Pro/Contra: Um der Freiheit Willen die Grenzen schliessen?

PRO: Flüchtlinge, sie kommen – und das zigmal illegal. Einige EU-Mitglieder kehren deshalb zum bewährten Regime des nationalen Grenzschutzes zurück. Richtig so, findet Matthias Müller.

Matthias Müller findet, Grenzkontrollen sind nötig.
Matthias Müller findet, Grenzkontrollen sind nötig.

Wer sich mit der Geschichte der Aufklärung befasst hat, der weiss: Freiheit beginnt mit Sicherheit. Diese wiederum kann nur in einem klar abgegrenzten Raum gewährleistet werden. Es ist deshalb eine Selbstverständlichkeit, ja geradezu ein Merkmal moderner Staatlichkeit, Grenzen zu ziehen und sie vor allem zu schützen. Denn – so spürt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann weitsichtig auf – «ohne Grenzen gibt es kein Miteinander, ohne Differenz keine Erkenntnis: Wer wissen will, wer er ist, muss wissen, von wem er sich unterscheidet. Wer das Risiko sucht, muss wissen, wann er die Sicherheit verlässt. Und wer seine Grenzen nicht zu verteidigen weiss, droht überrannt zu werden.»

Gerecht handelt, wer begrenzt

In Europa sind die Dämme seit längerem gebrochen. Es spielt sich ein einziges Migrationsdebakel an den Aussengrenzen ab. Die jahrelange Willkommenskultur und Politik der offenen Tür sowie die Verwahrlosung des Asylrechts haben unzählige Menschen getötet, die Sogwirkung für illegal Migranten gesteigert und den sozialen Frieden in Europa gesprengt. Das ist brandgefährlich. Durch solchee Verfallssyndrome wird der Rechtsstaat vorgeführt und ein wertvolles Grundprinzip aufgekündigt: die Rechtssicherheit, die wiederum die Freiheit garantiert.

Wer den Migrationsstrom nach Europa stoppen will, muss – horribile dictu – die Grenzen verriegeln. Nur wenn kein Spalt mehr offen, kein Vorbeikommen mehr möglich ist, wirkt die Abschreckung. Und nur durch Abschreckung versiegen die Flüchtlingswellen. Migrationsbeschränkungen sind keine leidigen Ausbuchtungen von Nationalismus und Rassismus, sondern in allen wohlhabenden Gesellschaften immer wichtiger werdende Instrumente der Sozialpolitik. Denn kommen unter den Migranten zu viele Scheinflüchtlinge aufs Mal, entstehen zwischenmenschliche Spannungen. Misslingt darüber hinaus auch noch die Integration, zerstört sie den sozialen Frieden, eines der zentralsten Güter unserer Gesellschaft und Voraussetzung für ein Leben in Freiheit.

Politische Utopien zerschellen

Solch eine Einstellung löst natürlich Kopfschütteln aus bei intellektuellen Würdeträgern. Sie sind, wer will es ihnen verargen, naturgemäss hingerissen von grossen Ideen und pflegen eine erotische Beziehung zu abstrakten Konstruktionen – in diesem Fall des grenzenlosen Europas, das den Weg ebnen soll zu einer höheren humanistischen Geisteshaltung. Diese Gesinnung zerschellt jedoch glücklicherweise am harten Beton der Wirklichkeit. Namhafte Mitglieder der EU haben wegen des nicht abreissenden Flüchtlingsansturms wieder Grenzkontrollen eingeführt. Sie haben sich deshalb nicht in die Illegitimität verabschiedet. Im Gegenteil: Es hat sich dort die vernünftige Einsicht durchgesetzt, dass sich allein mit christlicher Nächstenliebe keine Staatsordnung aufrechterhalten lässt. Kurz: Die Grenze oder ihre lebhafte Form, die Schranke, ist die Essenz unserer Existenz. Sie steht nicht für Hartherzigkeit, sondern für Sicherheit und Freiheit. Ohne sie gäbe es kein friedliches Zusammenleben. Nur das Paradies kennt keine Schranken.


