Chancengleichheit nach Darwin

«Survival of the fittest» scheint eine beliebte Vorgehensweise der HSG zu sein. Zumindest, was das Auswahlverfahren für einen Gaststudienplatz im Ausland betrifft. Andere Möglichkeiten zum Austausch wie das Freemover-Programm fördern den «Survival of the richest». Chancengleichheit? Fehlanzeige.

Der Trend zum Austauschsemester nimmt seit Jahren zu. Auch an der HSG ist der Wettbewerb für einen der über 500 Gaststudienplätze an einer Universität im Ausland gross. Einerseits wegen dem unvergesslichen Erlebnis, das an «Auberge Espagnole» erinnert. Zum anderen, weil es mittlerweile kein Geheimnis mehr ist, dass Personalchefs Bewerber mit Auslandserfahrung bevorzugen. Hochschulen der Ivy League und die Grandes Écoles liegen deshalb ganz vorne bei den Präferenzen der Bewerber für ein Auslandssemester. Auch das Exchange Office der HSG wirbt im Internet mit unzähligen Gründen, ins Ausland zu gehen.

Für eine erfolgreiche Bewerbung gilt es ein grosses Hindernis zu bewältigen: den magischen Notendurchschnitt von 4,5 beim Abschluss der Assessment-Stufe. Er ist für die einen eine Eintrittskarte für einen beneidenswerten Lebensabschnitt und für andere eine Hürde, die Träume zerstören kann. Das Studiensemester im Ausland bleibt ein Privileg derjenigen, die genügend Zeit für Fleiss besitzen. Obwohl die HSG noch andere Austauschprogramme hat, z.B. Swiss Mobility und Freemover, bieten diese keine echte Alternative für die Studenten, denen die finanziellen Mittel fehlen. Denn auch wenn diese zwei Programme keine Notenbarriere für die Bewerbung haben, muss der Freemover die Studiengebühren an der ausländischen Universität selbst tragen, was in einigen Ländern dem Jahreseinkommen einer Mittelstandsfamilie entsprechen kann.

An Beispielen von sozioökonomischen Diskriminierungen mangelt es nicht: Tim (Name geändert) stammt aus einer Arbeiterfamilie. Er ist der Erste in seiner Familie, der an einer Universität studiert. Um sich das Studium und den Unterhalt zu finanzieren, hat er neben dem Studium zwei Jobs und arbeitet zusätzlich noch in den Ferien. Die Zeit, die ihm zum studieren bleibt, muss er effizient nutzen, um seinen strengen Lernplan einhalten zu können. Dennoch hat er es nicht geschafft, einen Notendurchschnitt von 4,5 am Ende der Assessment-Stufe vorzuweisen. Auf die Frage, an welcher Universität er während eines Auslandssemesters studieren möchte, antwortet er im Gespräch: «Der Zug ist für mich abgefahren, den Traum hab ich um eine Dezimalstelle verpasst.»

Beim Auswahlverfahren für Austauschstudienplätze spielen soziale Kriterien wie etwa der Bildungsgrad der Eltern, die finanziellen Mittel des Studenten und persönliche Umstände keine Rolle. Auch die Motivation der Studierenden wird nicht in Betracht gezogen. Ausschlaggebend sind ausschliesslich der Notendurchschnitt des Bewerbers und dessen Präferenzangabe von Universitäten. Obwohl man davon ausgehen muss, dass nicht alle Studenten die gleiche finanzielle und familiäre Unterstützung haben, und obwohl dieser sozioökonomische Hintergrund für deren Lernerfolg entscheidend sein kann, gibt es im Auswahlverfahren der HSG für einen Austauschstudienplatz keine ausgleichenden Massnahmen. Als solche würden sich zum Beispiel Motivationsschreiben und Bewerbungsgespräche anbieten, da sie den sozioökonomischen Hintergrund des Bewerbers berücksichtigen. Solange aber keine vergleichbaren Massnahmen in das Auswahlverfahren aufgenommen werden, kann von Chancengleichheit keine Rede sein.


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