«Auch das Unbequeme muss auf den Tisch»

Das St. Galler Stadtoriginal Albert Nufer über seine Prinzipien – in der Politik sowie im Umgang mit Drogen, Frauen und moderner Technik.

Albert, wie hältst du’s eigentlich mit dem Betäubungsmittelgesetz?
Warum fragst du?

Wir haben auf dem Open Air St. Gallen am selben Joint gezogen.
Ich rauche ab und zu Gras oder Hasch. Wenn ein Freund mit einem guten LSD-Trip oder etwas Meskalin vorbeikäme, wäre ich jederzeit dabei. Aber ich renne dem nicht nach. Mit dem Spritzen habe ich schon lange aufgehört und würde das auch nicht mehr machen.

War das früher anders?
Ja, es hat mich ungeheuer interessiert, was alles in einem vorgeht, wovon man keine Ahnung hat. Um 1968 war ich drei Jahre in Montreal in Kanada und habe das alles kennen gelernt. Von Marihuana über Heroin bis zu den ganzen chemischen Drogen. In meinen Zürcher Hippiejahren habe ich auch damit gehandelt, allerdings strikt beschränkt auf Gras und LSD.

Mittlerweile brichst du kaum noch Gesetze, sondern erarbeitest sie selbst mit. Wie bist du zur Politik gekommen?
Schon als junger Bursche war ich sehr an der Politik interessiert und habe die Ereignisse in den Medien verfolgt. Mein Einstieg in die offizielle Politik war dann aber eine lustige Geschichte.

Ich höre.
Ich sitze wie jedes Jahr meine 10 Tage im Knast, weil ich aus Prinzip keinen Militärpflichtersatz bezahle. Dort schalte ich das Radio an, und das Erste, was ich höre, ist der Innerrhoder Ständerat Carlo Schmid-Sutter, wie er in bekannter Manier auf die Drückeberger und Staatsfeinde einprügelt. Das war 1983. Ich habe mir gesagt: So, jetzt reicht’s – ich sitze im Knast und dann auch noch das – jetzt gehen wir zur Gegenoffensive über.

Wie sah die aus?
Ich habe den grössten Saal im Hotel Ekkehard gemietet, den Zeitungen eine Annonce geschickt und Plakätchen an die Mauern geklebt, um eine grüne Bewegung ins Leben zu rufen. Es kamen sechzig, siebzig Leute und zwei Monate später waren wir eine politische Partei.

Und nach den Wahlen sass Albert Nufer plötzlich im Parlament?
So schnell ging es nicht. Bevor wir an den ersten Nationalratswahlen teilnahmen, hatte sich unsere Bewegung schon gespalten. Als Grünalternative erreichten wir keinen Sitz. Wir hatten darauf verzichtet, uns mit dem Landesring zu verbinden. Das war ideologisch richtig, aber taktisch unklug.

Du hast schnell dazugelernt.
Bei den anschliessenden Kantonsratswahlen habe ich einen Sitz bekommen, den ich eigentlich gar nicht wollte.

Wie bitte?
Ich wäre lieber gleich im Stadtparlament gesessen, obwohl alle gemeint haben: Du spinnst.

Eine nachvollziehbare Reaktion.
Im Stadtparlament sitzen die verständigeren Leute, die lösungsorientierter politisieren. Die Mitglieder des Kantonsrats waren von gestern und vorgestern. Trotzdem habe ich meine Zeit als Kantonsrat genossen. Wir waren zu klein für eine Fraktion und daher konnte ich überall mitreden, was ich auch gerne getan habe.

Du dürftest in beiden Parlamenten einen schweren Stand gehabt haben.
Ganz schlimm war es im Kantonsrat – die kamen sich alle so vornehm vor. Auch später im Stadtparlament waren sie wütend auf mich. Zu meiner ersten Sitzung kam ich barfuss auf dem Velo und wurde vom Schweizer Fernsehen begleitet. Die dachten: Wir sind Rechtsanwälte, Professoren, uns gehören Firmen und wegen diesem dahergelaufenen Hippie kommt zum ersten Mal das Fernsehen ins Parlament.

Dein Erscheinungsbild kann man durchaus als kalkulierte Provokation auffassen.
Nein, ich bin mein ganzes Leben so herumgelaufen! Ich freue mich, wenn die anderen in toller Schale kommen. Aber ich verkleide mich doch nicht. Meine Kleider haben halt Löcher und mal einen Fleck oder Riss.

Hast du denn niemals gegen deine Prinzipien gehandelt? Warst du beispielsweise immer ehrlich?
Ich hatte keine Probleme. Ich wollte nie Karriere machen und habe immer genau das vertreten, was ich denke und fühle. Es ist mir doch wurst, wenn mich deshalb alle beschimpfen. Auch das Unbequeme, sofern es der eigenen Überzeugung entspricht, muss auf den Tisch.

