Das «es» ist dem «sie» sein Tod

In der Sprache manifestiert sich, was immer mehr zur Realität wird: Trotz allem Testosteron und Östrogen verschwimmen die Grenzen zwischen Frau und Mann. Und das ist gut so. 

Und gleich noch eine Provokation: die Studierendenschaft und die hitzige Debatte um ihre Namensänderung kann sich diesem Trend nicht entziehen. Unsere Zeit schubladisiert gerne «typische» Damen und «typische» Kerle und meint, pseudocharakteristische Zuweisungen von Attributen machen zu müssen, die das Unvermeidbare vertuschen: Die Grenze zwischen Männlein und Weiblein verwischt immer mehr.

Geschlechtsneutrale Sprache

Das manifestiert sich in der Sprache: Während unsere Grosseltern die Frau des Lehrers noch mit «Frau Lehrer» ansprachen, ist es heute natürlich geworden, «Lehrer» und «Lehrerin» zu sagen. «Das Lehrende» zu sagen ist nur ein logisch folgender Schritt und übertrifft Wortakrobatik wie «LehrerIn» in punc-to Eleganz bei Weitem. Im Schwedischen hat in den letzten Jahren ein neues Personalpronomen Einzug gehalten: «hen». Es ist weder «han» (sie) noch «hon» (er), aber auch nicht es und nicht etwas, sondern irgendwas dazwischen. Das ist nicht Alibi-Feminismus. Es macht zum Ersten das Leben bedeutend einfacher: Wer hat sich nicht schon darüber genervt, unelegante Doppelnennungen verwenden zu müssen? Und wer geniesst nicht, dass man im Englischen sowohl das Dozierende als auch das beste Befreundete einfach mit «you» anspricht? Die neutrale Sprache ist einfach praktischer. Zum Zweiten ist sie Ausdruck davon, dass die strikte Trennung in Männer- und Frauenbilder sich auflöst.

Tendenz zur Konvergenz

Manch eine Frau in der Wirtschaftswelt oder der Armee verhält sich männlicher als die meisten HSGler es je könnten, innerhalb von einem halben Jahrhundert haben sie weite Teile der akademischen Welt (zumindest ausserhalb St.Gallens) erobert. Bei Männern wird es, Göttliches sei Dank, immer akzeptierter, dass sie nicht die Rolle des Oberhauptenden übernehmen, sondern vermeintlich weibliche Aufgaben wie Familienbetreuung vom Spielplatz bis hin zum Stillen übernehmen. Bärte sind zwar hip (aber nicht mehr so hip wie auch schon), aber ungetrimmte Körperbehaarung gilt als unschön. Zugegeben, bei der Chancengleichheit und dem Abbau von unnötigen Abgrenzungen in puncto Berufswahl, fairer Entlöhnung und sozialer Anerkennung haben wir noch einen weiten Weg vor uns, aber die Tendenz zur Konvergenz der Geschlechter stimmt.

Wir bewegen uns hin zu einem Ein-Geschlecht-Modell, in dem Penisse und Vaginas zwar biologische Fakten sind, aber nicht unmittelbar mit sozialen Rollen verknüpft werden. Die Sexualität wird ein Kontinuum. Das ist aber keine neue Erfindung.

In den Büchern des römischen Medizinpraktizierenden Galen von Pergamon, dessen Lehre das europäische Denken über den Körper Jahrhundertelang dominierte, sah man keinen biologischen Unterschied zwischen Mann und Frau: Penis und Skrotum seien lediglich die Umkehrung von Vagina und Uterus, wie wenn man einen Handschuh umstülpt. In der Antike war man weniger verklemmt. Es gab nicht rosarot und hellblau, sondern den ganzen Regenbogen in allen möglichen Schattierungen: feminine Männer, stramme Damen, alte Männerkörper, die zunehmens aussehen wie weibliche, feine Knaben und vieles mehr. Das «es» ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber mit seinem Vormarsch schliesst sich ein Kreis. Wir tun deshalb gut daran, die gesellschaftlich zementierten Geschlechterrollen zu hinterfragen.

Illustration: Livia Eichenberger


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