Die Triple-Bottom-Line-Affäre

Die diesjährige BWL-Assessmentprüfung sorgte für Aufruhr unter den Studierenden. prisma betrachtet die Angelegenheit von zwei Seiten.

PRO: Erst mal wieder runterkommen

Es wird Zeit, dass mal jemand die sprichwörtliche Lanze für ein zu Unrecht in Misskredit gefallenes Thema bricht. Es darf nicht in Frage gestellt werden, dass an der HSG eine Thematik wie die TBL abgefragt wird. Ich denke, jeder halbwegs intelligente Ökonom sollte inzwischen über das Stadium hinaus sein, in welchem Nachhaltigkeit ein No-Go in der kapitalistischen Wirtschaft war. Wer tatsächlich in diesem Gastvortrag gesessen hat, wird festgestellt haben, dass die Grundidee keine dumme ist. Wie also darf man es verstehen, wenn rund 300 Assessis auf Facebook von einem Modell zur Implementierung von mehr Nachhaltigkeit «Fuck you» fordern?

Was also wollen wir kritisieren? Dass jemand, der alle K-Karten herunterbeten kann, nicht per se eine 6.0 erreicht? Wer das Kursmerkblatt zur «Einführung in die Managementlehre» genauer durchliest, wird feststellen, dass das von Uni-Seite auch nie behauptet wurde. Ich habe bewusst ohne K-Karten, irgendwelche Repetitorien oder Uni-Seminare gelernt und hatte auch den Anspruch, dass selbstständiges Lernen keinen Nachteil darstellt. Daher halte ich es grundsätzlich für einen guten Schritt, von einer sturen Papageien-Mentalität hin zum selbstständigen Denken und Erschliessen von Thematiken zu gelangen. Die Voraussetzung dazu wäre dann allerdings eine faire Korrektur, sodass man sich weg von der Stichwortkorrektur hin zur Bevorzugung einer reflektierten – statt auswendig gelernten – Antwort orientiert. Zudem sehe ich nicht ein, warum der Vortrag eines erfahrenen und qualifizierten Gastes nicht Eingang in Prüfungen finden sollte. In keinem Fach hatten wir es in Gastvorträgen bisher mit No-Names zu tun. Wenn der Vortrag keine Relevanz hätte, müsste damit dann eine komplette Veranstaltung des Kurses gefüllt werden? In diesem Kontext wäre es vielleicht angebracht, sich an die eigene Nase zu fassen und den Lärmpegel bei den vergangenen Veranstaltungen nochmals zu überdenken. Meine weitere Kritik richtet sich gegen die Idee, alle 37 Punkte seien von diesem Gastvortrag abhängig gewesen: Nur vier Punkte gab es für eine Definition. Jemand, der diese nicht aus dem Eff Eff parat hatte, kann ich keinen direkten Vorwurf machen. Der Begriff fiel zwar geschätzte 10 bis 20 Mal im Gastvortrag; aber nun gut. Den Rest der Punktzahl hingegen gab es für nichts, was man direkt hätte auswendig lernen müssen. Es ging um die Schilderung von «Herausforderungen» und «Vorteilen» in Zusammenhang mit der TBL – mal im Ernst: In der gesamten restlichen Klausur kam das vielfach gepredigte normativ-kritische Anspruchsgruppenkonzept nicht dran. Wenn also nun ein Modell gefragt ist, das offenbar keine Nachteile aufweist – dann darf man von einem durchschnitlich begabten Menschen doch wohl erwarten, dass einem das Thema Nachhaltigkeit im Kontext verschiedener (beispielsweise sozialer, ökonomischer und ökologischer) Anspruchsgruppen (≈TPL) in den Sinn kommt. Und plötzlich könnte sogar ein KKarten-Lernender die Fragen beantworten…

CONTRA: Teuflische Bereinigungs-Lösung?