Also lieber ein paar Feinde mehr?
Die beruhigen sich auch wieder. Ich möchte mich nur nicht vor mir selbst schämen müssen.

Du steigst nun nach mehr als 20 Jahren aus der Politik aus. Was hast du erreicht?
Es macht mir Freude, dass sich heute die Wirtschaft und alle politischen Parteien für die alternativen Energien engagieren. Nur die SVP hat das immer noch nicht begriffen. Als ich vor mehr als 20 Jahren argumentiert habe, dass die Sonne gratis scheint und auch genug Erdwärme vorhanden ist, wurde ich ausgelacht.

Bei den Stadtparlamentswahlen warst du viermal in Folge Panaschierkönig. Wie erklärst du dir die Zustimmung auf fremden Wahllisten, gerade aus dem bürgerlichen Lager?
Die Leute mögen es, wie ich mit den Platzhirschen umgehe, selbst wenn sie meine Ideen nicht teilen. Anderen gefällt, dass ich mich nicht um die Parteidisziplin schere, sondern nach bestem Wissen und Gewissen entscheide. Ich bin zum Beispiel ein grosser Freund der HSG und habe sie im Parlament immer unterstützt. Den Linken und Grünen hat das gar nicht gefallen, obwohl viele ihrer besten Leute dort studiert haben.

Du hast dich dein ganzes Leben mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. Gibt es nicht einfachere Wege, seinen Lebensunterhalt zu verdienen?
Doch, aber ich liebe die Abwechslung und Geld war mir nie wichtig. Gerade in meinen Hippiejahren in Zürich war es hart. Das Standardmenu sah so aus: ein Roggenbrot, 70 Rappen, eine Packung getrocknete Bananen, 70 Rappen, und vielleicht noch eine Büchse Sardinen, 90 Rappen.

Na dann: guten Appetit. Hattest du wenigstens ein Dach über dem Kopf?
Selten. Im Winter habe ich in Abbruchhäusern gewohnt und im Sommer in Feld und Wald. Bei Regen habe ich die Nacht in einer Telefonkabine oder unter einem Fahrradständer verbracht – ich habe das wirklich genossen.

Hättest du dir damals nicht etwas mehr Geld gewünscht?
Kurz bevor ich von der Kantonsschule geflogen bin, habe ich mir überlegt, ob ich mit 25 die erste Million machen und dann richtig reich werden will. Ich kam zu dem Schluss: Nein, das lohnt sich nicht! Man muss derart viel Zeit und Kraft dafür einsetzen und wenn man erst eine Million hat, dann will man zehn.

Du und Millionär?
Das wäre damals sehr einfach gewesen. Man konnte Osthandel betreiben, da die USA und Europa die UdSSR und ihre Satellitenstaaten boykottierten. Mein Nachbar hat das erfolgreich gemacht und hat mir auch eine Lehrstelle angeboten. Er hatte übrigens drei äusserst hübsche Töchter.

Apropos: Warst du jemals verheiratet?
Neeiiin!

Aus Prinzip oder aus Erfolglosigkeit bei den Frauen?
Der Unabhängigkeit halber. Wenn man gerne möglichst frei ist, geht das nicht mit Frau und Kindern. Ich habe meinen Geliebten immer gesagt: Ich bin gern dein Geliebter, aber ich möchte weder dein Ehemann noch der Vater unserer Kinder sein. Wenn du einen Besseren hast, nimm den. Mich kannst du ruhig stehen lassen, no problem!

Albert Nufer geniesst in St. Gallen Legendenstatus. Der 67-Jährige Lokalpolitiker sass 20 Jahre für die Grünen und Grünliberalen im St. Galler Stadtparlament (1987–2007) sowie insgesamt sechs Jahre im Kantonsrat (1988–89 und 2004–2009). Im vergangenen November gab er seinen Sitz ab und verabschiedete sich aus der Politik. Aufgewachsen im Appenzeller Hinterland, schlug er sich zeit seines Lebens als Strassenwischer, Land- und Gelegenheitsarbeiter durch. Nufer verfügt weder über eine feste Anschrift noch über Telefon oder E-Mail-Adresse. Über den ehemaligen Generalsekretär der St. Galler Jungsozialisten bringe ich seine Lieblingskneipen in Erfahrung und treffe ihn eines Abends in gemütlicher Jassrunde im «Drahtseilbähnli». Er stellt sich mir als «dä Albert» vor und notiert unseren Gesprächstermin in seiner abgewetzten Agenda.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*