Jeder darf wählen!

16, 18 oder 21 – überall auf der Welt gibt es ein Mindestwahlalter. Doch ist das überhaupt gerechtfertigt? Steht es nicht einer zukunftsfähigen Politik im Weg? Ein Plädoyer für das Wahlrecht ohne Altersgrenze.

Im Jahr 2045 werden laut Bericht des Bundesrates 2.7 Millionen Menschen in der Schweiz über 65 Jahre alt sein. Das bedeutet, dass auf 100 20-64-Jährige 48 Personen dieser älteren Generation kommen werden. Diese massive Alterung der Gesellschaft hat enorme politische Auswirkungen, denn es altert schliesslich auch das Stimmvolk.
Schon heute bestimmt das Thema Rente den Wahlkampf und die politische Agenda in vielen westlichen Nationen. Knappe Volksentscheide wie der Brexit werden durch die Stimmen der Alten entschieden, obwohl diese die langfristigen Konsequenzen wohl nicht mehr erleben werden. Um diesem Phänomen zu begegnen und wieder mehr Fokus auf Themen der jüngeren Generation wie Bildung oder Digitalisierung zu legen, wird die Absenkung des Mindestwahlalters auf 16 Jahre diskutiert. In Ländern wie Österreich oder dem Kanton Glarus wurde das bereits eingeführt. Doch gibt es neben dieser moderaten Senkung auch eine viel radikalere Idee: Ein Wahlrecht ganz ohne Altersgrenze.

Babys in der Wahlkabine?

Im ersten Moment klingt das für die meisten absurd und auch als ich zum ersten Mal damit in Berührung kam, hatte ich das Bild im Kopf von Babys in der Wahlkabine und Vorschulkindern, die mit Gummibärchen bestochen werden. Doch wer sich eingehender mit dem Thema beschäftigt wird schnell zu dem Schluss kommen, dass einige der vordergründig logisch erscheinenden Gründe für eine Altersgrenze durchaus hinterfragt werden können.
Vorangetrieben wird die Idee des Wahlrechts ohne Mindestalter insbesondere von der deutschen Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG) oder der Plant-for-the-Planet-Foundation. Möglichkeiten zur Umsetzung existieren verschiedene, wobei das von der SRzG vorgeschlagene «Wahlrecht durch Eintragung» am interessantesten erscheint. Dieses Modell sieht vor, dass zwar weiterhin ein reguläres Mindestalter besteht, aber auch jede jüngere Person durch Eintragung in ein Wahlregister unabhängig von ihrem Alter wählen darf.
Demokratie bedeutet die Herrschaft des Volkes und zu diesem gehört per Definition jeder Bürger ab Geburt. Der Ausschluss einzelner Gruppen ist nur in wenigen Einzelfällen zulässig und muss eingehend geprüft werden. Insbesondere verbietet Art. 8 Abs. 2 der Bundesverfassung Diskriminierung aufgrund des Alters. Das Mindestwahlalter als Diskriminierung der Jüngeren zu interpretieren mag uns auf den ersten Blick überzogen erscheinen, schliesslich sprechen Argumente, wie mangelnde Reife oder starke Beeinflussbarkeit doch deutlich für eine Altersgrenze. Allerdings ist es wichtig sich bewusst zu werden, dass hier einer grossen Bevölkerungsgruppe ihr wichtigstes politisches Recht vorenthalten wird und es dafür besonders schlagfertiger Gründe bedarf.

