Meine Daten, deine Daten – unsere Daten?

Bei Tinder springt der Funke nicht nur zwischen den Nutzern über: Auch Datensammler erfreuen sich an der Unmenge an Daten, die auf der Dating-App hinterlassen werden – was mit einigen umstrittenen Fragen verbunden ist.

Mit persönlichen Daten kann man Reputationen schädigen und Meinungen zu seinen Gunsten beeinflussen», meint Dr. Dirk Helbing, Datenwissenschaftler an der ETH. Solche Daten werden unter anderem über soziale Netzwerke gesammelt. So soll Whatsapp Zugriff auf das Adressbuch haben. Facebook sammle Daten zu Alter, Verdienst, der Religion, der sexuellen Orientierung und der Haltung gegenüber Minderheiten. Pro Person werden an einem Tag – so aktuelle Schätzungen – zwischen einem Megabyte und mehreren Gigabyte an Daten gesammelt. Dies entspricht einer Million bis mehreren Milliarden Ziffern.
Laut einem Bericht des Guardian hatte Tinder kürzlich 800 Seiten an Daten über eine Nutzerin gesammelt. In China wurde bekannt, dass über die Bevölkerung 2 000 Terabyte pro Tag an Daten gesammelt werden. «Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es in den westlichen Ländern deutlich anders ist als in China», meint Helbing. Nur lege in China der Staat die Kriterien für den sogenannten Citizen-Score fest, während in Europa private Unternehmen persönliche Scores einführten. Solche Scores bestimmen, was man als Bürger, Konsument oder Nutzer wert ist. Zugrunde liegt ein ausführliches Persönlichkeitsprofil, ein digitales Double, welches Daten über Vorlieben, Gesundheit, Interessen und vieles mehr enthält.

Halblegale Datensammlung

Nach Helbing werden alle möglichen Daten gesammelt – und in der Regel so viele wie möglich. Das verbreitete Motto ist «Je mehr, desto besser». Diese Datenanalysen seien eigentlich nicht kompatibel mit heutigen Datenschutzgesetzen. Getan wird dagegen aber bisher wenig. Jüngst jedoch konnte eine deutsche Ärztin ihr Recht auf die informationelle Selbstbestimmung gerichtlich durchsetzen. Laut einem Bericht der Zeit müssen die Daten der Ärztin nun auf der Bewertungsplattform Jameda gelöscht werden. Sie bekam zuletzt beim Bundesgerichtshof recht.
In der Schweiz sieht die Lage etwas anders aus. Im Jahr 2016 wurden die Kompetenzen des Schweizer Nachrichtendienstes in einer Volksabstimmung erweitert. Das neue Nachrichtendienstgesetz legt fest, dass der Nachrichtendienst Daten aller Art zu Straftätern sammeln darf. Dazu gehören laut Helbing nicht nur Terroristen oder Verdächtigte von schweren Verbrechen: «Jeder, der sich je einer Straftat schuldig gemacht hat, darf nun im Prinzip überwacht werden.» Dazu könnten gegebenenfalls auch Schwarzfahren und Steuerhinterziehung zählen. Oft werden aber nicht nur die Straftäter, sondern auch Freunde und manchmal auch Freundesfreunde überwacht. In den USA herrschen bereits solche Zustände. Der Datenwissenschaftler bezweifelt, dass es in Europa anders ist. Diese «Massenüberwachung» ziele auf alle und auf «Verhaltens- und Gesellschaftssteuerung» ab.

Daten sicher gegen Hacking?

