Kultur partout: HSG – Zürich – St. Gallen – HSG

Valentin Diem äussert sich erstmals im Prisma zur «Kultursituation». Und wie man als Kulturredaktor inkognito im nächsten Prisma erscheinen kann, ohne auch nur eine Zeile zu schreiben.

Also, Kultur. Die klassische Moderne und die aus ihr geborene zeitgenössische Kunst finde ich supertoll. Besonders, weil sie überall anzutreffen ist; in den Hauptstädten dieser Welt, in Zürich, in Liechtenstein, auf dem Raiffeisenplatz in St. Gallen und selbstverständlich auch an der Universität St. Gallen. Nun ist es meines Erachtens aber sehr schade, dass doch die Mehrheit der Studenten an dem Gerhard Richter, Miro oder Arp vorbeischreiten, ohne auch nur einen kurzen Blick zu riskieren.

Wie anfänglich schon erwähnt, existieren noch andere Orte und kulturell geprägte Institutionen als die HSG. Leider schlossen die Ausstellungen «Malewitsch und sein Einfluss» im Kunstmuseum Liechtenstein sowie die «Raussmüller Collection» in den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen im September ihre Tore. Der Oktober verspricht dennoch äusserst Erbauliches bezüglich der Entgegenwirkung geistiger Verkümmerung.

Lob für das Haus Konstruktiv

Das Haus Konstruktiv zeigt unter dem Titel «New Tools for Old Attitudes» die schweizweit erste umfassende Werkschau von Beat Zoderer. Schon im Erdgeschoss wird der Betrachter mit einem für Zoderer typischen Werk konfrontiert. Man schreitet durch ein unperfekt eiförmiges Raumgebilde, das aus bunten Alublechstreifen fragmentarisch zu einem wuchernden Geflecht installiert wurde. Erst nach dem Erfassen von Innen- und Aussenperspektive erschliesst sich das Konstrukt als skulpturale Einheit. Die Werke sind schwierig einzuordnen, wechseln sie doch fliessend zwischen Malerei, Skulptur und Installation. Auf fast schon erzieherische Weise zwingt einen der Künstler, sich mit seinen Werken mehrfach auseinanderzusetzen und die eigene Wahrnehmung zu aktivieren, um das Verwirrspiel zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Fläche und Raum ganzheitlich zu erfassen. Es ist erstaunlich, wie aus Alltagsgegenständen mit Hilfe von prinzipiell simplen Ordnungsstrukturen, seien es rechte Winkel oder Normen wie DIN A4, eine Irritation des Betrachters provoziert wird, die bis zum spontanen Orientierungsverlust führen kann. Der Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst, die gerade erst mit der beeindruckenden Retrospektive von Andreas Christens Werk und der «Verunsicherung des konstruktiven Denkens» überzeugte, ist mit Zoderers Ausstellung ein weiterer Wurf gelungen. Sicherlich kann man sich bei der kommenden «Max Bill 100»-Ausstellung, die am 20. November 2008 ihre Tore im ewz-Unterwerk Selnau öffnet, auf einiges gefasst machen.

Tadel für die Kunsthalle St. Gallen

Die Kunsthalle St. Gallen – mit ihrem grossartigen Wurstlogo – versucht momentan, Kunstbegeisterte mit der Gruppenausstellung «A town, not a city» für sich zu gewinnen. Ich wurde nicht so richtig warm. Zwar habe ich meinen Begleiter beim Shuffleboard, welches unter dem Titel «Nancy» vom amerikanischen Künstler Oscar Tuazon entworfen wurde, knapp geschlagen, was dann auch zu spontanen Freudenschreien in den sonst doch andächtig ruhigen Ausstellungsräumen führte. Jedoch hielt sich sonst die Euphorie über die künstlerische Auseinandersetzung mit einer «Mittelstadt» in Grenzen. Die Projektionsfläche einer solchen Stadt als ein Ort der Heiterkeit, Menschlichkeit oder Authentizität, vielleicht aber auch der Isolation, Melancholie oder Langeweile – so beschrieben im Beiblatt der Ausstellung – wird nur ansatzweise erfasst. Obwohl der gesellschaftliche Diskurs den kleinen Städten normalerweise zu Unrecht wenig Aufmerksamkeit widmet und «A town, not a city» vernünftigerweise mit Werken aus verschiedenen Jahrzehnten von renommierten Künstlern wie Erik Steinbrecher, Maria Nordman oder Fischli/Weiss das Thema artistisch verarbeitet, fehlt der konsistente Dialog zwischen den Exponaten im Kontext. Das Ganze wirkt zusammengewürfelt und gesucht. Obschon eines der erklärten Ziele des Kurators die Anregung der lokalen Bevölkerung zum Nachdenken über das eigene Verständnis der Stadt ist, erhält man – wenn überhaupt – nur eine marginale Erweiterung der eigenen Wahrnehmung im Stadtraum. Geht aber unbedingt Shuffleboard spielen!

Sehenswertes Kunstmuseum St. Gallen

Nach der genialen, in jeder Hinsicht organoleptisch ansprechenden Werkschau von Erwin Wurm schafft es das Kunstmuseum St. Gallen mit Franz Ackermann erneut, eine inspirierende Einzelausstellung zu realisieren. In seinen Zeichnungen nimmt die Erfahrung vom Unterwegssein unmittelbar Form an. Spektakuläre Architekturen und waghalsige Raumfluchten evozieren fiktive Topografien, die in ihrer äusseren Form an Science-Fiction-Fantasien erinnern und sich irgendwo zwischen real Gesehenem und gedanklich Konstruiertem ansiedeln. Überdimensionierte Bilder und Wandmalereien, Installationen und der Dialog mit den Räumlichkeiten des Museums erzeugen eine mehrdimensionale Atmosphäre, oder in den Worten des Künstlers ausgedrückt: «Es gibt diesen Aspekt der Malerei, der eindeutig Zweidimensionalität klären muss, aber diese Verortung, diese Rekontextualisierung schien mir wichtig, um den Ereignisraum, den Ausstellungsraum neu zu bewerten oder zumindest anders zu bewerten, ohne Angst davor zu haben, dass auch so etwas wie ein Erlebnisraum werden könnte.» Nach dem Eintauchen in Ackermanns Welt hat man Lust zu verreisen. Nicht unbedingt, um Exotik oder Abenteuer zu erleben, sondern den Reiz des Momentes und die Einzigartigkeit eines Ortes, jedes Punktes auf der Welt, wiederzuentdecken. Eine Ausstellung, so farbenfroh wie die Welt, in der wir leben.

«Bill – das absolute Augenmass»

Obwohl Jean Ziegler der Meinung ist, dass «Bill – das absolute Augenmass» ein Meisterwerk sei, konnte ich mich ebenfalls für den interessanten Film begeistern. Wer den weltberühmten, überragenden Maler, Grafiker und Bildhauer Max Bill erleben möchte, kann auch an der Universität St. Gallen in den Raum 09-012 gehen, um sich die zwei Bilder «verdichtung gleicher farbquanten», die zwischen 1991 und 1992 im Auftrag unserer Universität gemalt wurden, für einen Moment zu bestaunen. Ein gelungener und würdiger Film über einen grossen Mann.


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