Der Affe fällt nicht weit vom Stamm

Die Vernunft gilt als die höchste aller Tugenden. Warum sind gerade Studenten, die aufgeklärte und gebildete Gruppe der Spezies Mensch, derart unvernünftig? «Vernünftig sein» scheint unmenschlich oder der Mensch scheint des Rationalen nicht würdig zu sein. Was uns bleibt, sind Emotionen.

Ich ekle mich davor, hineinzugehen. Drinnen ist es stickig. Vernunft liegt in der Luft. Draussen ist es heiss und ich würde – anstatt gewissenhaft zu lernen – lieber freudig ins kühle grosse Nass springen oder ein kühles grosses Nass trinken. Widerwillig betrete ich vernünftig das B-Gebäude. Die Bibliothek hingegen betrete ich bereits widerwillig vernünftig und wider die Vernunft befinde ich mich bald wieder vor dem B-Gebäude. Dies wiederholt sich. Am nächsten Tag bleibe ich gleich fernab stehen und gehe ein wenig im Kreis. Es wirkt beruhigend.

«Die Wissenschaften sind das Meisterwerk des Genies und der Vernunft.» (Jean-Jacques Rousseau)

«Ich sollte lernen.» «Ich muss endlich vernünftig werden.» Diese Aussagen hört man nur allzu oft. «Vernünftig sein» ist demnach nichts weiter als eine widerliche Verpflichtung, die offenbar nur schwer oder gar nicht zu erfüllen ist. Einzahlungen zu tätigen, empfinde ich als ebenso abscheulich. Mich gelüstet es vielmehr, nach Lust und Laune zu handeln.

Eigentlich müsste es mir als Studentin der Lehren der Vernunft leicht fallen, zu lernen und meinen Verstand zu gebrauchen. Aber ich tue mich damit schwer. Dies kann auch daran liegen, dass ich unvernünftigerweise Dinge lernen muss, bei welchen ich anstelle von Aha-Effekten Haha-Effekte erlebe: «Kann der Lieferant das bestellte Produkt nicht liefern, so sollte er dem Kunden ersatzweise nur dann ein anderes Produkt ausliefern, wenn er zuvor dessen Zustimmung eingeholt hat.» Auch wenn ich die Bezeichnung Studentin weglasse und mir anmasse, mich als guten Menschen zu betrachten (laut einem Quiz auf Facebook steht mir diese Anmassung zu), sollte ich doch in der Lage sein, die Ratio, die höchste Tugend der Menschheit, zu erfüllen. Ich empfinde dies jedoch als Mühsal. Ich bemühe mich also vergebens und frage mich: Ist es der Mühe wert? Nein, ich muss nur warten. Ich drehe weiter meine Kreise. Es fehlt mir die Motivation im Sinne einer positiven Emotion: Ex «heraus» und motio «Bewegung, Erregung», wie Freude, Neugierde, Erwartung. Dem gegenüber stehen: Ekel, Abscheu, Traurigkeit, Furcht, Panik. Ich wage zu behaupten, dass wir nur lernen aus Furcht, die Prüfung nicht zu bestehen, und dass uns erst die Panik dazu zwingt, das Buch aufzuschlagen, und die Wut uns veranlasst, es gegen die Wand zu schlagen. Häufig ganz kräftig. Wer lernt aus Freude, weil er positiv erregt ist? Niemand. Nicht einmal die Beflissenen, wie sie sich gerne betiteln. Vereinfacht ausgedrückt: Streber. Sie nässen lediglich schon zu Beginn des Semesters ihre Hosen, setzen die Brille folglich früher auf und wägen sich von Vernunft und Disziplin geleitet. Diese Brillen sind wohl (be)stechend rosarot. Ich gebe hiermit feierlich zu, dass ich emotional bin und das «Vernünftigsein» aufgegeben habe.

«Ich frage mich, wer den Menschen als vernunftbegabtes Lebewesen definiert hat. Das war die voreiligste Definition, die es je gegeben hat.» (Oscar Wilde)

Die Vernunft und der Verstand werden als Kriterien verwendet, um uns von den Tieren, von unseren Ahnen (ich verweise auf Charles Darwin) abzugrenzen. Aber der Mensch ist nicht rational. Wir können rational denken und handeln, doch selbst dieses Handeln basiert auf einem emotionalen Anstoss. Herr Professor Gauch (den Juristen wird der Name ein Begriff sein) lehrte uns einst, dass das Gericht vor der Argumentation, dem logischen und sachlichen Denkprozess, entscheidet, wem Recht zugesprochen werden soll. Vorab wird intuitiv ein Werturteil wie «richtig», «falsch», «gut» oder «böse» gefällt. Tiere handeln aufgrund ihres Instinkts. Die Handlung an sich mag jedoch rational sein. Mir jedenfalls erscheint es höchst sinnvoll und vernünftig, sich vor einem langen Winterschlaf vollzufressen. Ich werde das dieses Jahr auch ausprobieren. Menschen handeln aufgrund ihrer Emotionen. Die Handlung selbst kann vernünftig oder aber auch irrational sein. Haustiere haben ihren flauschigen Platz irgendwo dazwischen. Mein Kater freut sich auch dann schnurrend über meine Rückkehr, wenn ich den Fressnapf nicht auffülle. Diese Tiere wurden vermenschlicht. Was uns demnach von den Tieren unterscheidet, ist der emotionale Aspekt.

Aufgrund meiner Neugierde ziehe ich die logische und rationale Schlussfolgerung, dass wir alle emotionale Affen sind. Ich gehe beruhigt weiter im Kreis, warte auf die Emotion und esse genüsslich meine Banane.


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