Die Vision von der Television

Konkurrenzkampf oder Verschmelzung? Im Gespräch mit prisma erläutern die HSG-Dozenten Dr. Ursula Ganz-Blätter und Felix Seyfarth, wie modernes Fernsehen und Internet zusammenhängen und was die Zukunft des Fernsehens in technischer wie sozialer Hinsicht bringen wird.

Die Tatsache, dass das traditionelle Fernsehen zunehmend in Konkurrenz zu Videoservices im Internet steht und sich das TV-Publikum aller Altersgruppen vom bisherigen Leitmedium abwendet, bringt etablierte Fernsehanstalten und TV-Macher ins Grübeln. Während die Optimisten unter den Intendanten und Sender-Chefs hoffen, mit Sportübertragungen, Qualitäts-Nachrichten und technischen Innovationen wie dem hochauflösenden HD- und 3D-Fernsehen auch zukünftig bei ihren Zielgruppen landen zu können, sehen andere die Zukunft weniger rosig: Eine Studie der Strategieberatung Booz & Company (http://www.booz.com/de/home/Presse/Pressemitteilungen/pressemitteilung-detail/48730532) etwa prognostiziert, dass bis 2015 rund 30 Prozent des Gesamtumsatzes im deutschen TV- und Videomarkt an Wettbewerber aus dem New-Media-Bereich gehen könnten.

Demokratische und kleinteilige Strukturen

Zeit zu handeln also. Doch die Fernsehleute zögern, die Revolution der Bewegtbilder im Internet massgeblich mitzugestalten. Sie scheinen angesichts der zunehmenden Verflachung von Elite und Prestige des Fernsehens in eine Art Schockstarre gefallen zu sein: «Die Fernsehanstalten sitzen derzeit da wie das Kaninchen vor der Schlange. Sie reagieren genauso hilflos auf die Entwicklungen im Netz wie vor ihnen die Musikindustrie und die Zeitungsverlage im Hinblick auf digitale Musik und Online-Nachrichten», ist Felix Seyfarth überzeugt. Der 35-jährige Diplom-Politikwissenschaftler und Medienexperte, der derzeit an der HSG zum Thema «Fernsehen 2.0» promoviert, glaubt, dass sich die Zeit der grossen Sender ihrem Ende zuneigt. «Die Programmgestaltung wird demokratischer, sodass auch die dem Fernsehen unterliegenden Strukturen kleinteiliger werden. Für die schwerfälligen Anstalten wird da in Zukunft kein Platz mehr sein.» Um die notwendige Flexibilität herzustellen, würden die Sendeanstalten mehr und mehr Inhalte von externen Dienstleistern einkaufen, prophezeit Seyfarth. Dauerhaft in teure Aufnahmetechnik zu investieren und kreatives Personal fest anzustellen, werde sich zukünftig in Anbetracht einer fortschreitenden Segmentierung der Fernsehlandschaft für eine Sendeanstalt immer weniger lohnen.

Produzent statt nur Zuschauer

Eine Segmentierung und regelrechte Zersplitterung beobachtet auch Ursula Ganz-Blättler im Hinblick auf das moderne Zielpublikum des Fernsehens. «Die klassische Fernsehgemeinde, die sich geschlossen die traditionellen Familienserien und Samstagabend-Shows ansieht, gibt es schon längst nicht mehr. Das Fernsehen ist auch nicht mehr unbedingt ein gesellschaftlich ordnendes Element und gemeinsamer Bezugsrahmen. Es geht eher darum, dass die einzelnen Segmente und Geschmäcker gezielt angesprochen werden.» Ganz-Blättler, die sich in ihren derzeitigen Forschungsarbeiten insbesondere mit sozialen Phänomenen in Online-Communities befasst, sieht vielmehr die Tendenz, dass sich einzelne Szenen um mediale Inhalte herum neu gruppieren – ein Trend, der zweifellos durch das Zusammenwirken von Internet und Fernsehen begünstigt wird: Die Vernetzung über das World Wide Web bringt Millionen von Menschen in Online-Foren und Communities zusammen. Und obwohl die Gruppen dort immer grösser werden, sind die kleinräumigen, demokratischen Strukturen der neuen Medienwelt auch hier zu finden. «In der Regel haben wir es in Online-Foren mit kleineren Gemeinschaften zu tun, die sich auch über mediale Inhalte austauschen», erklärt Felix Seyfarth. «Damit bilden sich selbst im globalen Kontext des Internets lokale Einheiten heraus. Und weil die bislang klare Trennung von Produzent und Konsument im TV-Umfeld mit interaktiven Plattformen wie YouTube zunehmend verwischt, kann jeder Nutzer bereits heute Fernsehen für seine Community machen.»

