«Ich habe schon als Kind gewusst, ich bin anders …»

Lara fällt am Hauptbahnhof in Zürich nicht auf. Auf ihrer Nase sitzt eine dünne Brille, sie hat lange, braune Haare und trägt eine blaue Fliessjacke. Sie ist eine ganz gewöhnliche Frau. Was man ihr nicht ansieht: Lara war früher Lars.*prisma spricht mit ihr über ihre Entscheidung, eine Frau zu sein.

Im August 2009 ist bei ihr der Knoten geplatzt. Von da an ging es einfach nicht mehr weiter, erzählt uns Lara. In einer Nacht entschloss sie sich, dass sie von nun an als Frau leben will. Damals war sie 22 Jahre alt.

«Ich habe schon als Kind gewusst, ich bin anders» sagt sie uns. Mit 17 Jahren hat sie das erste Mal im Internet Transsexualität gegoogelt. Bei ihrer Suche landete sie auf einer Homepage, die sich mit dem Thema befasste; der Text, den sie dort las traf eins zu eins auf sie zu. Doch sie lebte ihr altes Leben noch weiter. Erst Jahre später, in jenem August, entschloss sie sich, endgültig ihren Wunsch auszuleben.

Als der Entschluss gefasst war, wandte sie sich an ihren Hausarzt. An eine professionelle Stelle sollte er sie weiterleiten. Schon einmal hatte sie ihm angedeutet, dass dieser Wunsch in ihr ist. Er half ihr bereitwillig und leitete sie an die Universität Zürich weiter. Dort gibt es extra eine Beratungsstelle für «Störung der Geschlechtsidentität/Transsexualität». In Zürich wurde dann abgeklärt, ob es sich nur um eine «Phase» handelte, oder es tatsächlich langfristig vertretbar war, ihr bei der Geschlechtsumwandlung zu helfen. Das ist wichtig, denn die Behandlung ist nicht reversibel. Die Abklärungen bestanden aus vielen Gesprächen, aber auch aus Alltagstests. «Ganz ehrlich, das war nicht angenehm», erinnert Lara sich. Einmal sollte sie komplett als Frau bekleidet das Haus verlassen. Anfangs fiel ihr das sehr schwer. Besonders ihr starker Bartwuchs war ein Problem. Mittlerweile ist er nicht mehr zu sehen; eine Lasertherapie hat ihn entfernt. Damals, als sie noch Lars war, war der Bart eine Art Schutzschild, erzählt sie uns. Damals hat er sie nicht gestört, im Gegenteil. Er war etwas Männliches, damit konnte sie eine Maskerade aufrechterhalten. Ihre Freunde können sich gut daran erinnern. Oft hat sie mit ihrem Bart experimentiert, Neues ausprobiert, ja gespielt. Mit dem Bart wird man «so wahrgenommen, wie man von der Gesellschaft hätte wahrgenommen werden sollen», teilt sie uns mit. Das war dann irgendwie richtig. Es gab noch mehrere dieser Schutzmechanismen. Ständig beobachtete sie ihre Bewegungen. Wenn ihr etwas weiblich erschien, veränderte sie es, damit sie maskuliner wirkte. Körpersprache ist auch Teil der Behandlung in Zürich. In der Logopädie, eigentlich Sprachtherapie, werden typische männliche und weibliche Bewegungsmuster erklärt. Während der Mann hektisch ist, gestikuliert und mit den Fingern auf Sachen zeigt, bleibt die Frau eher bei sich, erklärt uns Lara. Früher war ihr das nicht bewusst; sie hatte lediglich ein Gefühl dafür, was weiblich, und damit unangebracht, war. Sobald sie als Frau lebte, waren diese Schutzmechanismen jedoch nicht mehr notwendig, sogar eher störend.

Es gibt theoretische Kriterien in der «Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD)-10», einem weltweit anerkannten Diagnoseklassifikationssystem, die Transsexualität definieren. Trotzdem hatte sie nie das Gefühl, jemand etwas beweisen zu müssen. Nach ein bis eineinhalb Jahren Beratung konnte Lara mit einer Hormontheraphie beginnen.

