Ein Leben voll auf Kurs

Klaus Wellershoff ist Ökonom mit Leib und Seele. Nach dem Studium in St. Gallen und den USA war er während zwölf Jahren Chefvolkswirt der UBS. Seit 2009 berät er Unternehmen und Staaten in volkswirtschaftlichen Belangen und unterrichtet an der HSG.

Freundlich und leicht verschmitzt lächelnd sitzt Klaus W. Wellershoff am Tisch. Mit seiner freund- lichen und doch einnehmenden Art fällt es leicht, ihm zuzuhören, wie er geduldig die Fragen über sein Leben beantwortet. Ruhig sitzt er am grossen, hölzernen Tisch im getäferten Raum, der einen von Zeiten träumen lässt, in denen es normal war, sich mit Fliege und Melone in der Stadt auf einen Spaziergang zu begeben, während Pferdekutschen klappernd vorbeirollten. Das gesamte Haus, in dem sich besagter Raum befindet, besitzt diesen Zauber und zieht einen in seinen Bann, sobald man es be- tritt. Jedoch erst dann, denn das Haus ist neben den Villen des Zürichberges, in deren direkter Nachbar- schaft es sich befindet, geradezu unauffällig. Schon seit einiger Zeit befinden sich die Räumlichkeiten von Klaus Wellershoffs Firma, Wellershoff & Part- ners, in diesem Gebäude und seit noch längerer Zeit befindet sich Klaus Wellershoffs Lebensmittelpunkt in Zürich. Seine vier Söhne sind allesamt hier auf- gewachsen und auch heute lebt Familie Wellershoff noch in der Stadt Zürich, was die Kindheit der Söh- ne von der ihres Vaters grundlegend unterscheidet.

Unterwegs zu Hause

Denn als Sohn eines hochrangigen Soldaten und einer ehemaligen UN-Mitarbeiterin zog Wellershoff oft um. In seinen Kindertagen galt denn auch bei ihm zu Hause der Spruch «Mutti, die Wohnung ist schmutzig, wir müssen wieder umziehen». So verwundert es nicht, dass er auf seiner Odyssee durch die deutsche Bildungs-Landschaft sieben Schulen besuchte. Als diese Reise durch die Bildungsinstitutionen fürs Erste abgeschlossen hatte, brach er auf zu neuen Ufern. Dies im wahrsten Sinne des Wortes, denn seinen Wehrdienst verbrachte Klaus Wellershoff als Navigator auf dem Schulschiff «Deutschland». Beim ersten Landgang auf der ersten grossen Fahrt, in Freetown, Sierra Leone, hatte Klaus Wellershoff denn auch ein für sein weiteres Leben prägendes Erlebnis: «Das fand ich unheimlich beeindruckend, da an Land zu gehen, als junger Mann und dann zu verhandeln, ob das Taxi für den ganzen Tag einen Dollar oder zwei kostet… Das war für mich sehr beeindruckend. Ich habe mich gefragt, wie das sein könne, dass es solche grossen Unterschiede in Lebensstandards gibt. Und das hat mich dann eigentlich auf das wirtschaftliche Thema gebracht.»

Der Wirtschaft auf den Grund gehen

Dieses wirtschaftliche Thema wurde dann mit seinen Vorgesetzten auf dem Schiff – die zum Glück sehr intelligente Persönlichkeiten waren – während der monatelangen Reisen weiter diskutiert und sollte zu einem bestimmenden Element in seinem Leben werden. Jedoch getraute Wellershoff sich nicht, direkt Wirtschaft zu studieren. So beschloss er, nach seinem Wehrdienst eine Banklehre bei der Kölner Privatbank «Sal. Oppenheim» zu beginnen, da er verstehen wollte, wie das praktisch funktioniert mit der Wirtschaft. Die Zeit bei Oppenheim sei sehr spannend gewesen, da in dieser eher kleinen Bank die Möglichkeit bestand, das Bankgeschäft aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Während der Lehre reifte in ihm aber trotzdem der Wunsch, das praktisch Erlernte theoretisch zu durchdringen, was ihn dazu animierte, doch noch Wirtschaft zu studieren. Der Freund einer damaligen Arbeitskollegin war es, der ihn auf die Idee brachte, nach St.Gallen zu gehen. Dieser Freund hatte selbst hier studiert und war begeistert von der hiesige Lehre. Nachdem er sich noch weiter umgehört hatte, beschloss Klaus Wellershoff, sich für ein Studium an der HSG zu bewerben. Schon zu seiner Zeit musste man als Ausländer eine Aufnahmeprüfung bestehen, was er – wie er selbst sagt – mit etwas Glück schaffte.