Anstatt also einem durch die Sender festgelegten Programmschema zu folgen, werden die Fernseh-Zuschauer selbst zu TV-Produzenten. Theoretisch genügen ein Breitband-Internetanschluss, ein Browser und eine handelsübliche Webcam. Ob eigene Video-Produktion oder Re-Kombination schon bestehender Inhalte als neues Mediengefüge aus Bild, Ton und Interaktion: Mehr braucht es nicht, um selbst auf Sendung zu gehen. Die Distribution via Internet, minimal im Aufwand, gross in der Wirkung, lässt Dritte problemlos am eigenen Web-Fernsehprogramm partizipieren. Offenbar entsprechen die selbst erstellten Online-Clips immer mehr den Bedürfnissen der Zuschauer, ihr Programm in Eigenregie zu gestalten und mit eigenen Videos zum Star werden zu können. Auch wenn der Ruhm für solche Mikro-Celebrities meist auf eine kleinere Community begrenzt ist, wie Ursula Ganz-Blättler aus eigener Beobachtung weiss: «Die Fan-Communities via Internet können erfolgreichen Kandidaten aus Casting-Shows auch noch eine Plattform bieten, wenn sie aus den Wettbewerben ausgeschieden oder nach ihrem Casting-Erfolg aus der öffentlichen Berichterstattung verschwunden sind. Über das Web bilden sich dann kleinere Fangruppen von wenigen tausend Personen, die ihren Star innerhalb der Community feiern, wobei ein harter Kern mit den jeweiligen Helden aus Musicstar oder DSDS (http://dsds-fans.sixgroups.com/) von Konzert zu Konzert zieht.»

Das Fernsehen als Bibliothek

Als Reaktion auf diese Veränderungen arbeiten erste Sendeanstalten mittlerweile an offenen TV-Plattformen im Internet – und damit an der Integration von Internet und Fernsehen. Sie sehen innovative internetbasierte Projekte für die Weiterentwicklung des Fernsehens nicht nur als Konkurrenz, sondern auch als Inspirationsquelle. Felix Seyfarth kann diese Sichtweise nur unterstützen: «Zunächst ist das Internet nur ein Verbreitungskanal, nichts weiter, auch wenn technische Veränderung stets auch inhaltliche Möglichkeiten mit sich bringen, die dann auf das Medium zurückwirken.» Könnten hier durch Anpassung an die neuen Marktstrukturen die Geschäftsmodelle für das Fernsehen der Zukunft entstehen? Durchaus, meinen Medienexperten und verweisen darauf, dass zwangsläufig nach neuen Lösungen gesucht werden müsse. «Das Konzept des linearen Programms mit festen Sendezeiten wird zunehmend hinterfragt. Das Fernsehen bekommt den Charakter einer Bibliothek (http://www.videoportal.sf.tv/)», unterstreicht Seyfarth. Ursula Ganz-Blättler nutzt «ihr» Fernsehen bereits in dieser Art: «Filmschnipsel und Sendungsausschnitte sind online immer wieder abrufbar, warum sollte ich da noch regelmässig fernsehen? Wenn ich über eines der Foren, in denen ich aktiv bin, mitbekomme, dass etwas Interessantes gelaufen ist, gehe ich auf YouTube und schaue mir den Ausschnitt dort an. Und zwar genau dann, wenn ich Zeit und Lust habe.»

