Die «coolste» Pause deines Lebens

Hast du dich schon einmal gefragt, wieso HSGler eigentlich wie normale Menschen sterben müssen? Hättest du Lust, mit einer Zeitmaschine in die Zukunft zu reisen? Dann ist Kryonik genau das Richtige für dich!

Stell dir vor, eine neue Killerkrankheit, nennen wir sie einmal Schweinevogelebolapest, befällt die Menschheit. Sie verläuft zu 100 Prozent tödlich und infiziert 100 Prozent der Menschen. Der einzige Weg für die Menschheit zu überleben ist, sich genug schnell fortzupflanzen, bevor die alte Generation an der Krankheit stirbt. Nun, diese Krankheit existiert tatsächlich, wir nennen sie nur nicht Schweinevogelebolapest, sondern natürlicher Tod. Doch was heisst schon natürlich? Auch Krebs ist natürlich.

Den Tod überwinden

Nicht sterben wollen und nicht sterben müssen sind natürlich zwei paar Schuhe, doch die Chancen, dass die Menschheit den Tod eines Tages überwinden wird, stehen eigentlich sehr gut. Der übernatürliche Sensemann von früher ist heute verschwunden. Das Altern und der «natürliche» Tod sind biologische Prozesse, deren Schlüssel in den Reparations- und Reproduktionsfähigkeiten unserer Zellen liegt. Schon heute können erste menschliche Organe künstlich ersetzt werden, dank Stammzellenforschung und 3D-Printern werden es immer mehr. Auch die Erforschung des menschlichen Genoms mithilfe von Big Data sowie Nanoroboter machen grosse Hoffnungen für die Zukunft.

Die entscheidende Frage ist jedoch, ob dies auch für uns reicht. Gehören wir zu den letzten Generationen, die noch sterben, oder bereits zu den ersten, die ohne den «natürlichen» Tod, potenziell ewig, leben?

Eine Antwort auf diese Frage ist nicht ganz einfach, da diese nicht zuletzt von der Art der Unsterblichkeit abhängt. Doch zum Glück für «Zu-Früh-Geborene» und «Bio-Transhumanisten» gibt es bereits heute eine Übergangstechnologie in die schöne neue Welt.

Ötzi 2.0

«Most of us now living have a chance for personal, physical immortality». Dieses Zitat stammt von Kryonik-Pionier Robert Ettinger und mag für viele bereits erstaunlich klingen, doch noch viel erstaunlicher ist, wann er diese Aussage machte, nämlich bereits 1964, vor über 50 Jahren! Am 23. Juli 2011 ist dieser Robert Ettinger im Alter von 92 Jahren gestorben. Bedeutet dies also, dass er falsch lag? Jein. Auf dem Papier ist Ettinger zwar tot, gemäss seiner eigenen Ansicht würde er sich jedoch lediglich in Suspension, also in einer Pause vom Leben, befinden. Doch wie soll das gehen?

Direkt nachdem er für tot erklärt wurde, kühlte ein Standby-Team Robert Ettingers Körper und tauschte sein Blut mit einer Gefrierschutzflüssig- keit aus. Seither liegt er als Patient Nummer 106 in einem durch flüssigen Stickstoff gekühlten Tank im von ihm selbst gegründeten Cryonics Institute in Michigan. Kryonik bezeichnet die potenziell reversible Konservierung von Menschen und anderen Tieren bei tiefen Temperaturen. Eine Reduktion der Körpertemperatur um ein Grad Celsius verringert den menschlichen Stoffwechsel und damit auch den postmortalen Zellzerfall bereits um 10 Prozent. Bei selbst für St.Galler Verhältnisse frischen minus 196 Grad Celsius finden keine molekularen Aktivitäten mehr statt und Ettinger kann in diesem Zustand theoretisch rund 8’000 Jahre ohne weitere Schäden aufbewahrt werden.

