Einfach einmal ohne

Alle kennen sie: Die Kontrolle am Morgen, bevor es zur HSG geht: Sind Schlüssel, Portemonnaie, Handy und Laptop dabei? Ich habe es mir einfach gemacht und die elektronische Hälfte zu Hause gelassen. Ein Selbstversuch.

Jeden Tag, an dem ich an die HSG gehe, setze ich meine Kopfhörer auf und schalte die Musik in meinem Handy ein. Dies mache ich immer auf dem Weg von der Haustüre zum Veloschopf. Dabei ist mir noch nie aufgefallen, dass die Nachbarn ein neues Auto haben. Doch heute schon, denn heute habe ich bewusst alle elektronischen Geräte daheim gelassen, um die Universität mit den Augen älterer Generationen zu betrachten. Naja, vielleicht haben sie das neue Fahrzeug auch erst seit gestern.
So mache ich mich mit meinem Fahrrad auf den Weg. Klar vermisse ich Songzeilen wie «Don‘t follow leaders, watch the parking meters» oder «Auch nach tausend Mal bleibt 1 die derbste Zahl» ein wenig, doch dafür höre ich die Primarschüler lachen, Vögel zwitschern und die Autos brummen. Als ich dann zum Veloplatz abbiegen will, muss ich nicht lange nach hinten schauen, um mich zu vergewissern; da kommt kein Fahrzeug. Nein, denn ich höre es ja. Als ich dann vom Veloplatz zum Eingang spaziere, sehe ich einen süssen Vogel. Keine Ahnung was das für einer ist, sieht aber aus wie ein Spatz in Fasnachtstracht.

Entzugserscheinungen

So gehe ich alsdann in die erste Vorlesung des Tages, kurz nach zehn ist die Zeit. Die Zimmernummern habe ich mir am Vorabend auf einen Zettel notiert, ganz klassisch. Eigentlich kann ich während der zwei Stunden der ganzen Sache auch ziemlich gut folgen, bin etwa aufmerksamer, als mit Handy und Laptop. Falls mir doch mal nach Ablenkung zu Mute ist, schaue ich aus dem Fenster oder betrachte meine Kommilitonen. Was mir jetzt zum ersten Mal auffällt, und mich ziemlich stört, ist das Tastengeratter. Da frage ich mich, was denn die alle notieren, steht doch alles auf den Folien. Ein kurzer Blick auf einige der Laptops verrät mir, dass die sozialen Medien der Grund für das Geratter sind und nicht das Notieren von Gesagtem. Ich muss eingestehen, dass ich während der ersten Vorlesung immer mal wieder an mein Handy gedacht habe. Wer mir wohl schreibt, was ich wohl verpasse. Langeweile kommt auf und es fällt mir schwer, diese zu stillen.
Nun denn, die Vorlesungen klappen auch ziemlich gut ohne digitale Helfer, oder eben Störer. Doch ich frage mich, wie so ein Universitätsbetrieb ohne PowerPoint und StudyNet funktionierte. Wahrscheinlich hat die Professorin einfach alles auf die Leinwand gekritzelt und man musste es abschreiben, etwa so, wie in all den Übungsstunden freitags. Diese Form von Unterricht war sicherlich für die Professoren mühsamer, wohingegen die Schüler nicht schlechter bedient waren. Eine Mitschrift prägt vieles besser ein, als nur eine Folie zu lesen. Ausserdem habe ich erfahren, dass vor den Zeiten des ServicePortals oder Compass die Noten einfach ausgehängt wurden. Die Guten oben, die Schlechten unten. Dies gibt dem Lied «Bück dich hoch» einen ganz anderen Sinn.
Nach diesen zwei Stunden wird es Zeit für einen Kaffee. An diesem Tag treffe ich mich immer um zwölf Uhr mit einem Kollegen, bevor wir wieder getrennt in verschiedene Vorlesungen sitzen. Zum Glück habe ich ihm gestern geschrieben, dass ich das Handy nicht dabei haben werde und wir haben nach alter Manier den Treffpunkt schon einen Tag vorher fixiert. Hoffentlich kommt er auch, denke ich, als er ein wenig Verspätung hat. In der heutigen Zeit bedeuten Abmachungen und Pünktlichkeit nicht mehr so viel. Man ist ja immer erreichbar und kann schreiben, falls man den Bus verpasst. Dies stört tatsächlich und eine gewisse Angst schwebt immer mit. Doch er kam, Gott sei Dank.

