«Eigentlich wollte ich Architekt werden»

Günter Müller-Stewens spricht mit prisma über die Vorteile der HSG gegenüber anderen Universitäten, seinen ursprünglichen Berufswunsch
und studentisches Engagement.

An einem verregneten Nachmittag machen wir uns auf den Weg zu Professor Günter Müller-Stewens. Nach einer kurzen Partie Tischfussball und dem Verzehr von frischem Gebäck freuen wir uns, in seinem Arbeitszimmer zu Gast sein zu dürfen. «In meiner Anfangszeit an der Universität habe ich bereits einmal ein Interview mit prisma geführt», startet Müller-Stewens das Gespräch. Mittlerweile kann er auf über 25 Jahre HSG zurückblicken und wird zum Ende des Studienjahres emeritiert.

Auf Umwegen zur BWL

Doch die akademische Karriere war nicht von vornherein geplant. Lange Zeit habe Günter Müller-Stewens Architekt werden wollen. Architektur vereine Kunst und Handwerk auf sehr komplexe Weise. «Architekten sind für mich so etwas wie die letzten Visionäre. Hinzu kommt, dass die visionären Bauwerke am Ende dann auch funktionieren müssen.» Nachdem ihm bei der Berufsberatung jedoch vorausgesagt wurde, dass in Zukunft keine Architekten, sondern nur noch Statiker gebraucht werden, nahm er von seinem Wunsch Abstand und widmete sich einem Studium der Wirtschaftswissenschaften.
Der Fall der Berufsberatung hat gezeigt, wie stark man sich bezogen auf die Zukunft verschätzen kann. «Mit dem Blick in die Zukunft beschäftigte ich mich dann auch in meiner Dissertation Anfang der 70er Jahre: strategische Frühaufklärung, der Blick in die Zukunft. Die ganze Lektüre drehte sich um das Jahr 2000. 2001 oder 2002 habe ich dann bei uns den Keller aufgeräumt, und dann bin ich auf die alte Dissertation gestossen – da war das Aufräumen zu Ende.» Nachdem er sich die alten Artikel nochmals durchgelesen hatte, wie man sich 1975 das Jahr 2000 vorstellte, stellte er fest: «Es war so ziemlich alles falsch. Es wurde massiv über- oder unterschätzt. Was zum Beispiel erheblich unterschätzt wurde, war die Leistungsfähigkeit von IT – das konnte man sich damals gar nicht vorstellen.» Dagegen sei man viel zu optimistisch was die Heilung von Erkrankungen, wie zum Beispiel Krebs, anbelangt.

Zufällig zum Professor

Nach seiner Promotion an der Universität München und Forschungsaufenthalten an den Business Schools von Harvard und Stanford war es auch eher Zufall, dass es mit seiner akademischen Laufbahn weiterging. «Als mir während meines Aufenthalts in Boston morgens beim Joggen über den Charles River ein Kollege aus Stuttgart über den Weg gelaufen ist, unterhielten wir uns über eine akademische Karriere. So ist die Idee dann langsam gewachsen.»

Viel Gestaltungsfreiraum

In den 25 Jahren, die er an der HSG verbracht hat, hat sich vieles verändert. Als er nach St. Gallen kam, kannte noch jeder jeden. «Da konnte man den Hausmeister fragen, wo denn der Student Peter sei, und er wusste es.» Mit dem derzeitigen Wachstum sei das quantitativ gute Betreuungsverhältnis aber gefährdet. Für Müller-Stewens ist Studieren ein gemeinsamer Lernprozess, der massgeblich von Feedback lebt. «Feedback kann in umfangreichem Masse nur dann gegeben werden, wenn das Betreuungsverhältnis stimmt, wenn die Anzahl der zu begleitenden Studierenden noch überschaubar ist.»
Für ihn zeichnet sich die HSG jedoch durch viele Aspekte aus. Der Grad an studentischem Engagement und vor allem die grosse akademische und unternehmerische Freiheit als Mitglied der Fakultät seien an anderen Universitäten in dieser Form kaum zu finden. «Es hat mich ein wenig Zeit gekostet, dieses Modell wirklich zu verstehen. Wenn man seine Pflichten ordentlich erfüllt, hat man sehr viel Gestaltungsfreiraum.» Günter Müller-Stewens scheint diesen gut genutzt zu haben. Neben seinen derzeitigen Forschungs- und Lehrtätigkeiten mit Schwerpunkt Mergers und Acquisitions sowie Strategic Management finden sich auch zahlreiche Nebentätigkeiten, wie die Herausgabe des «M&A Review» und der Mitgliedschaft in der Jury des St. Gallen Symposiums – um nur ein paar zu nennen. Zusätzlich war er bis zum Ende des letzten Studienjahres akademischer Programmdirektor der Masterprogramme Unternehmensführung sowie Strategy und International Management.

