Die Geschmeidigkeit des Moralischen

«Überzogene Boni sind unanständig» – warum eigentlich? Die Haniel-Seminare beleuchteten auch im Frühjahr wieder den kontroversen Begriff des Anstands. Zu Kursen und öffentlicher Diskussion kamen der Sozialpsychologe Harald Welzer und der Filmemacher Christian Petzold an die HSG.

Anstand» – was kann ein so aufgeladener und zugleich so missbrauchter Begriff – auch Heinrich Himmler hielt sich für anständig – heute noch bedeuten? Dieser Frage nahmen sich die Haniel-Seminare nach den Veranstaltungen im Herbst auch im Frühjahrsemester wieder an. Mit den Beiträgen der beiden deutschen Gastdozenten Prof. Dr. Harald Welzer und Christian Petzold ist das Jahresthema um moralische und ästhetische Facetten erweitert worden.

Der bekannte Publizist Welzer («Täter», «Klimakriege») stellte in seiner Haniel-Vorlesung zur «Geschmeidigkeit des Moralischen» sein neues Bestseller-Buch «Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben» vor. Am Beispiel von Wehrmachtssoldaten zeigte er, wie missbräuchlich eine abstrakte Inanspruchnahme des Grosskonzepts Anstand sein kann: Man tötete Menschen, blieb aber anständig, weil man sich nicht an ihnen bereicherte. Für Welzer gilt: Wenn Moral nicht äusserlich bleiben soll, muss gruppen- und kontextabhängig gefragt werden, wie angemessen jemand handelt.

Der deutsche Autorenfilmer Chris-tian Petzold («Yella», «Jerichow») ging im Seminar «Der unanständige Blick» seiner Beobachtung nach, dass die Verfolgung die Urszene jedes Kino-Plots sei. Mehr als etwa Liebes- oder Kussszenen präge unsere Lust am heimlichen oder actionreichen Verfolgen von anderen das filmische Geschehen; dabei überschreite die Kamera notwendig Grenzen der Intimität. An Klassikern wie «Vertigo» oder «French Connection» und eigenen Filmen erklärte Petzold den Studierenden Einstellung für Einstellung praxisnah das Handwerk des präzisen Sehens, das jeder angemessenen Abbildung von Welt im Kino vorausgeht.

Seit 2003 werden mit Unterstützung der Duisburger Haniel-Stiftung Haniel-Seminare an der HSG abgehalten. Das Jahresthema 2011/12 lautet «Affekte und Emotionen». Dafür konnten bereits die bekannte israelische Soziologin Eva Illouz («The Making of Emotional Capitalism») und die dänische Management-Forscherin Dorthe Staunaes («Psy-Management») gewonnen werden.

Mehr Informationen zur Haniel-Stiftung: http://www.haniel.de/public/de/foundation. Aktuelle Haniel-Publikation: «Anstand», hg. von Jörg Metelmann und Timon Beyes.


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