Man könnte meinen, dass das eine Zeit war, in der sie unsicher war, gezweifelt hat. Doch dem war nicht so. Nach ihrem Entschluss, zum Arzt zu gehen, war vieles harmonischer. Davor gab es in ihrem Leben viele Probleme. Oft war sie krank, fühlte sich unwohl, hat ständig ihren Arbeitsort gewechselt. Seitdem sie sich «geoutet» hat, wurden ihre Probleme weniger.

Ein Brief an die Nachbarn

Lara entschied sich allein, Frau zu werden. Anfangs erzählte sie es nur ihren Eltern und der nahen Familie, dann folgten die besten Freunde. Es waren genau sechs Leute. Doch mit der Zeit kamen immer mehr dazu. «Die meisten können es eben doch nicht geheim halten» lacht sie. Es war schwierig, den Freunden zu erzählen, dass Lars von nun an Lara sein wollte. Sie fürchtete sich, ihre Freunde zu verlieren. Ihr bester Freund, Viktor*, hat es jedoch selbst herausgefunden. Er wusste damals, irgendwas stimmt mit Lars nicht. Oft wirkte er abwesend, in sich gekehrt. «Dann bohrst du halt nach», grinst Viktor «auf einmal kommt dann ‹ich hab das Gefühl, ich bin im falschen Körper›. Da ist man natürlich erst mal baff.» So etwas hatte er nicht erwartet. «Du denkst dir, so was würde man ja eigentlich merken. Ist aber nicht so. Dann hab ich mal gesagt: okay.» Dann begannen die Fragen an Lara, doch gestört hat es Viktor nicht. Dadurch, dass es ein Freund bereits wusste, war es für Lara einfacher, es den anderen zu erzählen. Sie war bei dem Gespräch nicht allein. Viktor gab ihr Halt. Die Sorgen waren jedoch unbegründet. Auch die Freunde haben ihre Transsexualität locker aufgenommen. Es gab jedoch gewisse Auflagen; «dort bin ich zu wenig kämpferisch gewesen», meint Lara lachend. Die Freunde würden sie nur Lara nennen, wenn sie es überall durften. Das war aber nicht möglich, wegen ihrer Arbeitsstelle.

An ihrem 25. Geburtstag erzählte sie es schliesslich allen. Mit unvorhergesehenen Ergebnissen. Allen Verwandten und Nachbarn sandte sie einen Brief. Die Reaktionen waren zum Teil überraschend. Da war ein Onkel, dessen Reaktion unerwartet kam. «Er hat das locker aufgenommen und einfach akzeptiert.» Ein anderer Onkel, der im sozialen Bereich tätig ist, hat viel mehr hinterfragt. Besonders die Reaktion der Grossmutter beeindruckte Lara. Ruhig reagierte sie «das muss ja schlimm gewesen sein, der Leidensdruck, den du dein Leben lang durchgemacht hast.»

Von diesem Tag an lebte sie nur noch als Lara. Einmal musste sie noch wegen einer Prüfung in ihre Männerrolle schlüpfen. «Komisch fühlten sich die Kleider da an.» Auch neue Leute lernt sie als Lara kennen, wenn es zur Vergangenheit kommt, lügt sie nicht. «Aber alles erzählt sie auch nicht jedem», lacht sie.

Die Veränderung geht weiter

Im Vorfeld dieses Gesprächs machte uns Lara klar, dass sie alle Fragen beantworten würde, wenn sie richtig recherchiert sind. In den Medien steht viel Sensationsgeiles und falsches Zeug. Doch auch da zeichnet sich eine Verbesserung ab. Die jetzigen Berichte in den Medien über Transsexualität sind aufgeklärter. «Krankenkassentechnisch habe ich ja eine Krankheit» erzählt sie, «aber ich fühle mich nicht krank und möchte in den Medien auch nicht so dargestellt werden. Ich bin ich.»

Doch mittlerweile kommt das Thema in der Gesellschaft besser an; auch das Beratungsangebot in Zürich wird immer häufiger konsultiert. Lara vergleicht die Transsexualität mit der Homosexualität vor 20 Jahren. Das musste auch erst in der Gesellschaft ankommen.