Interaktion versus Passivität

Nachdem das Internet und seine Möglichkeiten zunehmend die Bedürfnisse des Fernsehpublikums zu beeinflussen scheinen, könnte es für die Sender auch ein Weg sein, die Zuschauer zu Mitproduzenten zu machen. Felix Seyfarth jedenfalls kann sich durchaus vorstellen, dass sich mit dem Web 2.0 der benutzerproduzierten Inhalte als Vorbild in Zukunft eine Art interaktives Eventfernsehen etablieren lässt: «Man wird versuchen, die Zuschauer durch interaktives Anrufen, Abstimmen und durch das Einsenden von Videos stärker in das Programm einzubinden. Zumal die technischen Elemente von Fernsehen, Internet und Telefon immer stärker miteinander verschmelzen.» Dabei ist diese Strategie gar nicht so neuartig: Ursula Ganz-Blättler kann sich noch gut erinnern, wie man in den 70er-Jahren im Rahmen der Spielshow «Wünsch Dir Was» (http://www.fernsehserien.de/index.php?serie=1767) bereits mit Interaktivität im Fernsehen experimentierte. «Damals war es noch völlig neu, als man die Zuschauer aufforderte, zum Beispiel per Aufdrehen des Wasserhahns oder Einschalten des Lichts zuhause über einen Programminhalt abzustimmen.»

Allerdings ist die Interaktion nach Ansicht von Ganz-Blättler nicht zwangsweise der richtige Weg in die Fernseh-Zukunft. Gerade im Zusammenspiel mit dem Fernsehen sei es sehr schwierig, abzuschätzen, wie viel Interaktion einerseits nötig und andererseits erwünscht sei: «Ohne Zweifel ist Interaktion ein Mittel der Publikumsbindung. Man erzeugt künstliche Spannung, denn am Ende möchte der Zuschauer immer wissen, was dabei herauskommt, wenn er per Abstimmung oder über andere Interaktionsformen ins Fernsehgeschehen eingebunden wird. Es ist aber immer auch die Frage, inwieweit das Publikum in eine Fiktion, wie sie das Fernsehen ja letztlich bietet, überhaupt eingreifen will. Die einen wollen ihr Programm mitbestimmen, die anderen das Programm passiv vom Sofa aus konsumieren. Schliesslich liegt gerade auch in der mit dem Fernsehen verbundenen Passivität ein gewisser Reiz.»

Was bleibt dem Fernsehen neben benutzerproduzierten Elementen und der Interaktion inhaltlich, um sein Publikum an den Bildschirmen zu halten? «Das ist schwer zu sagen. Vielleicht grosse Eventformate, mit hoher Produktionsqualität und einer herausragenden Dramaturgie», meint Felix Seyfarth. «Die Sender dürfen keinen breiten Bauchladen vor sich hertragen. Sie sollten etwas Spezielles bieten, Mut zur Nische haben und auf keinen Fall zu bunt sein.» Ursula Ganz-Blättler stimmt zu und ergänzt: «Auch die Produzenten wissen, dass sie anspruchsvolle Zuschauer mit realitätsnahen und daher relevanten Inhalten und vielfältig-komplexen Erzählstrukturen halten können. Auf diese Weise kann gutes Fernsehen auch in Zukunft sein Publikum erreichen.»

Dr. habil. Ursula Ganz-Blättler
promovierte in Allgemeiner Geschichte an der Universität Zürich und ist als Dozentin in St. Gallen, Lugano und Fribourg tätig. An den Universitäten Lugano und Hildesheim unterrichtete sie als Assistenzprofessorin Fernsehwissenschaften und populäre Unterhaltungskultur. Ihre Interessensgebiete kreisen um die Erzählstrategien zeitgenössischer Fernsehserien und die neuen Medien, speziell Online-Communities.

Felix Seyfarth
studierte Philosophie und Geschichte in Berlin und New York und erwarb im Jahr 2005 das Diplom der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Derzeit promoviert er an der HSG zum Thema «Organisationsformen und Geschäftsmodelle im Fernsehen 2.0» und unterrichtet als Lehrbeauftragter im Bereich Handlungskompetenz.


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