Es hat sich ausgeschwänzt

Das Studentenparlament kann demokratisch gewählte Parlamentarier abwählen. Handelt es sich um eine repräsentativ abgestützte Entscheidung oder eine völlige Missachtung demokratischer Prinzipien? Ein Kommentar.

Das Studentenparlament (Stupa) kann auf verschiedenste Weise gegen Parlamentarier vorgehen, die durch Abwesenheit glänzen oder durch anderweitige Verletzungen ihrer Pflichten auffallen. Fehlt ein Abgeordneter an mehr als drei Sitzungen, muss das Präsidium einen Antrag auf Rüge stellen. Bei Annahme des Antrages wird der Parlamentarier gerügt und muss – falls vorgesehen – bei schwerwiegenden Verfehlungen sogar mit einer Busse von bis zu 250 Franken rechnen. Nach einer zweiten Rüge, die durch eine Zweidrittelmehrheit im Stupa angenommen werden muss, wird der Parlamentarier automatisch aus dem Parlament ausgeschlossen. Ebenfalls steht dem Parlament als Ultima Ratio die Möglichkeit offen, ein Mitglied direkt abzuwählen. Das ist alles andere als unproblematisch, weshalb auch in einem solchen Fall eine Zweidrittelmehrheit benötigt wird. Die Abwahl demokratisch legitimierter Parlamentarier durch das Stupa erscheint trotzdem fragwürdig. In der entsprechenden Bestimmung des Reglements über die studentischen Vertreter stehen keinerlei sachliche Gründe, die eine entsprechende Abwahl rechtfertigen würden. Faktisch kann das Stupa mithilfe dieser viel zu allgemein formulierten Regelung Parlamentarier willkürlich vor die Tür setzen.

Entgegen einschlägigen, demokratischen Prinzipien

Dieses Semester ist zum ersten Mal seit der Neuordnung des Parlaments aus dem Jahr 2010/2011 eine solche Abwahl im Parlament zur Abstimmung gestanden. Ein Parlamentarier ist in zwei Gremien gewählt worden ohne in seiner Kandidatur anzugeben, dass er während der Hälfte seiner Amtszeit abwesend sein würde. Aufgrund der bestehenden Reglemente wäre dadurch das Präsidium auf Ende des Semester verpflichtet drei Anträge auf Rüge zu stellen: Abwesenheit in der Parlamentssitzung, Abwesenheit in der School of Management (SoM), Abwesenheit im Senat sowie in der Kommission. Für Jana Huber, Mitglied des Studentenparlaments, erschien die Abwahl als das geeignetste Mittel nachdem der Abgeordnete den freiwilligen Rücktritt verweigerte. «Durch die Abwesenheit müssen die Sitzungen ein ganzes Semester lang mit einem studentischen Vertreter weniger bestritten werden, dabei gibt es in beiden Gremien Nachrücker», sagt sie zur Angelegenheit.
Es ist zweifellos notwendig, dass dem Stupa Instrumente zur Verfügung stehen, um gegen Parlamentarier vorzugehen, die eine Pflichtverletzung begangen haben – das steht ausser Frage. Jedoch erscheint das ganze in einem anderen Licht, wenn man sich eine ähnliche Situation in unserem nationalen Parlament vorstellt. Ein vom Volk gewählter Parlamentarier ist ständig abwesend und hält es nicht für nötig, an einer Session teilzunehmen. In der Praxis ist dies keine Seltenheit: Es gibt Nationalräte, die regelmässig den Sitzungen fernbleiben. Von seinen Kollegen kann der Volksvertreter selbstverständlich nicht abgewählt werden. Ausser einer Kürzung ihres Taggeldes müssen die «Schwänzer» keine Konsequenzen fürchten.
Analoge Beispiele lassen sich auch in der Wirtschaft finden. Verwaltungsratsmitglieder können nicht einfach einen aus ihrer Mitte abwählen. Dieses Recht steht einzig und allein der Generalversammlung zu. Aus basisdemokratischer Sicht lässt sich somit eine Abwahl eines Stupa-Mitglieds nur durch die Zustimmung der gesamten Studentenschaft rechtfertigen. Dass Stupa-Mitglieder einen abwählen, der sich auf der gleichen Stufe wie sie befindet, steht entgegen einschlägigen demokratischen Prinzipien.