Er habe extrem davon profitiert, dass er in der Schweiz studiert hat, die damals für ihn noch Ausland war. Er hätte so nicht jedes Wochenende die Möglichkeit gehabt, die Wäsche zuhause abzugeben und die alten Freunde zu sehen. So kam er in sehr engen Kontakt mit Kommilitonen, die ernsthaft am Inhalt interessiert waren. «Wir hatten viel Spass, haben die Gegend erkundet, sind abends oft und lange zusammengesessen haben gekocht und diskutiert.»

Spannend, aber einsam

Nach seinem Studienbeginn 1986 wählte Wellershoff – ganz im Sinne seiner Fragen aus den Erlebnissen in Sierra Leone – «Wirtschaftssysteme im Vergleich» als Vertiefungsrichtung. Das Studienfach sei damals besonders auch durch den Konflikt zwischen Kapitalismus und Sozialismus geprägt worden. Ota Šik, erster Wirtschaftsminister im Prager Frühling und Verfechter eines dritten Weges zwischen Plan- und Marktwirtschaft war einer seiner Professoren. Er lehrte ihn, wo die Fehler bei Marx liegen. Immer mehr begannen sich Wellershoff und seine Kommilitonen für die Ost-West-Fragen zu interessieren und gründeten schliesslich die «Studentische Initiative für eine gesamteuropäische Integration». Im Rahmen dieses Projekts organisierten sie unter anderem einen Austausch mit einer russischen Universität. Besonders bereichernd empfand Wellershoff in seiner Studienzeit das Betreuungs- verhältnis zwischen den Professoren und den Studierenden, da kleine Studiengänge eine intensive Betreuung zuliessen. Im Laufe seines Studiums entdeckte Wellershoff dann auch seine Faszination für die Makroökonomie der offenen Volkswirtschaften, die bis heute anhält. Durch das enge Betreuungsverhältnis war es schon früh möglich, zu sehen, was wirtschaftswissenschaftliche Forschung bedeutet, indem man zum Beispiel selbst mit an Kongresse reisen konnte. Nachdem er sein Studium mit einer Doktorarbeit und einer damit verbundenen Zeit als Visiting Fellow in Harvard abgeschlossen hatte, wollte er den akademischen Weg nicht länger verfolgen. Über seine Zeit als Forscher sagt er denn auch: «Unheimlich spannend, aber irgendwie auch sehr einsam… schliesslich bin ich nicht so wahnsinnig intelligent und auch mathematisch nur halb begabt – und mein Sohn, der im fünften Semester Mathematik studiert, würde jetzt noch anfügen, dass das eine Übertreibung ist.»