Giftige Glasleichen

Während die Kryonik in der Popkultur ein verbrei-tetes Motiv ist (beispielsweise in «2001: A Space Odyssey», «Avatar», «Star Wars», «Futurama», «Corpus Delicti» oder «Idiocracy») ist sie in der Realität bis heute eine marginale und oft belächelte gesellschaftliche Randbewegung geblieben. Bisher haben sich etwas mehr als 250 Menschen einfrieren lassen. Auf den Mitgliederlisten der zwei grössten Kryonikinstitute stehen zwar noch einmal rund 2’000 zukünftige «Kryopatienten», doch wenn man bedenkt, dass seit Ettingers Worten bereits fünf Jahrzehnte vergangen sind und jedes Jahr Millionen von Menschen gegen ihren Willen sterben, bleibt der «Marktanteil» der Kryonik vernichtend gering.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Einerseits ist das Einfrieren natürlich um einiges komplizierter als vorne beschrieben, beginnend damit, dass sich Wasser, woraus der Mensch grösstenteils besteht, beim Gefrieren ausdehnt und damit Gewebe zerstört. Um dies zu verhindern, werden die «Patienten» strenggenommen auch gar nicht eingefroren, sondern vitrifiziert. Das bedeutet, der Körper wird zu einem Teil dehydriert, mit toxischen Frostschutzmitteln gefüllt und dann durch «Schockfrieren» in einen glasartigen Zustand gebracht. Dies minimiert Gewebeschäden und solange sich der Körper in Kryostase befindet, wirken natürlich auch die verwendeten Gifte nicht, doch heute weiss man noch nicht, wie man diese bei einer etwaigen Reanimation neutralisieren könnte.

Kühlen kostet

Darüber hinaus spielen der gesellschaftliche Druck, sich für eine traditionelle Bestattungsform zu entscheiden, und auch das Geld eine grosse Rolle. Je nach Anbieter ist mit Gesamtkosten von rund 100’000 bis 200’000 US-Dollar zu rechnen, ein Betrag, den sich viele ohne einen Job bei Goldman oder Taschengeld von Papi nur mit einer Lebensversicherung leisten können. Etwas billiger wird es, wenn man nur sein Hirn konservieren lässt. Eine solche Neurokonservation kostet bei Alcor nur gerade läppische 80’000 US-Dollar. Ein vitrifiziertes Hirn hört sich zwar für die meisten recht gruselig an, doch es ist eigentlich schlicht konsequent, wenn man bedenkt, dass die meisten Kryoniker ohnehin davon ausgehen, dass das Hirn der Sitz der menschlichen Identität ist und alle anderen Organe in Zukunft austauschbar sind. Darüber dürfte jahrzehntelang bei fast minus 200 Grad zu chillen ohnehin ziemlich unvorteilhaft für das Aussehen gewisser Organe sein.

Zeitmaschinen sehen anders aus, als du denkst

Natürlich bleiben bei der Kryonik noch eine ganze Menge Fragezeichen. Die Kühlung verschafft zwar Zeit, sie alleine macht den Patienten allerdings nicht lebendiger als ein Steak im Kühlfach. Das Ganze ist eine Wette auf die Zukunft. Es gibt keine Garantie dafür, dass auch nur ein einziger Kryopatient eines Tages tatsächlich erfolgreich reanimiert wird.

Doch gerade deswegen verdienen Kryoniker Respekt. Es brauchte in der Menschheitsgeschichte immer wieder Nonkonformisten, die den Sprung ins Ungewisse wagten. Sei es bei einer Weltumsegelung, einer Reise zum Mond oder einer Zeitreise. Denn letzten Endes ist die Kryonik nichts anderes als eine Zeitmaschine. Wir erkennen es nur nicht so offen, weil wir uns aus Filmen gewohnt sind, Zeitmaschinen von innen zu sehen, während wir Kryopatienten nur von aussen sehen. Gemessen an unserer Referenzzeit machen Kryonauten eine Pause; für sie steht die Zeit still. Umgekehrt, aus der Innenperspektive, rast unsere Zeit. Während im gekühlten Tank ein Prozess stattfindet, der in «unserer Welt» eine Minute dauern würde, vergehen in der Aussenwelt Tausende von Jahren! So absurd wie die Kryonik auch erscheinen mag, am Ende ist sie eine durchaus rationale Überlebensstrategie. Was wäre dir lieber: Die höllisch-heisse Gewissheit des Todes im Krematorium oder die zugefrorene Zeitreise ins Ungewisse?

Illustration: Janina Abrashi


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