«300» einmal anders

Ein Bericht über die zaghaften Versuche zweier Studenten, in die Welt des Theaters einzutauchen.

In der Glotze läuft immer der gleiche Mist, Obamas Reden auf Youtube habe ich auch schon x-mal gesehen und die St. Galler Clubs und Bars können mich auch nicht aus der Reserve locken. Der Fall ist klar: Ich brauche endlich eine wirkliche Abwechslung in meiner Abendgestaltung. Genau richtig kommt da der Vorschlag einer Kollegin aus Zürich: «Wieso gehen wir nicht mal ins Theater?» Gute Idee, das wäre wirklich mal etwas anderes. Und so machen wir uns auf, eine für die heutige Zeit leider nicht mehr ganz so normale Art der Unterhaltung zu erleben.

Die Vorbereitung

Zunächst gilt es, ein spannendes Theaterstück auszusuchen. Während ich eigentlich etwas «Modernes» bevorzugen würde (sprich coole Kostüme, Kunstblut und Punkmusik), ist meine Kollegin etwas konservativer eingestellt. Unser Geschmack trifft sich bei einem Klassiker der Antike, «Die Perser» von Aischylos. Nach der Wahl des Stücks geht es am Abend der Aufführung noch an die äusserliche Vorbereitung. Obwohl im Theater heute kein strikter Dresscode mehr herrscht, ziehe ich Krawatte und Jackett an. Zu dumm, dass ich keine Zeit mehr habe, mein Hemd zu bügeln. Aber das merkt eh keiner, es ist ja dunkel.

Die Aufführung

Natürlich macht meine Begleiterin zuallererst eine Bemerkung zu meinem ungebügelten Hemd! Immerhin ist sie froh, dass ich nicht in Pulli und T-Shirt aufgekreuzt bin. Angemessen gekleidet betreten wir also das Theater. Das Tolle am Schauspielhaus Zürich ist, dass man als Studierender an der Abendkasse gerade mal 20 Franken Eintritt bezahlen muss. Der Abend ist also kaum teurer als ein Kinobesuch und gleichzeitig um einiges spektakulärer.

Ein kurzer Blick in den Saal zeigt, dass wir eher zu den jüngeren Zuschauern gehören. Immerhin haben manche Senioren ihre Enkel dabei. Nun aber richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Bühne. In der ersten Szene hält Atossa, die Mutter des Perserkönigs Xerxes, eine lange Rede über den Krieg der Perser mit den Griechen (THIS IS SPARTA!!!). Sie und ihr Berater sind beide modern gekleidet. Ausgefallene Kostüme suche ich vergebens. Nach einer Weile kommt ein Bote hinzu, welcher die katastrophale Niederlage der Perser verkündet. Der Bote ist verletzt, und dies bedeutet: Kunstblut (yeah!). Könnte zwar ein bisschen mehr sein, aber es ist für den Anfang ganz okay. Der Auftritt des Boten wird jedoch ruiniert, als dieser anfängt, einen langweiligen Popsong zu singen. Das Lied passt überhaupt nicht in die Aufführung rein.

Vom Inhalt her gefällt mir das Stück jedoch sehr. Es geht um Xerxes‘ Motive, einen so riskanten Krieg zu führen. Wie so oft wollte der Sohn nicht länger im Schatten seines erfolgreichen Vaters Dareios stehen. Dafür ging der König ein grosses Risiko ein, welches in der Niederlage der Perser und dem Niedergang des Reiches resultiert. Ich hoffe, dass im Publikum auch einige Banker aus der Bahnhofsstrasse gesessen und die Botschaft aufgenommen haben.

Im nächsten Teil des Stücks rufen Atossa und ihr Berater den verstorbenen König Dareios an, um ihn zu fragen, was zu tun sei. Spezialeffekte werden keine eingesetzt. Lediglich eine Videoinstallation kündet die Ankunft des Königsvaters aus dem Totenreich an. Dareios beklagt den Hochmut von Xerxes und seinem Gefolge während des Feldzugs. Trotzdem bittet er Atossa, den Sohn würdig zu empfangen. Danach muss Dareios wieder in die Unterwelt zurückkehren.

Zuletzt tritt dann noch Xerxes selber auf. Irgendwie hat er die Schlacht überlebt und sich zurück in die Heimat durchgeschlagen. Nun beklagt er ebenfalls die Niederlage und schreibt diese den Göttern zu. Dabei sieht der Perserkönig fast so aus wie im Film «300». Meine Hoffnung auf coole Kostüme hat sich also auch erfüllt.

Nachbereitung

Das Theaterstück ist nach etwas mehr als einer Stunde bereits zu Ende. Somit haben meine Kollegin und ich vor der Rückkehr nach St. Gallen noch genug Zeit, etwas trinken zu gehen. In Unkenntnis der lokalen Biernamen bestellen wir aus Versehen alkoholfreies Bier, wodurch wir in der Lage sind, das Stück mit völlig ungetrübtem Verstand zu bewerten. Unser Urteil: Das Stück war toll. Die Themen und die Aussage des Stücks sind immer noch aktuell und der Niedergang des Perserreichs deckt sich wunderbar mit dem aktuellen Niedergang der Finanzmärkte. Somit hatten wir mehr persönlichen Bezug zum Stück, als dies zum Beispiel beim neuen James-Bond-Film der Fall gewesen wäre (auch wenn ich «Geheimagent» als Berufsziel immer noch nicht ganz aufgegeben habe).

Abschliessend kann ich aus dem Abend drei Erkenntnisse mitnehmen. Erstens: Mit «Gleis 7» und Studentenausweis war der Abend nicht teurer als ein Kinobesuch. Zweitens: Einen Theaterbesuch sollte man ruhig öfter in Erwägung ziehen (mein nächstes Stück: Camus «L’étranger» in Basel). Drittens: Nie mit ungebügeltem Hemd ins Theater gehen!


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