«Heimat ist da, wo ich den Lichtschalter im Dunkeln finde»

Es ist Mitte Mai 2013, trotz ganztägigem Sonnenschein ein kühler Abend, bei dem Alev Kurucay, meine Vorgängerin und damalige Leiterin des Ressorts «Menschen», und ich uns auf ein Gespräch mit Thomas Beschorner, Ordinarius und Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik, vor dem adhoc treffen. Kein Interview im klassischen Stil, sondern ein Dialog über das Leben des Thomas Beschorner, wenn er der Uni nach getaner Arbeit den Rücken kehrt, ein Gespräch über seine privaten Aktivitäten und Interessen, kurz: das ist Profs privat.

Thomas Beschorner, geboren und aufgewachsen in Süd-Niedersachsen, Sohn von Unternehmern und älterer Bruder einer Bankkauffrau, begann seine Karriere in der Praxis. Er absolvierte eine Lehre als Kaufmann, zu dem ihm ein Berufsberater riet, nachdem Thomas Beschorner ihm seine Lieblingsfächer Mathe und Sport nannte. Obwohl diese Diagnose vielleicht nicht ganz so fundiert ausfiel, sagt er heute, dass diese Lehre eine wertvolle Erfahrung war. Er durfte in vielen unterschiedlichen Bereichen arbeiten und so wurde sein Interesse für wirtschaftliche Zusammenhänge geweckt, die er im anschliessenden Wirtschaftsstudium vertiefte. Kurz nach Beginn des Studiums wurde es ihm aber eher langweilig.

Die «how to do»-Instrumente und Ähnlichkeiten zum Wirtschaftsgymnasium gefielen ihm nicht, da für ihn im Studium nicht genug hinterfragt und zu wenig Themen zur Diskussion gestellt wurden: «Es ging meistens um das Wie und nur sehr selten um das Warum». Deshalb begann er nebenbei ein Studium in Philosophie und Theologie. In diesen beiden Fächern fand er auch die Hintergründe, das Nachfragen und das wissenschaftliche Arbeiten, das ihm bei den Wirtschaftswissenschaften fehlte. Schon während der Bachelorzeit machte er sich Gedanken, wie man diese Komponenten seines Studiums zusammenbringen könnte. Seine Bachelorarbeit schrieb er zum Thema Soziale Marktwirtschaft und auch im Master Umweltökonomie und Umweltmanagement liess sein Interesse am Zusammenspiel von Wirtschaft und Ethik nicht nach. Mit der Promotion und Habilitation auf demselben Gebiet, sagt Thomas Beschorner, sei er in der Wirtschaftsethik angekommen. Obwohl er seit dem Studium viel Zeit in der Theorie verbracht hat, ist ihm der Bezug zur Praxis heute noch wichtig. Auf unsere Frage, ob er sich eher als Theoretiker oder Praktiker bezeichnen würde, antwortet er: Er sei ganz klar Theoretiker. Er habe zwar ein sehr grosses Interesse an der Praxis, auch aufgrund seiner Berufsausbildung, aber seine Stärke sei wohl eher die Beobachtung, da er gern theoretisiere. Er denke gern abstrakt über Dinge nach, aber dies immer mit einer praktischen Zielsetzung. «Mir ist es wichtig, Theorien zu verwenden, um Praxis zu verstehen, zu erklären und zu gestalten und ebenso durch praktische Beobachtungen Theorien zu entwickeln.»

