Explosive Kunst an der HSG

Der unter Kunstkennern bekannte Sprengkünstler Roman Signer versuchte sich an der HSG, wo er der fünfteiligen Vorlesungsreihe zum Thema «Wem gehört die Stadt?» zu einem ausdrucksvollen Abschluss verhalf.

Wer sich am 28. November nach 20 Uhr in den Audimax der Universität begab, den erwartete ein ungewohntes Bild. So fand man über Ventilatoren schwingende Flaschen vor, die an den Scheinwerfern des Hörsaals befestigt wurden. Kein untypisches Bild für die Kenner des zu den bedeutendsten europäischen Künstlern der Gegenwart zählenden Roman Signer. Eine Vielzahl an Kunstinteressierten, Medienschaffenden und auch der ein oder andere HSG-Studierende gaben sich die Klinke in die Hand, gespannt dem Inputreferat von Peter Nobel zu lauschen. Zum krönenden Abschluss wurde das Publikum auf den Vorplatz des A-Gebäudes geführt, um live bei der Sprengung einer Zeitskulptur Roman Signers dabei zu sein. Erstaunlich wenig Studierende fanden an jenem Abend den Weg ins 09-010, was sich vermutlich darauf zurückführen lässt, dass solch kulturellen, meist öffentlichen Veranstaltungen nur wenig Aufmerksamkeit von studentischer Seite bekommen. Schade, wenn man bedenkt, dass die HSG für ihre breite Kunstsammlung doch sehr bekannt ist.

Impulsiver Einstieg

Eröffnet wurde der Abend durch ein Inputreferat von Peter Nobel, dem Präsidenten der Kunstkommission HSG. Der emeritierte St. Galler Jurist bot dem Publikum bereits vor dem eigentlichen Abschluss des Abends Explosivität: Der begeisterte Kunstliebhaber und – kenner Nobel, riss die Zuhörerschaft förmlich mit sich als er über «Kunst und Kultur im öffentlichen Raum» referierte. Bereits die Stadt an sich sei ein Kunstwerk und es sei die Aufgabe eines jeden Bürgers, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen und neben den offensichtlichen auch die unscheinbareren Werke wahrzunehmen.

Allerdings führt Kunst in der Stadt auch zu heftigen Diskussionen, denn alle müssen sie akzeptieren, so Peter Nobel in seinem Inputreferat. Bereits im privaten Rahmen, in Galerien und unter Kunstliebhabern wird viel über die Qualität von Kunst debattiert. Es gibt zwar mehr oder wenig grosse Konsenskreise, aber letztendlich bleibt es immer eine subjektive Frage, ob man ein Kunstwerk mag oder nicht. In der Öffentlichkeit kann Kunst umso mehr für rote Köpfe sorgen, denn hier erreicht sie die ganze Gesellschaft. Die einen erfreuen sich an ihr und andere regen sich auf, jedes Mal wenn sie daran vorbeigehen. Als Beispiel nennt Peter Nobel den Wasserturm von Roman Signer, der 1987 im Grabenpark in St. Gallen aufgestellt wurde. Als sich das Projekt noch in Planung befand, blickten einige Anwohner besorgt auf dieses skurrile Vorhaben Roman Signers und der Stadt St. Gallen. So entwickelte sich allmählich eine Protestbewegung, die sich gegen die Errichtung des Wasserturms einsetzte. Peter Nobel las aus einem Gedicht vor, das ein Gegner aus Wut geschrieben hatte. Darin beklagte sich der Autor darüber, dass in anderen Städten prachtvollvolle Brunnen errichtet würden und in St. Gallen lediglich ein sich leerendes Fass hingestellt wird.

Kunst entsteht in den Köpfen

Trotz hitzigen Debatten über den Sinn, die Ästhetik und die symbolische Kraft von Kunst in der Öffentlichkeit stellt Peter Nobel dennoch fest, dass sich die Gesellschaft schnell daran gewöhnt. Es scheint so, als ob ein öffentliches Kunstwerk erst durch politische Auseinandersetzungen mit Sinn behaftet wird und nachdem es einmal aufgestellt wurde, es vom Stadtbild nicht mehr wegzudenken ist. Dies illustriert sehr schön die vom Stararchitekten Santiago Calatrava errichtete Bushaltestelle am Bohl, dessen schwungvolle Ästhetik bei der St. Galler Bevölkerung zu Beginn auf Entsetzen stiess. Mit der Zeit allerdings fand auch die «Calatrava- Halle» ihren Platz im St. Galler Stadtbild. Heute, spätestens seit der Ablehnung des Projektes für eine Neugestaltung des Marktplatzes durch einen Volksentscheid, gehört auch dieses Werk zum Kunst- und Architekturerbe der Stadt St. Gallen.

In Anschluss an den Vortrag wurde noch Raum für Fragen eingeräumt. Nach anfänglichem Schweigen, das sich entweder auf die Schüchternheit der Zuhörer oder vielmehr auf den imposanten Vortrag zurückführen lässt, wurde schliesslich durch die eine oder andere provokante Frage die Stille gebrochen. Insbesondere die Frage, wie sich Kunstpreise heutzutage noch legitimieren lassen, führte zu fragenden Gesichtern im Publikum. Peter Nobel gab hierzu die Antwort, dass der Preis von einem Kunstwerk von Angebot und Nachfrage abhängt. Die Kunst besteht also darin, Werke von Kunstschaffenden zu kaufen, die noch nicht allzu hoch im Kurs sind.

Spannungsgeladenes Finale

Abgerundet wurde der Abend durch die bereits gespannt erwartete Sprengaktion von Roman Signer. Der Künstler betonte im Vorfeld, dass es ihm um die Verteidigung der Explosionskunst als solche ginge. Im heutigen Zeitalter, wo Explosionen schnell mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden, möchte der Künstler vor allem den künstlerischen Aspekt und insbesondere den Transformationsprozess in den Vordergrund rücken. Enttäuschend nur, dass das ganze Spektakel dann doch schneller vorbei war als erwartet. Vermutlich absichtlich sprengte Signer die präparierten Lehmblöcke ohne vorherige Ankündigung und zum Schrecken des ein oder anderen Schaulustigen. Alles in allem ein interessanter Abend und wieder einmal ein Beweis dafür, dass man Kunst nicht immer verstehen muss, um sie gut zu finden.


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