Die Triple-Bottom-Line-Seite auf Wikipedia wird wohl noch nie so viele Aufrufe registriert haben wie nach der BWL-Assessmentprüfung. Oder auch: noch nie so viele wie während der BWL-Assessmentprüfung. Schliesslich waren ja einige so schlau, während der Prüfung mit ihren iPhones auf die Toilette zu flüchten, um das unbekannte Akronym nachzuschlagen. Manche Legenden erzählen von den ganz Gewitzten, die sich dreist bis zu den Computern in der Bibliothek schlichen. Gut, dass die Universität solche Problemlösungsstrategien mit dem Fehlen von Aufpassern unterstützt. Schliesslich gewinnt im Rennen um die höchsten Führungspositionen später auch nur der grösste Opportunist. Ein weiterer Beweis für die Praxisnähe der HSG. Wie viel Herrn Dr. Rüegg-Stürm wohl von der TBL-Lobby gezahlt wurde, damit das Konzept endlich richtig ins Bewusstsein der Grossunternehmen gelangt? Schliesslich wird ein ganzer Jahrgang von Nachwuchsmanagern für immer von diesen drei Wörtern traumatisiert sein. Oder war der Coup, einen Fünftel der Prüfung einigen Andeutungen aus einem Gastvortrag zu widmen, nur universitätspolitisch motiviert? Will die HSG ihr ramponiertes Image wieder aufbauen, indem sie nur noch soziale Utopisten absolvieren lässt? Ob es sich nun um gewollte Hinterhältigkeit oder bloss um unreflektiertes Zusammenstellen der Prüfungsaufgaben handelt, ein bisschen erstaunlich ist die ganze Situation schon. Von den im Skript angekündigten Unterlagen zum Vortrag von Herrn Dr. Peter Fuchs, die noch nachgereicht werden sollten, fehlt bis heute jede Spur. In besagter Vorlesung wurde darauf hingewiesen, dass man, anstatt mitzuschreiben, besser zuhören solle. Man könne ja schliesslich später alles nachlesen. Die Übertragung hatte Berichten zufolge keinen Ton, der Gast hat ohne Präsentation frei geredet. Wer nicht Lippen lesen kann, dürfte Schwierigkeiten gehabt haben, das entscheidende Stichwort aufzuschnappen. In einem war die ganze Aktion auf jeden Fall erfolgreich. Die Assessment-Studenten haben sich noch nie so verbunden gefühlt wie nach dieser Prüfung. Innerhalb weniger Stunden hatten sich rund 500 Leute in der Facebook-Gruppe «Triple Bottom Line hat ein Jahr meines Lebens geraubt» versammelt und übten sich in kollektiven Hasstiraden und Empörungsschreien. In Zeiten der Krise kann ein gemeinsamer Feind äusserst identitätsstiftend sein. Und eine HSG, an der die Studenten miteinander und nicht gegeneinander arbeiten, wäre mal etwas Neues. In dem Sinne ist der Universität in dieser Angelegenheit der dreifache Abschluss sehr gut gelungen. Mit den nicht vorhandenen Unterlagen wurde Papier gespart, das soziale Klima unter den Studenten hat sich verbessert und mit den vielen Studenten, die bereits durchgefallenen sind, wird ein Haufen Geld gespart. Ein Hoch auf die Triple-Bottom-Line.

Triple-Bottom-Line für Anfänger
«Ist es Fortschritt, wenn Kannibalen anfangen, mit Messer und Gabel zu essen?» fragt John Elkington, geistiger Vater der Triple-Bottom-Line (TBL). Seine Antwort lautet ja, aber ihre Gabel muss drei Zinken haben. 1994 stellte der Gründer der Beratungsfirma «SustainAbility» das Konzept der TBL erstmalig vor: Unternehmerischer Erfolg sollte sich demnach nicht nur nach ökonomischer Profitabilität, sondern auch nach ökologischer Qualität und sozialer Gerechtigkeit bemessen lassen. Natürlich hat John Elkington das Konzept Nachhaltigkeit nicht erfunden, schon im Jahrzehnt zuvor wurden grüne Themen zunehmend diskutiert. So gab die UNO im Brundtland-Bericht eine erste Definition nachhaltiger Entwicklung, auf die 1992 mit der Rio-Konferenz ein erster internationaler Gipfel zu jenem Thema folgte.

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