Schlussendlich führte Wellershoffs Weg zurück in eine Bank. Genauer gesagt zum Schweizerischen Bankenverein (SBV). Der Schritt zurück sei aber nicht beabsichtigt gewesen. Er habe sich vielmehr aufgrund der Menschen, welche ihn bei seiner künftigen Anstellung erwarteten, dazu entschieden, zurück in das Bankenwesen zu gehen. Sehr schnell durfte er Verantwortung übernehmen, ein eigenes Team leiten. Als dann nach zwei Jahren beim SBV sein Chef pensioniert wurde, wurde er mit 33 Jahren der neue Chefökonom. Durch die Fusion zur UBS begleiteten ihn ständig nicht nur volkswirtschaftliche, sondern auch betriebswirtschaftliche Themen wie die Frage nach der Integration von Einheiten und der Ausrichtung der Produkte. Diese Fragen seien rückblickend wohl auch das Spannendste an dieser Zeit gewesen, auch wenn seine Arbeit als Ökonom trotzdem nicht zu kurz kam. Bis 2009 blieb er bei der UBS, mit einer ständig wachsenden Liste von Kompetenzen, die sich unter anderem bis zum Chefsessel der Forschungsabteilung für das gesamte Privatkundengeschäft ausdehnte. In dieser Funktion war es ihm möglich, unabhängig volkswirtschaftlich zu forschen. So warnte seine Abteilung schon 2006 vor den Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt in den USA, auch wenn sie natürlich nicht die Finanzkrise als solche vorhersahen. Die Finanzkrise war eine sehr schwierige Zeit für ihn, aber: «…auf der anderen Seite, als Ökonom eine so tiefe Finanzkrise von innen erleben zu dürfen, dass empfinde ich auch heute noch als ein Privileg. Viele meiner Kollegen reden und schreiben, haben aber überhaupt keine Ahnung, was da passiert ist. Gleichzeitig die Möglichkeit zu haben, zu erleben, was da ökonomisch passiert und was in einer so grossen, involvierten Bank vor sich geht, davon kann ich noch meinen Enkelkindern erzählen.»

Endlich Unternehmer

2009 machte sich Wellershoff schliesslich, wie schon lange geplant, selbständig und gründete sein eigenes Beratungsunternehmen. Sein eigener Herr zu sein ,sei immer noch bei Weitem die befriedigendste Aufgabe in seinem Arbeitsleben. Das so verdiente Geld fühle sich anders an und es sei sehr angenehm, nur noch mit den Leuten zusammenarbeiten zu müssen, mit denen man auch zusammenarbeiten wolle. Seit nunmehr fünf Jahren ist Wellershoff selbständig und seine Büroräumlichkeiten befinden sich in ebendiesem faszinierenden Haus, in dem er an dem grossen Tisch sitzt und all dies erzählt.

Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer ist Wellershoff, der sich selbst als fröhlichen Typ bezeichnet, der optimistisch aber durchaus auch dominant sein kann, auch Professor für angewandte Volkswirtschaftslehre an der HSG, Kolumnist für die Handelszeitung und oft auf Radio SRF 4 News zu hören. Die Kraft für all diese Betätigungen nimmt Wellershoff zum grossen Teil aus seiner Leidenschaft für die Volkswirtschaft selbst. «Ich bin Ökonom von Beruf, die Geschichte der Ökonomie verfolge ich als Hobby. Das mache ich unheimlich gerne. Ich habe da irgendwas in mir drin, das jubelt, wenn ich mich an den Computer setzen und mit Stata hantieren kann. Das werden jetzt nicht alle nachvollziehen können, die Stata kennen…» Doch bereits als Kind hat Wellershoff zu Hause gelernt, dass man nicht nur auf der Welt sei, um für sich selbst glücklich zu werden und so sieht er solche Kolumnen und Engagements als seinen Beitrag an die Gesellschaft. Denn Wellershoff, der trotz seiner vielen öffentlichen Auftritte nicht gerne im Mittelpunkt steht, sagt: «Für mich ist Wissen nicht Macht, sondern Verantwortung.»

Geburtstag: 3. Februar 1964 in Wilhelmshaven, Deutschland

Hobbys: Geschichte des ökonomischen Denkens und Sammeln ökonomischer Schriften vor 1800, Marinegeschichte der deutschen Marine seit 1848, Modelleisenbahnbauen mit den Söhnen

Lieblingsmusik: Gary Moore, Van Morrison, B. B. King und generell Musik mit einem starken Blueseinschlag und guten Texten

Lieblingsfilm: Out of Africa, Tron: Legacy

Lieblingsbücher: Zu viele! Unter anderem Das Stadtgespräch von Siegfried Lenz und Brideshead Revisited von Evelyn Waugh

Lieblingsessen: Englisches Frühstück – mit Black Pudding, bitte!

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Fotos: Janina Abrashi


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