Im Moment ist Lara dabei, ihren Namen zu ändern. Damit aus Lars auch offiziell Lara wird und der Ausweis wieder stimmt. «Das ist sehr bürokratisch», lacht sie. Dazu schickt sie Dokumente, Rechnungen und Briefe, alles, wo sie den Namen Lara schon benutzt hat, an Behörden. Sie rechnet mit einem halben Jahr. Sollte sie Erfolg haben, wird automatisch alles geändert. Sie hat das Recht, rückwirkend für die letzten zehn Jahre in allen Dokumente den Namen ändern zu lassen. Es war schwer, einen neuen Namen zu finden; es dauerte fast zwei Jahre. Doch mit diesem Namen ist sie zufrieden; auch ihre Eltern können damit leben. Hin und wieder horcht sie noch auf, wenn jemand «Lars» ruft; den fast zwanzigjährigen Automatismus wird man nur schwer wieder los. Das Geschlecht in ihrem Ausweis zu ändern ist hingegen schwieriger. Dazu benötigt man eine Operation.

Der Kreis schliesst sich

Die Operation ist das nächste Ziel. Danach würde sie auch in ihren eigenen Augen eine komplette Frau sein. Bei der Operation werden die primären Geschlechtsorgane umgewandelt und dem neuen Lebenswunsch angepasst. Doch um operiert zu werden, müssen gewisse Punkte erfüllt sein. Einer davon ist Laras Problem: Man muss einen festen Job vorweisen; gleichzeitig muss es ein Job sein, bei dem man bedenkenlos fünf Monate fehlen kann. Das ist schwierig für sie, denn ihre jetzige Stelle im Verkauf hat sie erst seit kurzem, fünf Monate aussetzen ist nicht möglich. Wenn man älter und gefestigt im Leben steht, ist das einfacher, meint sie, für sie mit Mitte 20 ist es jedoch sehr schwer. Finanziell ist die Operation aber sonst kein Problem; die Krankenkasse übernimmt die Kosten der Behandlung. Die sonstigen Kriterien erfüllt Lara: die Hormonbehandlung muss ohne Nebenwirkungen laufen, auch der psychische Stand muss stabil sein. Alles trifft zu. Auch das sie als Frau lebt. Doch ohne Arbeitgeber lässt sich die Operation nicht umsetzen.

Lara möchte diese Operation unbedingt. Denn dann schliesst sich der Kreis, sie kann ihr neues Leben beginnen. «Ich hatte nie eine ausschweifende Jugend, und habe immer mehr das Gefühl, dass ich etwas nachholen möchte». Dann kann ich endlich so leben wie ich mich das lebenlang gefühlt habe, sagt sie uns.

So könnte sie sich auch der Liebe wieder widmen. Als Lara noch Lars war, hatte sie auch eine Freundin. Sie war damals glücklich, auch wenn sie manchmal das Gefühl hatte, «das ich etwas bringen musste, von dem ich nicht genau wusste, was.»

Zurzeit ist es mit der Liebe schwierig. Auf Frauen oder Männer will sie sich nicht festlegen. Grundsätzlich findet sie Frauen schöner, aber es gibt durchaus auch ein paar interessante Männer, meint sie.

Vor der Liebe liegt aber erst die Operation an. Im Moment wäre es sowieso schwierig. Lara will eine Beziehung als Frau führen. Mit einem Mann könnte sie deshalb nichts haben, ausser er wäre homosexuell; wieder eine Beziehung, wo sie nicht das ist, was sie sein will – eine Frau. Mit einer Frau ist es genauso; sollten Frauen auf Männer stehen, wäre sie wieder nicht die Richtige.

Doch sie sieht erwartungsvoll in die Zukunft, denn wenn die OP vorüber ist «gibt es einiges nachzuholen.»
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*Namen von der Redaktion geändert

Transsexualität

Sie kann als Störung der Geschlechteridentität gesehen werden. Es besteht ein Widerspruch zwischen dem eigenen biologischen Geschlecht und dem subjektiv empfundenen. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa eine Person von 50’000 davon betroffen ist.


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