«Es gibt zwei Arten von Firmen: Die einen wurden bereits gehackt, die anderen wissen es nur noch nicht», meinte kürzlich ein Unternehmer am World Economic Forum. Hacking ist längst kein unbekanntes Thema mehr. So kursieren Nacktbilder von Prominenten im Netz und Affären-Websites wie Ashley Madison wurden gehackt. Diesen News folgen oft Stürme der Entrüstung und eine noch grössere Menge an Medienmitteilungen von Unternehmen, die hoch und heilig schwören, dass ihre Daten gut geschützt seien. Trotzdem ist Hacking eine reale Gefahr. Unsere Daten sind nicht sicher. Die End-zu-End-Verschlüsselung von Whatsapp könne beispielsweise dadurch umgangen werden, dass man die Nachricht abfängt, bevor sie verschlüsselt und verschickt wird, meint Helbing, und erinnert an die Meltdown Sicherheitslücke. Staatsdienste würden die entsprechenden Mittel besitzen. Die NSA ist diversen Quellen zufolge sogar in der Lage, über Stimmprofile zu erkennen, wo sich eine Person befindet und was sie sagt. Durch die Ausweitung auf Freunde und Freundesfreunde und manchmal sogar Freundesfreundesfreunde werde in den USA die ganze Bevölkerung überwacht, argumentiert Helbing. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden veröffentlichte bereits 2011 diverse Dokumente, welche die exzessive Datensammlung des US-amerikanischen Geheimdienstes belegen.

Löschung durchsetzbar?

Seit geraumer Zeit mehrt sich die Anzahl der Leute, die Facebook verlassen wollen. Sie löschen dabei ihr Profil und lassen das soziale Netzwerk unbekümmert hinter sich. Vorbei die Zeit der Abhängigkeit von sozialen Medien, nervigen Alles-Postern und Freundschaftsanfragen von völlig Unbekannten. Dies entspricht nur zu einem Teil der Realität. Zwar mag man all die Nachteile Facebooks losgeworden sein, doch wurde das Profil nur deaktiviert. Die Daten existieren weiter. Dazu haben die Nutzenden ihr Einverständnis gegeben. Bereits in der Assessment-Vorlesung im Privatrecht wird gelehrt, dass in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook festgehalten wird, dass eine Löschung des Profils nicht möglich ist.
Helbing meint, dass die Löschung eigentlich nach europäischem Recht durchsetzbar sein müsse. Dies sei aber nicht ganz einfach. Denn es dauere lange, bis das Recht durchgesetzt sei und dennoch bestehe die Gefahr, dass auf einem Backup die Daten weiterhin existieren. Dies nachzuprüfen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zudem sammelte Facebook in der Vergangenheit auch Informationen über Nichtmitglieder.

Selbstbestimmung über Daten

Damit wir wieder volle Kontrolle über unsere Daten erlangen, rät Helbing seine Rechte einzufordern. «Wir müssen darauf bestehen, dass wir über unsere Daten selbst bestimmen können. Denn die Menschen werden durch die Daten manipulierbar und vielleicht sogar erpressbar. Es droht ein technologischer Totalitarismus. Dies ist von den Unternehmen nicht böse gemeint. Aber in dem Moment, wo Menschen zum Gegenstand von Datensammlungen werden, werden wir vom Subjekt zum Objekt», führt Helbing aus. «Die Menschenwürde gerät unter die Räder. Man darf Menschen nicht wie Tiere, Dinge oder Daten behandeln», schliesst er. Es gibt bereits erste Stimmen, die eine Verstaatlichung der Sozialen Medien fordern, ob dies der richtige Weg sei, lässt sich bezweifeln. Helbing nimmt dazu keine Stellung.
Nach dem Gespräch bleibt ein fahler Nachgeschmack. Unsere Daten sind nicht sicher, werden teilweise benutzt, um uns zu schädigen – wie im Falle von Nacktbildern oder vielleicht sogar um Wahlen zu beeinflussen. Einen kleinen Moment lang wünscht man sich zurück in die analoge Welt, bei der die Datensammlung und alle damit einhergehenden Probleme nicht existierten. Dann schüttelt man den Gedanken ab. In der Vergangenheit schwelgen hat keine Zukunft. Man greift nach dem kleinen Datenspion in der Hosentasche, dessen Apps und Internetbrowser massenhaft Daten sammeln. Man öffnet Facebook und gibt sich gedankenlosem Schwelgen hin, während Mark Zuckerbergs Algorithmen freudig jeden Klick verfolgen. Kann das noch lange gutgehen?


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