Beim Babysitten ECTS-Punkte sammeln

Bei der Fachschaft mitmachen oder als Hilfsassistent arbeiten: Für die Studierenden der Uni Luzern sind solche Tätigkeiten Pflicht. In jedem Studiengang müssen sie vier ECTS-Punkte für soziales Engagement sammeln. Über Sinn und Unsinn so genannter Social Credit Points.

Das Zauberwort «Sozialkompetenz» taucht inzwischen in fast jeder Stellenausschreibung auf: Wir suchen Personen «mit ausgeprägten Sozial- sowie Coachingqualitäten», «mit einem hohen Mass an sozialer Kompetenz» oder «mit profilierten Softskills». Nicht nur Fach-, sondern auch Sozialkompetenzen muss der zukünftige Mitarbeitende mitbringen. Warum also nicht bereits während dem Studium die soziale Kompetenz des Nachwuchses fördern, wie dies die Wirtschaft verlangt? Die Universität Luzern hat sich die Forderung 2003 bei der Neukonzeption der Studiengänge zu Herzen genommen: In allen Studiengängen der drei Fakultäten müssen von den Studierenden jeweils vier Social Credit Points (SCP) «zur Erweiterung der Sozialkompetenz» geleistet werden. 30 Stunden Arbeit ergeben einen Punkt. Nun versteht aber jede Fakultät unter «sozialem Engagement» etwas anderes: Bei den Juristen werden auch entschädigte Jobs in der Arbeitswelt angerechnet und bei den Theologen reicht es, wenn jemand von dem Arbeitseinsatz profitiert. Nur die Kultur- und Sozialwissenschaftliche Fakultät schreibt vor, dass die Punkte uniintern und ohne Entlöhnung gesammelt werden müssen. Man muss also in einer Fachschaft mitmachen, einen Lektürekreis organisieren oder Hilfsarbeiten für die Institute ausführen. Für Andrea Blättler von der Studierendenorganisation der Uni Luzern (SOL) ist das «ungerecht, denn gewisse Institute finden so einfach billige Kopierhilfen». Zudem seien an der Fakultät zu wenig Arbeitsmöglichkeiten vorhanden, wo die Studierenden ihre Punkte sammeln könnten.

SCP: Was bringt’s?
Dem Rektor der Uni Luzern, Rudolf Stichweh, sind diese Klagen bekannt und er gibt zu, dass das Modell der SCP «durchdachter» sein könnte. «Ich stelle mir für die Zukunft eher ein Modell vor, wo hochwertige Engagements an der Uni, aber auch bei Nichtregierungsorganisationen angerechnet werden können», so Stichweh. Zur Wirkung der SCP-Vergabe kann Rektor Stichweh nichts sagen, denn Evaluationen seien keine durchgeführt worden und auch nicht geplant.
Auch an der Uni Bern wurde zu Beginn der Umsetzung der Bologna-Reform die Vergabe von SCP diskutiert, wie Claude Schwab-Bertelletto vom Zentrum Lehre bestätigt. «Doch man kam zum Schluss, dass die Vergabe von Kredit-Punkten für soziale Engagements ausserhalb der Fakultät sehr problematisch wäre», so Schwab-Bertelletto. Denn die Qualität des Studiums hätte so nicht mehr gewährleistet werden können.

Echte Motivation statt Punktezwang

Auch die StudentInnenschaft der Universität Bern (SUB) ist den SCP gegenüber kritisch eingestellt: «Ich finde es eine gute Sache, wenn Studierende ihre sozialen Tätigkeiten als ECTS-Punkte anrechnen lassen können», meint Simone Seiler, SUB-Vorstandsmitglied mit dem Ressort Soziales. «Aber ein Obligatorium, wie es an der Uni Luzern besteht, ist problematisch.» Viele Studierende müssten schliesslich bereits neben dem Studium arbeiten. Dass diese in Zeiten von Bologna und durchstrukturiertem Studium zusätzlich zu nicht entschädigter Arbeit verdonnert würden, sei fragwürdig.
«Die Studierenden sollten nicht zu ehrenamtlicher Arbeit gezwungen werden, sondern sich aus eigener Motivation engagieren», sagt Marco Haller vom Verband der Schweizer Studierendenschaften VSS. Er fordert als Anreiz verschiedene Formen der Anerkennung studentischen Engagements, wie Studienzeitverlängerungen oder die Ausgabe von Sozialzeitausweisen. Auch die SUB vergibt für die ehrenamtliche Mitarbeit in den Fachschaften, beim StudentInnenrat oder in den Gruppierungen solche Sozialzeitausweise. Auf diesen ist wie bei einem Arbeitszeugnis aufgeführt, wie lange man welche Tätigkeiten ausgeführt hat und welche Kompetenzen dabei erlangt wurden.

aus unikum 134, September 2008

Kommentar

Die Uni ist keine Kaderschmiede

Nun soll die Uni also die Studierenden auch noch zu sozialen Teamplayern erziehen. Und zu kompetenten Führungspersönlichkeiten und überzeugenden Kommunikationsprofis auch grad noch. Und überhaupt: Warum machen wir Management-Kurse an der Uni nicht gleich obligatorisch? Es ist toll, wenn Studierende ihr freiwilliges soziales Engagement an ihr Studium anrechnen lassen können. Doch obligatorische Social Credit Points, deren Effekte im Übrigen noch im Dunkeln liegen, sind ein Kniefall vor der Wirtschaft. Und wenn das System wie an der Uni Luzern auch noch ungerecht umgesetzt wird, ist das schlicht fragwürdig.

Daniela Rölli


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