CONTRA: Wenn man den Grenzschutz ausbaut, so schliesst man sich ein und den Rest der Welt aus. Wer proklamiert, so die Freiheit zu erlangen, verrät die humanitäre Tradition, meint Keto Schumacher.

Keto Schumacher findet, wer den Grenzschutz ausbaut, verrät die humanitäre Tradition.
Keto Schumacher findet, wer den Grenzschutz ausbaut, verrät die humanitäre Tradition.

Die schwarzen Stiefel glänzen in der Sonne. Schritt für Schritt donnern sie auf die Erde nieder und bohren dabei ihr Profil in den Boden. Neben ihre Spuren reihen sich die Tatzenabdrücke eines Schäferhundes, der vom Stiefelträger mit fester Hand geführt wird. Falten ziehen sich durch dessen Gesicht – die stummen Zeugen verbitterter Wut.

Der Grenzwächter hält inne auf seinem Weg. Er hält sich die Hand über die Augen, damit ihn die Sonne nicht blendet, während er durch den mit Stacheldraht bewähr- ten Grenzzaun blickt. Nach kurzer Zeit ist klar: Es ist alles in Ordnung – keine unerwünschten Immigranten sind in Sicht. So schreitet er weiter die Landesgrenze ab, ohne zu bemerken, wie sehr er einem Gefängniswärter gleicht.

Jedem sein eigenes Gefängnis

Wer sich abschottet, schliesst sich ein, und wer eingeschlossen ist, kann nicht frei sein. Mit einem Maschendrahtzaun baut man sich nur sein eigenes Freilaufgehege, in dem man lebt, da man in der Geburtenlotterie den entsprechenden Heimatschein gezogen hat. Wer nicht das Privileg hatte, geboren zu werden, wo er leben möchte, muss bleiben, wo er herkommt. Freiheit kann nicht darin bestehen, sich von Zäunen einschränken zu lassen.

Schon lange sind die Zeiten vorbei, als man beim Grenzübertritt in Europa einen Stempel in den Pass bekam, fast undenkbar Personenkontrollen an den Schweizer Aussengrenzen. Die Öffnung der Grenzen hat viel verändert und viel vereinfacht – sei es die Möglichkeit, unbeschwert zu reisen, sich im Ausland niederzulassen oder einfacher über Ländergrenzen hinweg zu handeln. Zeitgleich mit den Grenzkontrollen sind auch Vorurteile gefallen: Was man nicht kennt, das fürchtet man; was man kennt, das kann man einschätzen. Wie so vieles Anderes beruht auch dies auf Gegenseitigkeit. Je mehr man sich abschottet, desto mehr wird auch einem selbst verwehrt.

Der verklärte Blick zurück

Die Hoffnung, mit einem verstärkten Grenzschutz Probleme in den Griff zu bekommen, mag bestechend sein, greift jedoch zu kurz. Wenn man die Grenzen dicht mache, so erlange man Souveränität zurück, sagen die Befürworter eines starken Grenzschutzes. Doch sie vergessen, dass die Zeit der Souveränität in diesem Sinne schon seit langem vorbei ist. Die heutigen Probleme sind internationaler Natur und verlangen deshalb nach internationalen Lösungen.

Wenn ein Land über seine Zukunft selbst entscheiden möchte, muss es diese Lösungen mitausarbeiten. Dies zeigt sich auch in der Flüchtlingskrise; nicht umsonst hat die UNO unlängst gesagt, dass die Flüchtlingskrise die Quittung für das Versagen des Westens im Syrienkonflikt sei. Man kann zwar mit Abschottung so tun, als sei man Herr der Lage und dabei die Probleme ignorieren, doch begibt man sich damit langfristig erst recht in die Unfreiheit.

Auch wenn der Grenzschutzbeamte meint, er und sein Wachhund würden das Land beschützen und seine Freiheit wahren, so schreitet er doch mit jedem Schritt entlang der Landesgrenze der Unfreiheit entgegen.

Bilder: Livia Eichenberger/Flickr, Edmond Meinfelder


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