Die Dumpfheitswolke

Depression ist in der modernen Gesellschaft präsenter denn je und doch weitgehend unergründet. Aussenstehende tun sich schwer, sich in die Lage Betroffener hineinzuversetzen. Ein Einblick in die Gedanken eines HSG- Studenten mit Depression.

Trauer. Manchmal ist sie plötzlich da. Und wenn sie erst da ist, dann ist sie nur schwer wieder loszuwerden. Hartnäckiger Bastard. Wie ein schwarzer Schleier hängt sie über einem und hüllt alles in einen Zustand von Dumpfheit, aus dem man nicht auszubrechen vermag. Man kann nur abwarten und hoffen, dass er sich von alleine wieder löst. Es klingt extrem nach der Beschreibung einer Depression. Ich würde mich allerdings nicht als depressiv einstufen. Ich bin ein glücklicher Mensch. Ja wirklich. Ich bin glücklich. Meistens zumindest. Und ich weiss es auch, denn ich war es schliesslich nicht immer. Ich kenne den Unterschied. Ja, ich bin glücklich. Doch in letzter Zeit hat mich diese Dumpfheit, die mir nur zu gut aus der Schulzeit in Erinnerung geblieben ist, eingeholt. Vermehrt taucht sie über meinem Kopf auf, manchmal plötzlich, manchmal schleichend, und ist für kaum jemanden sichtbar, doch ich sehe sie. Ich sehe den Schatten den sie wirft. Die Dumpfheitswolke. Hartnäckiger Bastard.

Fünf Monate später sitz‘ ich wieder hier, mit der Wolke über meinem Kopf, hartnäckiger denn je. Zwischenzeitlich kondensiert, jetzt geballter als je zuvor. Tiefhängend und grau. Vielleicht bin ich doch depressiv. Ansatzweise. Denn eigentlich sollte ich glücklich sein. Objektiv betrachtet besteht kein Grund für diese Dumpfheit, diesen Schleier. In letzter Zeit mag zwar nicht alles toll gelaufen sein, doch handfeste Gründe für diese anhaltende Trauer gibt es nicht. Es macht keinen Sinn. Aber eigentlich macht nichts Sinn – und das ist genau das Problem. Nichts macht Sinn. Es ist einfach eine Leere da. Eine Leere bezüglich meiner Zukunft, meines Lebens. Eine Kraftlosigkeit. Ich bin erschöpft, einfachpsychisch erschöpft. Die Idee, alles einfach zu beenden … der Gedanke daran ist erlösend. Befreiend. In dieser Fantasie muss ich keine Zukunft gestalten, die ich ohnehin nicht will. Keine Entscheidungen fällen, keine Wege beschreiten. Es gibt keine Zweifel, keine Apathie – und ironischerweise keine Leere, obgleich der ultimativen Leere. Puff und weg.

Objektiv betrachtet macht es keinen Sinn. Ich werde nicht von handfesten Sorgen geplagt. Weder gesundheitliche noch finanzielle Probleme halten mich nachts wach. Doch Glücklichsein wird wie alles andere komparativ erlebt. Meine Gesundheit und finanzielle Sorglosigkeit machen mich nicht glücklich, da ich sie schon immer hatte, nichts anderes kenne. Anders verhält es sich mit meinem sozialen Umfeld. Ich war eigentlich nie ein unglücklicher Mensch.

Nie glücklich, denn Einsamkeit und Glückseligkeit lassen sich nicht vereinen. Aber unglücklich war ich nie. Seit ein paar Monaten hat sich jedoch der Fokus verschoben, die Einsamkeit ist geschwunden, die anhaltenden, hartnäckigen Zweifel, die mich bisher durch mein Leben begleitet hatten. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich tolle Freunde auf die ich zählen kann. Die mich fragen, wie’s mir geht. Die mich von dieser altbekannten, drückenden Einsamkeit weitgehend befreit haben. Auch sonst gibt es viele Menschen, die mich schätzen, die mich mögen. Eigentlich hab ich alles, was ich immer vermisst hatte. Ganz davon abgesehen bin ich auch noch halbwegs intelligent. Meine Zukunft steht mir offen. Ich habe alles, was ich immer wollte. Trotzdem bin ich traurig. Abgestumpft und lustlos.

Selbstmordgedanken habe ich nicht zum ersten Mal. Aber dieses Mal ist es anders. Irgendwie sind meine Ambitionen weg. Mein Wunsch, etwas zu erreichen, ist kondensiert. Wie die Wolke. Doch sie ist nicht zurückgekehrt – weder geballt noch sonst wie. Einfach weg. Und mit ihr auch der Wunsch weiterzumachen. Der Antrieb. Weg. Nur der Schleier, der schwarze Schleier, bleibt bestehen und nimmt alles ein.

Hartnäckiger Bastard.

Text anonym

Illustration Larissa Streule


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