Nur Gerede? – Eine Analyse der Sprache

Am Anfang war das Wort. Was wir jedoch daraus machen, ist oft beschämend. Eine Untersuchung von sprachlichen Schrecken an der HSG und in der Welt.

Häh? – Die Lektüre einer Vielzahl der von uns täglich gelesenen Texte, sei es in Skripten, Fachbüchern oder Seminararbeiten, gibt uns oft Rätsel auf. Worum geht es eigentlich? Wir sprechen und schreiben, um Informationen oder Emotionen auszutauschen. Doch leider wird Sprache inzwischen viel zu oft verstümmelt, besonders im akademischen Kontext, in PR-Abteilungen oder – der Klassiker – in politischen Reden. Die eigentliche Aussage verschwindet hinter Wortkonstruktionen, die schön klingen, doch nichts aussagen.

Mittlerweile gibt es eine (nicht ganz ernst gemeinte) Software, die Qualität von inhaltslosem Gelaber trennt und den «Bullshit»-Indikator misst: den BlaBla-Meter (www.blablameter.de (http://www.blablameter.de)). Der Bla- Bla-Meter untersucht Textausschnitte auf Ihre Aussagekraft und bedient sich stilistischer Kriterien. Ein Algorithmus überprüft die Texte auf Nominalstil, den übermässigen Gebrauch von Fremdwörtern, unnötig lange Sätze oder bestimmte Phrasen. Wie der Prüfvorgang genau funktioniert, wird jedoch nicht verraten. Die Texte erhalten eine Note zwischen 0.0 (für besonders aussagekräftig) und 1 (für besonders katastrophal).

Erste prisma-Tests ergaben: Die Messung funktioniert überraschend gut. Während hochwertige journalistische Texte aus den Redaktionsstuben der NZZ oder der Süddeutschen einen Wert unter 0.3 erreichen, schaffen Texte von Nestlé und Syngenta einen Wert von über 0.6. Die Beschreibung der Nachhaltigkeitsstrategie auf der Website der Allianz hingegen sprengte sogar den Index – Ergebnis: 1.18!

Es zeigt sich, dass der BlaBla-Meter sehr gut erkennt, welcher Text nur verkaufen will und welcher wirklich Inhalt vermittelt.

Der gescheiterte deutsche Kanzlerkandidat und Wortakrobat Peer Steinbrück erhält für seine letzte Rede im Deutschen Bundestag ein sensationelles 0.21, bei Angela Merkel («Sie kennen mich. Und jetzt wünsche ich Ihnen einen schönen Abend.») schlägt das Pendel auf 0.39 aus und vermeldet: «Sie sollten noch ein wenig daran feilen.» Um es in Steinbrücks Worte zu fassen: Sie stellt schöne Pappschachteln auf, die oft aber nicht mehr als heisse Luft beinhalten.

BlaBla an der HSG?

Wirft man die Graduierungsreden unseres Rektors, dem zuzugestehen ist, dass er fast schon von Amtes wegen regelmässig zur BlaBla-Werkzeugkiste greifen muss, in die Maschine, resultieren durchaus akzeptable Werte. Inhaltlich kann man sich zwar fragen, ob die Rede über Diversität in uns offenbar unmittelbar bevorstehenden Führungsaufgaben wirklich so zentral ist. Immerhin haben die Zuhörenden doch gerade drei (beziehungsweise vier oder fünf ) Jahre an der Universität mit der wahrscheinlich homogensten Studentenschaft Europas verbracht. Nichtsdestotrotz: Die Sprache ist meist bildhaft und klar, die Sätze kurz. Das Urteil des BlaBla-Meters: 0.33.

Einen noch besseren Wert erhält seine Rede vor Master-Absolventen des vergangenen Semesters: «0.25 – Ihr Text zeigt erste Hinweise auf ‹Bullshit›- Deutsch, liegt aber noch auf akzeptablem Niveau», vermeldet der Algorithmus respektvoll und stimmt der historischen Abhandlung über die Führungs- und Unternehmerqualitäten des Stadtgründers Gallus offenbar zu. Einige Kandidaten sind dennoch zu erkennen: «Den entschlossenen Ernst des Meisters und die liebevolle Güte des Vaters», so vergleicht die Rede die Anforderungen an Absolventen mit jenen an einen Abt, «würde man heute als Sicherstellung des Momentums und als gute Kombination positiver und negativer Konditionierung bezeichnen.» Aha?

