Doppelte Macht

Haarsträubende Arbeits- und Produktionsbedingungen haben in den vergangenen Monaten die Medien bewegt. Was aber hindert uns daran, dagegen vorzugehen? Können wir HSGStudierende einen Beitrag zur Verbesserung leisten?

Die «Kampagne für saubere Kleidung» berichtet von Monatslöhnen unter dem Existenzminimum, Einsatz von giftigen Chemikalien und weiteren ausbeuterischen Methoden in südostasiatischen Textilproduktionsstätten; westliche Kleidungsriesen lassen schon seit Jahren im günstigen Ausland produzieren. Auch in der Fleischproduktion sind die Zustände skandalös. So berichtet die ARD von mehr als 23 eingepferchten Hühnern pro Quadratmeter, die in engen Käfigen in ihrem eigenen Kot stehen. Physische Schäden sind an der Tagesordnung und werden vom Produzenten billigend in Kauf genommen.

Mittlerweile ist jedem klar, unter welchen Methoden ein beachtlicher Teil unserer Konsumgüter hergestellt wird. Umso drängender stellt sich die Frage: Warum verändert sich nichts? Diese Frage lässt sich von zwei Seiten, der Produzenten- und Konsumentenseite, beantworten.

Die aktive Entscheidung zu konkreten Produktionsbedingungen und deren Umsetzung stehen in der Verantwortung und Macht der Hersteller und Auftraggeber. An diesem Punkt wird häufig an die Moral appelliert, doch wir müssen unser Blickfeld erweitern. Eine Investition in verbesserte Bedingungen führt unter beibehaltener Strategie zwangsläufig zu höheren Kosten und somit zu einem niedrigeren Ergebnis.

Das Problem liegt in diesem Fall zu einem grossen Teil schon im System, in dem die Anreizstruktur des Profits der gefühlt richtigen Entscheidung zuwiderläuft. Niemand würde Menschen für wenige Cent pro Stunde arbeiten lassen und sich selbst ein hohes Vielfaches in die eigene Tasche stecken, wenn der Nebel des Alltags die Sicht auf die Thematik nicht so stark einschränken würde. Der stille Konsens unserer Gesellschaft, die Geschehnisse zu tolerieren, schafft erst die heutigen (finanziellen) Anreizstrukturen, deren Resultat oben beschriebene Auswüchse sind. Moralische Entscheidungen können also nur in diesem abgesteckten Rahmen getroffen werden, der sich konkret zwischen «vertuschen und bedingungslos optimieren» und «Transparenz zulassen und schaffen» bewegt. Schön, wenn zumindest im Rahmen dieser Möglichkeiten Verbesserungen erwirkt werden.

Der zweite Ansatz beschäftigt sich mit dem Nachfolger des Shareholder- Value-Konzeptes, nämlich dem Stakeholder- Value-Ansatz. Beide Konzepte verkörpern dieselbe Denkhaltung: Das Verhalten wird dann verändert, wenn Profite wegbrechen. Das bestehende Anreizsystem lässt sich nutzen, um den eigenen individuellen Beitrag zu leisten, der häufig gewünscht wird, für den aber keine Möglichkeiten gesehen werden. Wenn wir beim nächsten Einkauf ein Fair-Trade- Produkt kaufen und somit die Nachfrage nach fairen Produkten erhöhen, werden sich mittel- und langfristig die Herstellungsbedingungen ändern.

Der Wille ist leicht formuliert, doch die Umsetzung fällt vor den vollen Regalen unseres Supermarktes jedes Mal wieder schwer. Zum einen haben wir von klein auf gelernt, nicht mehr Geld auszugeben als nötig; es scheint nicht nur irrational, sondern es stellt sich auch ein antrainiertes Gefühl ein, das uns zu dem Standardprodukt verleitet. Zum anderen vergleichen wir uns ständig mit unserem Umfeld, und wenn der Kunde nach uns für das Produkt ein Drittel weniger bezahlt, dann fühlt man sich schnell als der dumme Gutmensch. Des Weiteren sehen und spüren wir die Verbesserungen nicht, die wir mit unserem Beitrag erreichen. Der Produktionsprozess erscheint uns fern und unabhängig von uns. Der letzte Grund ist die Subjektivität von Geld. Fünf Franken Mehrausgaben beim Lebensmitteleinkauf erscheinen uns viel, im Ausgang oder im Urlaub sind wir hingegen nicht so genau.

Wenn wir uns diese Gründe konsequent vor Augen führen und das Produkt nicht isoliert vom Herstellungsprozess, sondern als Teil eines grossen Ganzen sehen, fällt der Kauf ethisch einwandfreier Produkte leichter und wir können einen positiven Beitrag leisten, der sich direkt auf das Leben anderer Menschen auswirkt. Wir müssen nur über den eigenen Schatten springen.

Als HSG-Studierende haben wir nun eine doppelte Macht, Veränderungen herbeizuführen. Konsumenten sind wir schon heute, Hersteller vielleicht morgen. Und wenn wir wirklich in uns hineinhören, ist klar, wie wir uns als Konsumenten, aber auch als Produzenten verhalten werden. Am Ende ist diese ganze Diskussion ein weiterer Grund, warum sich unsere Gesellschaft Gedanken über neue Anreizstrukturen machen muss.


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