Liberté, Egalité … vraiment?

Der Franzose ist nicht wie wir. Der Franzose ist anders. Zum Beispiel in der Schule. Während eines Austauschs in Bordeaux zeigte sich deutlich, dass das französische Bildungssystem einer Revolution bedarf.

Frankreich hat in seiner Geschichte viele absolutistische Herrscher gesehen: Louis XIV, Napoléon Bonaparte, Nicolas Sarkozy. Man kann daher nicht verleugnen, dass im Land der Liberté und Egalité Autorität und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit eine grosse Rolle spielen. Dies spiegelt sich in der Art wieder, wie an Schulen und Universitäten unterrichtet wird. Alle durch die PISA-Studie in Europa etablierten Neuerungen im Schulwesen scheinen an Frankreich vorbeigegangen zu sein. Gruppenarbeiten in der Klasse? Eigeninitiative der Schüler? Fehlanzeige.

Bildung wird in Frankreich frontal vermittelt – im Klassenzimmer wie im Hörsaal. Der Professor erzählt seine Geschichte und die Studenten schreiben ehrfürchtig und scheinbar unreflektiert mit. Widerspricht man den Thesen des Professors, wird man schief angesehen. Fragen sind unerwünscht. Egalité? Liberté? Kritik an den Aussagen der Lehrenden wird nicht gern gesehen. Genauso wenig wie Kritik am System.

Universitäten für das gemeine Volk

Wenn es um die Frage geht, wer in der Grande Nation an einer Universität studieren darf, haben die Prinzipien von 1789 noch Gültigkeit. Wer in Frank-reich sein Baccaulauréat bestanden hat, bekommt einen Freifahrtschein für praktisch jede Universität des Landes. Kein Numerus clausus, keine Aufnahmetests, geringe Studiengebühren von 170 Euro im Semester. Hinzu kommen staatliche Stipendien von 300 bis 800 Euro monatlich, die auch Kindern aus finanzschwachen Familien das Studium ermöglichen sollen. So weit die Theorie.

Doch in der Realität kassieren viele Studenten das leistungsunabhängige Stipendium, gehen nie zur Uni und leben auf Kosten des Staates. So reduziert sich die Zahl der Studenten bis zum dritten Studienjahr oft bis auf ein Fünftel. Doch die Egalité strahlt weiterhin über das ganze Land.

Grandes Ecoles für die Elite

Allerdings ist da noch die Sache mit den Grandes Ecoles. Tatsache ist nämlich, dass die Universitäten in Frankreich dem gewaltigen Ansturm schon lange nicht mehr standhalten. Das wirkt sich negativ auf die Qualität der Lehre aus. Wer in diesem Land also wirklich etwas werden möchte, dem bleibt nur der Gang an eine der inzwischen zahlreichen Grandes Ecoles. In den Bereichen Wirtschaft und Administration führt kein Weg an diesen Schulen vorbei. Doch lassen sich die dortigen Studiengebühren von bis zu 8000 Euro pro Semester mit Recht als hoch bezeichnen. Darin sind noch nicht einmal die Kosten für die zwei Jahre classe préparatoire eingeschlossen.

Diese muss man absolvieren, um überhaupt eine Chance zu haben an solch einer Schule aufgenommen zu werden. Egalité der Studenten? Vorgetäuscht. Liberté bei der Wahl der Bildungsstätte? Stark eingeschränkt.

So führt das französische Bildungssystem dazu, dass Leistungs- und Vermögenselite in Frankreich praktisch deckungsgleich sind. Alle hochrangigen Manager und Politiker haben die besten und teuersten Schulen des Landes besucht. Diese technokratische Prägung durch eine allmächtige Entscheidungselite führt zu einem sozialen Ungleichgewicht, das sich gerade in Krisenzeiten als sehr fragil herausstellen könnte.

Ja, der Franzose ist anders als wir. Aber gerade das hat ihn berühmt gemacht: 221 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille wäre es an der Zeit, eine Bildungsreform zu starten. En avant citoyens, vive la révolution!


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*