Hier und Jetzt

Nach dem Kaffee geht es dann wieder in eine Vorlesung, Englisch Niveau II. Praktisch, da eigentlich nur geredet wird und sowieso niemand einen Laptop vor sich hat. Danach mache ich mit meinem Banknachbarn einen Termin ab, um unseren Vortrag vorzubereiten. Er müsse kurz zum Coiffeur, melde sich aber bei mir, sobald er fertig sei, um mich zu treffen. Ich entschuldige mich, da ich kein Handy dabei habe. Somit müssen wir eine Zeit festlegen. Das kommt mir ehrlich gesagt sehr entgegen, weil ich so nicht immer auf dem Sprung sein muss.
Als ich die zu überbrückende Zeit bis zum Treffen in der Cafeteria verbringe, wird mir, nachdem ich etwas für die Uni gemacht habe, langweilig. Ich frage mich, ob ein Kollege, der nun an der Uni sein sollte, wohl Zeit für einen Schwatz hat. Leider werde ich dies ohne Handy nie erfahren und schaue somit bis zum Treffen den anderen Studenten zu. Ziemlich interessant, wie oft zwei Personen sich vis-à-vis sitzen und doch beide am Handy sind. Unlängst habe ich ein Gespräch mit einer Kollegin geführt, die trotz Generation Y kein Smartphone besitzt: Es sei «Zeitverplemperung» und würde die sozialen Kontakte schwächen. Man teilt mit sozialen Medien einfach mehr, ohne es aber zu teilen.
Natürlich bin ich mit ihr einer Meinung, wer schon nicht. Doch diese cleveren Telefone bringen auch viele Vorteile. Man muss ihren Gebrauch einfach minimieren. So zum Beispiel einfach in der Tasche lassen, wenn man mit jemandem zusammen ist. Denn keine Nachricht auf der Welt ist momentan wichtiger als das Gegenüber. Auch falls man sich gerade etwas fragt, etwa wie schwer ein Pferd ist, sollte man raten und kuriose Theorien aufstellen, anstatt einfach kurz nachzuschauen. Unterhaltung vorprogrammiert und die Lebensqualität wird sich erhöhen.
Nach all diesen Gedanken und spannenden Beobachtungen war das Warten dann schneller um als gedacht. Bei der Besprechung packen wir den Laptop erst gar nicht aus. Da ich Kuli und Block dabei habe und mir alles Wichtige darauf notierte, braucht es den ja sowieso nicht. Das Gespräch, so ganz ohne digitale Ablenkung in der Mitte, funktioniert bestens und wir sind extrem produktiv. Zum Schluss machten wir noch den nächsten Termin ab. Jetzt wird es Zeit für meine letzte Vorlesung des Tages. Gegen Ende fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit kein einziges Mal an mein Smartphone gedacht habe. Ich lebe im Hier und Jetzt und merke, wie unwichtig das Umfeld ist. Und das schon nach einem Tag.

Wissen ist nicht digital

Auch beim nach Hause radeln muss ich wieder auf meine Musik verzichten. Ist aber gar nicht so schlimm, denn ich bin aufmerksamer. Zu Hause angekommen, nehme ich mein Smartphone zur Hand und öffnete WhatsApp: Neun Nachrichten und dann noch sieben E-Mails. Vielleicht wird das ganze Social-Media-Zeugs einfach überbewertet. Als ich das nächste Treffen für die Vortragsplanung, das ich am Tag abgemacht habe, in meinen digitalen Kalender eintragen will, sehe ich, dass da schon ein Termin steht. Naja, einen kleinen Rückschlag musste ich wohl einstecken. Doch ein neuer Termin ist mit Hilfe von WhatsApp schnell gefunden. Kurz darauf gehe ich an den Computer und schaue nach wie der bunte Vogel heisst: Kohlmeise. Das hätten meine Eltern wohl auch ohne Internet gewusst. Ich habe erst kürzlich einen Artikel gelesen mit dem tollen Einwurf, dass Informationen weder den Horizont erweitern noch klüger machen. Es braucht vor allem Wissen und das zu googeln geht leider nicht. Somit empfehle ich allen, einfach mal das Handy zu Hause zu lassen, denn es nur schon in der Tasche dabei zu haben, macht einen grossen Unterschied. Man sollte die neuen Technologien nicht verteufeln, aber merken, dass sie nicht alles können und wenig ersetzen.


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