Im Interesse der Studenten

Können «Schwänzer» im Stupa mit Delinquenten im Nationalrat verglichen werden? Ein aus Studenten zusammengesetztes Parlament auf die gleiche Stufe wie die grosse Kammer zu stellen, mutet – gelinde ausgedrückt – illusorisch an. Letztendlich handelt es sich um kein Staatsorgan. Dennoch lässt sich ein gewisser staatsorganischer Charakter nicht leugnen; schliesslich nennen sie sich Studentenparlament. Die Mitglieder werden gewählt wie Parlamentarier, sie sind Parlamentarier und so sollte es auch bleiben.
Gleichermassen werden durch das Parlament als Legislative der Studentenschaft (SHSG) wichtige Entscheidungen getroffen. Es werden sämtliche Budgets bewilligt, der Vorstand der SHSG sowie die studentischen Initiativen kontrolliert. Ein freiwilliges Engagement im Stupa ist somit mit einer grossen Verantwortung verbunden, welches eine gewisse Ernsthaftigkeit seitens der Parlamentarier benötigt. Sich für die Hälfte der Amtszeit ins Ausland abzusetzen, zeugt zumindest von einer willentlich in Kauf genommenen Pflichtverletzung und sollte dementsprechend geahndet werden können.
Wie oben bereits gesagt, hätte das Präsidium ohnehin am Ende des Semesters drei Anträge auf Rüge stellen müssen. Wären zwei davon angenommen worden, wäre der Abgeordnete automatisch abgewählt und ein halbes Jahr ginge damit verloren, während dem die SHSG durch die Nachrücker hätte vertreten werden können. Nicht auf die Situation zu reagieren, hätte im Umkehrschluss bedeutet, dass Abwesenheit keine Pflichtverletzung ist. Dies hätte diverse Folgen: Abwesenheit wirkt sich auf das Quorum aus, was dazu führen kann, dass Sitzungen wiederholt werden müssen. Im vorliegenden Fall war die direkte Abwahl – abgesehen vom Rücktritt – der diskreteste Weg, mit der Situation umzugehen. Es liegt im Interesse der Studenten, dass Parlamentarier, die durch Pflichtverletzungen negativ aufgefallen sind, aus dem Stupa ausgeschlossen werden. Gerade deswegen, erscheint eine direkte Abwahl durch uns Studenten notwendig, auch wenn dies sicher nicht die praktikabelste Lösung wäre. Die Seltenheit des vorliegenden Falles ist in diesem Zusammenhang unbedeutend.

Namensänderung?

Der betroffene Parlamentarier wurde schlussendlich nur aus dem Senat gewählt, nicht aber aus seinem Amt in der SoM. Dadurch wurde keinerlei Rechtssicherheit geschaffen, sondern die Unsicherheit weiter ausgebaut. Weder toleriert das Stupa durch diesen Entscheid Abwesenheit vollständig, noch lehnt es sie ganz ab. Das Stupa diskutierte über eine Erweiterung der entsprechenden Bestimmung. Eine blosse Abwahl sollte nur dann zulässig sein, wenn sämtliche, mit dem Amt verbundenen Pflichten verletzt wurden. Dem Betroffenen sollte gleichzeitig immer noch der Nachweis offenstehen, dass er alles unternommen hat, um seinen Pflichten nachzukommen. Dieser Vorschlag machte ebenfalls nur wenig Sinn und wurde abgelehnt. Einerseits ist die Verletzung «sämtlicher Pflichten» schwierig zu beweisen, und andererseits muss sich das Studentenparlament die Möglichkeit offen lassen, Pflichtverletzungen zu ahnden, mit welchen es nicht gerechnet hat. Der Fall des Parlamentariers hat in der Politkommission eine Grundsatzdiskussion über die strategische Ausrichtung des Stupas ausgelöst. Die Mitglieder der Politkommission diskutieren über den zukünftigen Umgang mit Studenten, die physisch abwesend sind und ein Amt innehaben. So wie die Regelung momentan besteht, erscheint es jedoch zumindest deplatziert, sich Parlament zu nennen.

Bild: zvg


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