Ach, Belgien

Belgiens Städte liegen geografisch nahe beieinander. Politisch distanzieren sich Norden und Süden des Königreichs immer mehr. Brüssel steht dabei im Brennpunkt.

Zu den Abgeordnetenwahlen vom Juni 2010 traten über 20 Parteien an, jedoch kandidierte keine in beiden Landesteilen Belgiens, Flandern und Wallonien. Des Pudels Kern ist, dass die Gewinner der beiden Landesteile, «Nieuw-Vlaamse Alliartie» in Flandern und die «Parti Socialiste» in Wallonien, jeweils keine Mehrheit erreichten und zu keiner Koalition bereit sind.

Weltrekord: Belgien längster regierungsloser Staat

Seit Juni 2010 ist Belgien regierungslos und hat somit auch den bisherigen Weltmeister der politischen Dauer-Krise, den Irak, überholt. Dieser traurige Rekord wurde in vielen Städten mit einer Fritten-Revolution gefeiert, bei welcher für die Bildung einer Regierung demonstriert wurde. Die Fritten gelten dabei als eines der letzten einigenden Elemente zwischen den zerstrittenen Sprachgemeinschaften. Mit 10 Millionen Einwohnern hat Belgien zwar eine grössere Bevölkerung als die Schweiz, doch das kleinere Staatsgebiet. Die Hauptstadt Brüssel und deren Vororte liegen auf der Sprachgrenze und sind somit Brennpunkte des Konflikts.

Besuch in Brüssel

Als Tourist bemerkt man wenig von den politischen Problemen. In Brüssel gibt es nur gute Fritten und nur gute Waffeln. Es gibt aber Waffeln mit drei Portionen Rahm, Eis, Früchten, Schokosauce – der Kenner isst seine nature, mit Puderzucker bestäubt. Für Fritten sei das Maison Antoine an der Jourdan Place speziell empfohlen. Im niedlichen Restaurant Le Perroquet gibt es die besten Pita mit zahlreichen Füllungsvariationen. Den Sushi-Liebhabern seien die artistischen Kleinigkeiten des Sushi-Shops an der Place du Grand Sablon ans Herz gelegt. Die Läden der belgischen Schoggihersteller wie Leonidas, Godiva oder Wittamer befinden sich ebenfalls alle in der Nähe. Zum Bummeln bietet sich am Wochenende der Stadtteil Marolles an. Ateliers, Secondhand-Shops, Nähstudios, Brunchlokale und Independent-Läden öffnen dort meist nur übers Wochenende, verbreiten dann aber eine Riesenportion Charme. Als fotografischer Beweis für den Besuch in Brüssel zählt einzig ein Foto des Manneken Pis, einer kostumierten Brunnenfigur im Stadtinnern. Das Atomium kann getrost ausgelassen werden; es liegt ausserhalb, ist aus der Ferne imposanter und der Eintritt ist überteuert.

Flüssiges Gold für die Kehle

Abende in Brüssel können entweder im Cocktailbezirk Sint-Goriks, Saint Gery oder in einer der zahlreichen Brauereien ausgeklungen werden. Denn während die Schweizer beim internationalen Pro-Kopf-Schokoladenkonsum weit vorne liegen, dürften die Belgier bei der riesigen Auswahl an belgischen Bieren den Schweizern im Biertrinken einiges voraus sein. Empfohlen seien Orval, Rochegort 10, Westmalle Trople und das leckere Hoegaarden Blanche. Das einheimische saure Geuze-Bier aus Brüssel sollte mit Vorsicht bestellt werden; es ist nicht jedermanns Sache.

Jedem Brüsselbesucher dürfte nach seiner Reise klar sein, weshalb die Wallonen und die Flamen heftig diskutieren, zu welchem Teil Brüssel bei einer Spaltung Belgiens gehören wird. Diese Stadt hat Charme und bietet kulturell und kulinarisch viele Möglichkeiten zu verweilen. Eine Anekdote trübt mein perfektes Bild Belgiens: In Mechelen fragte ich jemanden, aus Brüsseler Gewohnheit, auf Französisch nach dem Weg. Obschon die junge Studentin mich verstand, antwortete sie mir lieber auf Englisch, anstatt die Sprache des Nordens anzunehmen. Manchmal findet der Konflikt seinen Weg ins Alltagsleben also doch.


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