Verantwortung für die Gesellschaft

Das studentische Engagement an der HSG komme nicht von irgendwo. «So habe ich die Schweiz kennengelernt. Wenn dich etwas stört, dann machst du was dagegen.» Zivilgesellschaftliches Engagement sei für ihn vor allem in der Betriebswirtschaft ein wichtiges Thema, da es bislang in der Lehre vernachlässigt wurde. «In den Ingenieurswissenschaften ist es selbstverständlich, dass man sich etwa um die Wasserversorgung in ärmlichen Regionen Gedanken macht..» In der Betriebswirtschaft hat die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herausforderungen bislang nur wenig Platz eingenommen. Die Wirtschaft müsse ausreichend Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen, sonst entstünden potentiell Konflikte oder völlig schief laufende Wahlen. «Am Ende des Tages sind wirtschaftliche Organisationen für die Gesellschaft da und nicht umgekehrt.»
So hat er beispielweise zusammen mit Professor Christoph Frei die «Taskforce Migration» gegründet. Als Universität könne man nicht wegsehen und so tun, als würde dieses Thema nicht existieren. «An der HSG ist es aber immer sehr leicht, Unterstützung zu finden, wenn man mal was anstösst – sei es von den Studierenden, der Fakultät oder der Administration.»

Ein besonderes Erlebnis

Als wir ins Gespräch über Fussball und die Fussball-WM 2014 in Brasilien kommen, erzählt Müller-Stewens uns noch von einem Erlebnis besonderer Art: «Das Endspiel der Fussball-Weltmeisterschaft habe ich mit Mönchen geschaut.» Während des Turniers war Müller-Stewens nämlich in Rom und schaute das Finale mit Benediktinermönchen aus der ganzen Welt, bei denen er gerade ein Seminar abhielt. Sportlich war die Partie aus seiner Sicht natürlich toll, aber auch die Stimmung war sehr international und fussball-euphorisch. «Die waren da aus aller Welt und es wurde stark mitgefiebert. Die Argentinier haben kurzerhand ihre Kutte gegen das weiss-blaue Trikot getauscht. Und die Kernfrage zu Spielanfang war, ob nun der alte deutsche Papst oder der neue argentinische Papst die wirkungsvolleren Gebete haben wird.»

Der HSG verbunden bleiben

Oft werde Günter Müller-Stewens gefragt: «Was hast du denn jetzt vor nach deiner Emeritierung?», jedoch habe er sich bisher noch auf nichts eingelassen. «Ich möchte erst mal abwarten, wie das so wird.» Wenn die Lehre zu Ende ist, könne man am Institut weiterarbeiten. So will er gerne weiterhin im Rahmen der Executive Education tätig bleiben und auch an seiner Publikationsarbeit festhalten, mit der Hoffnung, dass die HSG auch weiterhin davon profitiere. Nach kurzem Überlegen fügt er noch bei: «Oftmals ist es so, dass man sich so in seine eigene Arbeit vertieft, dass man die interessanten Möglichkeiten rechts und links gar nicht wahrnimmt. Ich würde gerne die Zeit nutzen, um mich vielleicht auf Erfahrungen einzulassen, für die vorher keine Zeit geblieben ist, oder die ich bislang gar nicht wahrgenommen habe.»


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