Für weitere Satzleichen sucht man am besten da, wo alle Toten und Untoten am ehesten zu vermuten sind, nämlich auf dem Friedhof; in diesem Falle dem Syntax-Friedhof schlechthin, dem ServicePortal. Kursbeschreibungen, die während einigen Tagen und Wochen um die Wette strahlten und um Aufmerksamkeit buhlten, bei genauerer Betrachtung und nach den ersten Vorlesungen sich jedoch als das entpuppen, was sie wirklich sind: leere Worthülsen.

Ein Beispiel gefällig? «Die gesunkenen Kosten für die Produktion und Distribution von user-generated content erlaubt die Sub-Regionalisierung von Märkten und die Sub-Segmentierung von Zielgruppen in bisher für Bewegtbilder unzugängliche Nischen: Passgenau authentische Werbebotschaften für Kleinstsegmente werden von Mitgliedern des Segments selbst erstellt und verbreitet». Das Blabla-Meter schlägt Alarm, gibt der Kursbeschreibung eine vernichtende Note von 0.68 und meckert: «Sollten Sie eine echte Botschaft transportieren wollen, so scheint es fraglich, ob diese Ihre Leser auch erreicht. Sie müssen Universitätsprofessor sein!» – In der Tat.

Besonders Kurse über Geschichte und Recht fallen beim BlaBla-Meter durch – das liegt aber mitunter daran, dass dort die Kursbeschreibungen zum Teil sehr wissenschaftlich sind und in der Folge einen übermässigen Nominalstil aufweisen: «Was macht Europa heute aus? Von der Agrargesellschaft bis zur Industrienation sind Entwicklungsprozesse in verschiedenen Etappen und Ebenen zu beobachten: Mitte des 15. Jahrhunderts bilden sich in Europa mit der Verbreitung des Buchdrucks, den grossen Entdeckungsfahrten, der frühneuzeitlichen Staatsbildung (…)» – 0.72! Das ist kein BlaBla, sondern eigentlich eher informativ. Nun ja, auch der BlaBla-Meter stösst an seine Grenzen, denn Inhalt und Argumentation bewertet er nicht.

«Kannst du mich erschiessen?»

Nichtsdestotrotz, es gibt sie, die Kunstwerke aus der Feder unserer Professoren:

Miriam Meckel veröffentlichte im November 2012 im politischen Magazin Cicero eine aufwühlende Reportage über ein glückloses Amerika im Wahlkampf. «Kannst du mich erschiessen?» – Der Titel geht mitten durchs Herz, ebenso wie die beschriebenen Einzelschicksale, die kennzeichnend sind für die Orientierungs- und Hilflosigkeit eines ganzen Landes und nicht mehr aus dem Kopf raus wollen. Schwere Kost, klar verpackt. Der BlaBla- Meter urteilt: 0.15, der beste Wert aller untersuchten Texte.

Auch Monika Bütler erreichte mit ihren sonntäglichen Kolumnen in der NZZ regelmässig Werte zwischen 0.2 und 0.3. Und schliesslich bleibt Martin Kolmar zu erwähnen, der vor einigen Jahren im Tagesanzeiger wie gewohnt geistreich und wortstark den Expertenstand, dem er selbst angehört, kritisch hinterfragt. Die genannten Beispiele zeigen: Er kann gelingen, der Transfer von genauen Beobachtungen und abstrakten Theorien hin zur leicht verdaulichen Erzählung. Doch er gelingt nicht von selbst.

Zur Information: Dieser Text erhält einen Bla- Bla-Wert von 0.30. Wir schieben das jedoch auf die Negativbeispiele!

Die Blabla-Könige des Kontextstudiums

1. Management komplexer Projekte (Koller, Tockenbürger), 1.29
2. Kommunikation und Konflikt: Geschlechterspezifische und interkulturelle Aspekte (Yamaner), 1.26
3. Rhetorik und Kommunikationstraining für die juristische Praxis (Härter), 1.20
4. Gender und Diversity Management (Hartmann, Sander), 1.03
5. Issue Management und Lobbying in der Praxis (Rybach), 0.97

Die aussagekräftigsten Kursbeschreibungen

1. Die Konsumenten und ihre Dinge: Techniken zur Codierung und Decodierung von Repräsentanz (Mohr), 0.28
2. Guter Stil: Eine Schreibwerkstatt (Peltzer), 0.33
3. Teamsituationen gestalten (Jenert, Raatz), 0.33
4. Management zwischen Staat und Markt (Spoun), 0.35
5. Bad Bank – Good Bank? Zur Ethik des Investmentbanking (Höver, Oermann), 0.35

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