könnte das jetzt stehen lassen und dieses Verhalten als Geschäftslogik von Boulevardseiten abtun; eine Logik, der sich leider auch andere Online-Medien nur schwer entziehen können. Es ist jedoch wichtig, die Mittel zu verstehen, mit denen 20 Minuten hier arbeitet. Sie kreieren keine Klischees, aber sie beschwören und benutzen sie gezielt, um die Unzufriedenheit der Leser auszunutzen, um damit Geld zu verdienen. Wie war das gleich mit moralischer Verkommenheit? Die HSG funktioniert als vortreffliches Sinnbild für eine obskure «Elite», die als Gegenpol zum «einfachen Volk», ebendieses aussaugt. Und auf diese unsäglich unmoralische («HSGler zocken ihre Mitstudenten ab», «Laut HSG-Studentenheft lohnt sich das Schummeln»), verwöhnte («Nach dem WC wasche ich die Hände nicht mehr»), scheinheilige («HSGler sorgen sich um ihr Image») Elite darf sich der ganze Zorn der selbsternannten Gerechten richten. Wie die Leserkommentare zeigen, passiert genau dies. Mit dieser Berichterstattung und dem einfachen Beschwören von Klischees liegt 20 Minuten übrigens voll im Zeitgeist. Selberdenken ist in einer komplexen Welt wie der heutigen einfach nicht mehr en vogue, und einfache Weltbilder haben Hochkonjunktur (#makeamericagreatagain).

Glücklicherweise darf gesagt werden, dass unter den Schimpftriaden auch zahlreiche Leser zur Räson mahnen und zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit der HSG anregen. Gleichzeitig gibt es viele Kommentare von (vermeintlichen) HSG-Studenten, die genüsslich Öl ins Feuer giessen und spöttisch den arroganten HSG-Studenten überkarikieren. Das stachelt die Emotionen weiter an (ist aber unterhaltsam).

Das täuscht nicht über die Verantwortung hinweg, der sich 20 Minuten mit seiner Berichterstattung entzieht. Die Aufgabe der Presse ist es, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen. Klischees bedienen darf dann die Satire (falls 20 Minuten ein Satireheft sein sollte, wird an dieser Stelle vielmals um Entschuldigung gebeten).

Mehr als das Klischee

Was heisst das nun für uns HSG-Studenten? Eine Boulevardzeitung beschwört Klischees, wütende Internettrolle springen auf die Tasten, um ihre Meinung kundzutun, und wir sollen die Dummen sein, die sich in der Defensive sehen? Wie sehr ich das Statement von der SHSG unterstütze, oder prisma-Artikel, die die HSG verteidigen und studentisches Engagement hervorheben, schätze, desto mehr jedoch nervt mich der Grund dafür. Weil irgendjemand online geschrieben hat, die HSG-Studentenschaft bestehe aus arroganten Besserwissern, die dem Gemeinwohl schaden? Die Universität ist ein Sammelbecken für 8000 ganz unterschiedliche Menschen; sympathische, unsympathische, arrogante und bescheidene.

Aber: Den HSG-Studenten gibt es nicht. Wer in diese Richtung argumentiert, entzieht sich selbst die Diskussionsgrundlage. Boulevard macht, was es bisher immer gemacht hat. 20 Minuten-Artikel, deren Überschriften von «Puff lädt zum ‹Tag der offenen Beine›» bis zu «Ihr Vaginalsekret macht Bier sauer» reichen, sollten uns nicht in eine Sinnkrise stürzen. Und glücklicherweise leben wir (noch) in einer Welt, in der anonyme Leserkommentare nicht repräsentativ für die öffentliche Meinung sind. Wer reflektierte Analysen mag, sollte doch lieber die NZZ oder SZ aufschlagen (oder das prisma – höhö), und bestimmt nicht 20 Minuten.


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