Stetiger Wandel des Wahlrechts

Es erscheint uns völlig natürlich, dass Kinder nicht wählen dürfen, doch sollten wir dies nicht als Argument zählen lassen. Vielleicht verstehen die Menschen in 200 Jahren nicht, wie wir Kinder von der Wahl ausschliessen konnten. Das Wahlrecht befindet sich seit Entstehung der ersten Demokratien stets im Wandel und wir sollten keine Denkverbote zulassen, wenn es darum geht, es weiter zu entwickeln. Doch nun zu den offensichtlichsten Gegenargumenten: Wer wie ich am Anfang an die mit Süssigkeiten bestochenen Vorschulkinder dachte, der spricht Kindern vermutlich die nötige Reife zum Wählen ab. Doch ist es essentiell, sich vor Augen zu führen, dass die fundamentalen Rechte des Menschen weder an Reife, noch an kognitive Fähigkeiten gebunden sind. Es existiert weder eine Obergrenze zum Wählen (wobei auch bei älteren Menschen die kognitiven Fähigkeiten nachlassen), noch ein wie auch immer gearteter Reifetest um zur Wahl zugelassen zu werden. Sowohl Demenzkranke, als auch Straftäter oder Betrunkene dürfen wählen und selbst wenn man den Wahlgang an eine bestimme Reife binden wollen würde, erscheint es überaus schwierig, ein Mass dafür zu finden, wer in welchem Zustand «wahlfähig» ist.
Doch diese Schwierigkeit einfach durch eine Grenze von 18 Jahren zu lösen und allen darunter die Fähigkeit ab- und denen darüber die Fähigkeit zuzusprechen, mutet willkürlich und ungerecht an. Zudem sieht das «Wahlrecht durch Eintragung» nur die Wahl derjenigen vor, welche sich eintragen haben lassen. Es ist davon auszugehen, dass diese Kinder und Jugendlichen besonders motiviert sind an der Wahl teilzunehmen und sich daher eventuell sogar intensiver auf diese vorbereiten, als der Durchschnittserwachsene.

Beim Wählen geht es nicht um Fähigkeiten

Ein weiterer gängiger Grund für das Mindestwahlalter ist die Behauptung, jüngere Menschen seien leichter durch ihre Eltern zu beeinflussen. Auch hier muss zunächst bemerkt werden, dass dieses Argument eigentlich sofort verworfen werden muss, da bei älteren Menschen kein Test der Beeinflussbarkeit stattfindet und selbst wenn man wissen würde, dass jemand besonders beeinflussbar ist, würde ihm wohl kaum das Wahlrecht entzogen werden. Und wenn wir mal ehrlich sind, sind die meisten von uns Studierenden insbesondere wirtschaftlich abhängig von unseren Eltern und sicher nicht ab dem 18. Geburtstag plötzlich komplett frei von deren politischer Meinung.

Willkürlich- und Ungerechtigkeit einer starren Altersgrenze

In vielen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens wird Kindern und Jugendlichen bereits vor der Volljährigkeit ein bedeutendes Mass an Verantwortung zugetraut und stark differenziert. So sind sie schon weit vor dem 18. Geburtstag bedingt geschäfts- und straffähig. Grundlage hierfür stellt Art. 11 Abs. 2 der Bundesverfassung dar, der besagt, dass Kinder und Jugendliche «ihre Rechte im Rahmen ihrer Urteilsfähigkeit» ausüben. Der Entzug des Wahlrechts erfolgt aber nicht nach Überprüfung ihrer Urteilsfähigkeit, sondern pauschal. Daher mutet es nach der Betrachtung der oben genannten Gegenargumente durchaus fragwürdig an, ob tatsächlich schlagfertige Gründe vorliegen, um dieser Gruppe ihr wichtigstes politisches Recht vorzuenthalten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es dem Grundprinzip der Demokratie widerspricht, einzelne Gruppen aufgrund ihrer Fähigkeiten vom Wahlrecht auszuschliessen, da die fundamentalen Rechte des Menschen diesem bedingungslos zuteilwerden und das Wahlrecht keine weiteren Ansprüche wie Reife etc. an den Wähler stellt. Doch selbst wenn gewisse Fähigkeiten als Voraussetzung um wählen zu dürfen definiert werden, erscheint es willkürlich und ungerecht, diese durch eine starre Altersgrenze zu- bzw. abzuerkennen. Aus rein theoretischen Überlegungen lässt sich also durchaus an der Legitimierung der Altersgrenze zweifeln und auch bei der Betrachtung der möglichen Auswirkungen eines Wahlrechtes ab Geburt erscheint dieses äusserst attraktiv: So würde das Interesse der jüngeren Generation an Politik und somit die Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie deutlich steigen, wenn diese merkten, dass ihre Stimme wirklich zählt. Ausserdem würden Zukunftsthemen durch die Absenkung des durchschnittlichen Alters des Stimmvolkes wieder stärker in den Fokus rücken. Warum also sollten wir es nicht wagen, unseren Vorfahren nachzueifern und zumindest einen Diskurs darüber zu führen, unsere Demokratie durch eine Ausweitung des Wahlrechts weiterzuentwickeln?


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*