Thomas Beschorner ist 43-jährig, Ehemann einer Kanadierin und Vater einer 10-jährigen Tochter. «Stellen Sie sich das Familienbild allerdings nicht in St. Gallen, sondern abwechselnd in St. Gallen und Montreal vor.» Seine Frau lebt mit der gemeinsamen Tochter nach wie vor in Kanada. Kennengelernt haben sie sich während der Promotion in Deutschland. Nach der Frage wie es weitergehen soll, entschieden sie sich gemeinsam für ein Leben in Kanada für rund ein Jahr. Daraus wurde dann doch eine Dekade, was er aber nie bereute. Für die HSG und die Umsiedlung in die Nähe der alten Heimat im Jahr 2011 habe er sich entschieden, weil es für ihn eine unglaublich attraktive Gelegenheit gewesen sei, an einer renommierten Universität zu arbeiten. Hier habe er grosse Freiheiten und die Möglichkeit, eigene Ideen und Visionen umzusetzen. Die Unis, an denen er früher arbeitete, waren tendenziell bürokratische Monster, die es nur eingeschränkt erlaubten, eine neue Idee während einer Kaffeepause kurz dem Rektor vorzuschlagen und sogleich das Okay zu bekommen. Den Schritt in die Schweiz bereut er nicht, obwohl die private Situation natürlich schon sehr anstrengend sei. Knapp zehnmal im Jahr fliegt er nach Kanada und zurück, um bei seiner Familie zu sein. Er bezeichnet sich selber als «transatlantischer Pendler», fügt aber rasch hinzu, dass er diesen grossen ökologischen Fussabdruck kompensiere: Er zahle einen Aufpreis für das Flugticket, mit dem dann Bäume gepflanzt würden, um den CO2-Ausstoss der Flüge auszugleichen. Generell bemüht er sich um einen nachhaltigen Lebensstil und besitzt kein Auto. Wir müssen schmunzeln und fragen ihn, ob er denn als Direktor des Instituts für Wirtschaftsethik einen gewissen Druck spüre, nachhaltig handeln zu müssen. Thomas Beschorner meint darauf, dass es wahrscheinlich eher das Umfeld sei, das einem das Gefühl gebe, besonders moralisch sein zu müssen. «Ich selbst aber finde das nicht – Ethiker sind nicht moralischer oder ethischer als andere Menschen. Ich bin auch kein Engel, aber Kanada ist nicht zu vermeiden», meint Beschorner lachend. Wenn immer es geht versucht er, die Bahn zu nehmen. Er nutzt die Zeit zum Arbeiten oder um Musik zu hören – am liebsten Regina Spektor. Neben der Musik und dem Job an der Uni hat Beschorner ein sehr zeitaufwändiges Hobby. Vor sieben Jahren hat er ein kleines Start-up-Unternehmen, eine Internet- Plattform für den Bereich der Unternehmerverantwortung und Corporate Social Responsibility (CSR), gegründet. Diese Plattform ist aber ausdrücklich nicht akademisch, sondern sehr praxisorientiert. «Das kleine Baby ist inzwischen die bekannteste Plattform und Medium in der Szene im deutschsprachigen Raum.» Sie zählt mehr als 100’000 Besucher pro Monat und hat das Ziel, eine fundierte und ausgewogene Informationsbereitstellung, Studien und Erfahrungen von Unternehmungen zu bündeln und für Unternehmen im Bereich der Unternehmerverantwortung und CSR zugänglich zu machen. Aktuell ist er dabei, mit seinen Partnern die GmbH durch eine gemeinnützige Stiftung zu ergänzen, wobei die Stiftung dann Trägerin der Plattform und des neu dazugekommenen Magazins werden soll. Thomas Beschorner ist begeistert, mit Herzblut dabei und hat noch sehr viele Ideen und Visionen für die Zukunft, das spürt man. Trotzdem wollen wir wissen, ob er denn neben dem Bereich der Wirtschaftsethik noch Hobbys habe. Lachend antwortet er: «Klar, ich habe auch normale Hobbys, wie normale Menschen.» Fussball ist seine grosse Leidenschaft, sowohl aktiv als auch passiv. Er spielt nicht mehr in einem Verein, aber ab und zu sieht man ihn im Uni- Team den Ball kicken. Zudem schaut er sich gerne Filme an – beispielsweise «Laurence Anyways» – und bezeichnet sich selbst als Serienjunkie. Zudem würde er gerne viel mehr lesen, aber während dem Semester hat er ein solches Lesepensum von Arbeiten und Gutachten zu absolvieren, dass die Literatur meist nur kurz über Weihnachten oder in den Ferien zum Zuge kommt. Seine Tochter fragte ihn mal, ob er nicht auch mal was Spannenderes schreiben könnte, als immer nur die langweiligen Wissenschaftsbücher und «tatsächlich habe ich ein Word-Dokument auf meinen Computer, das ich immer mal wieder öffne und ein paar Ideen reinschreibe; ein Kinderbuch würde ich gerne einmal verfassen.» Allerdings hätte es nichts mit Ethik zu tun, sondern wäre einfach eine sehr nette, unterhaltsame Geschichte für Kinder, die nicht gross moralisiert.

Für die Zukunft erhofft er sich eine Erleichterung der familiären Situation. Seine Frau ist ebenfalls Hochschullehrerin. Ein wunderbarer und vielfältiger Job, meint er, aber die Kehrseite der Medaille sei, dass man sich sehr auf ein Kerngebiet spezialisieren müsse. «Dass zwei Wissenschaftler mit derselben Spezialisierung sich in einer Region befinden, ist unglaublich schwierig.» Sich selbst aber sieht Thomas Beschorner, ohne nur mit der Wimper zu zucken, auch in Zukunft in St. Gallen. Er fühlt sich nicht hinund hergerissen oder heimatlos, denn «Heimat ist da, wo ich den Lichtschalter im Dunkeln finde und Personen um mich habe, die mich mögen und die mir wichtig sind.»

Geboren: 6. Mai 1970 in Göttingen, Deutschland
Hobbys: Fussball in Theorie und Praxis
Lieblingslektüre: Hermann Hesse
Musik: Regina Spektor
Lieblingsort:bei Familie und Freunden
Lieblingsessen: von Currywurst bis Japanisch


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