Profs privat: Reto Schuppli

«Man lernt nichts kennen, als was man liebt, und je tiefer und vollständiger die Kenntnis werden soll, desto stärker, kräftiger und lebendiger muss Liebe, ja Leidenschaft sein.» (Johann Wolfgang Goethe an Friedrich Heinrich Jacobi, 10. Mai 1812)

An einem kalten Nachmittag Mitte November fahren wir nach Matzingen im Kanton Thurgau. Aus dem Vorgespräch wissen wir bereits, dass Dr. phil. II Reto Schuppli, Lehrbeauftragter für Mathematik an der HSG, am Dorfrand in der obersten Wohnung einer Überbauung lebt. Die Überbauung ist modern und hat nur wenige Stockwerke. Zuoberst erwartet uns Herr Schuppli in seiner grosszügigen, hellen Wohnung, die er mit seiner Frau seit 14 Jahren bewohnt. Kinder hat das verheiratete Paar nicht, auch keine Haustiere – aber viele Pflanzen. Grünpflanzen aller Arten schmücken das Wohnzimmer, hängen von der Galerie herunter, winden sich entlang der Wendeltreppe empor. Herr Schuppli erklärt uns, dass seine Frau einen grünen Daumen habe – das sieht man sofort: Die Pflanzen sind wunderbar gepflegt und die Wohnung wirkt trotzdem sehr hell und gemütlich.

Der 52-jährige Herr Schuppli bereitet uns pfeifend einen Kaffee zu und sorgt mit süssen Desserts für unser leibliches Wohl. Wir sehen uns um und bemerken, dass sich alle Bilder ähneln. «Die sind von meinem Schwiegervater», bemerkt Herr Schuppli. Inzwischen habe der Schwiegervater noch die Poesie entdeckt und übe sich nun im Dichten. Die Liebe zu den Pflanzen habe seine Frau aber von der Mutter geerbt. So soll der Schwiegervater auch schon mal ausgerufen haben: «Jeder Kaktus hat’s besser als ich!»

Aufgewachsen ist Herr Schuppli in Wigoltingen, anschliessend lebte er 15 Jahre in Schlatt und seither in Matzingen. Falls jemand diese Orte nicht kennen sollte: Sie liegen alle im Kanton Thurgau. Zum Studieren pendelte er nach Zürich.

Reisen zum Abschalten

Herrn Schupplis Frau ist ebenfalls im Bildungswesen tätig – die Altphilologin und Germanistin ist Prorektorin an der Kantonsschule Wil. Herr Schuppli unterrichtet an der Pädagogischen Hochschule und an der Universität St. Gallen. «Bei diesen Berufen ist Freizeit und Arbeit schwer trennbar. Man kann nur abschalten, wenn man radikal weggeht. Deshalb gehen wir beide sehr gerne und oft weg auf Reisen», erzählt er. Am liebsten reisen die beiden nach Kanada: «Je entlegener, desto lieber …» Sie waren schon mehrmals in Kanada und haben sich sogar überlegt, dorthin auszuwandern. Interessehalber unternimmt das Ehepaar aber auch Kulturreisen, z. B. stand kürzlich ein Besuch an der Amalfiküste an. «In unserem Leben – ob Beruf oder Ferien – gibt’s nie mehr als zwei Stunden Ruhe. Meine Frau ist rastlos. Ich habe das gern und finde das toll!», meint Herr Schuppli. Darum läuft auch immer etwas in den Ferien, am Strand liegend findet man die beiden kaum.

Beim Fondue «höckle» und «gspröchle»

Im Winter sind sie meistens irgendwo in der Schweiz oder im grenznahen Österreich. Herr Schuppli betreibt dann jeweils «eine Art Langlauf», während seine Frau Ski fährt. Wie sieht denn der perfekte Winterabend für Herrn Schuppli aus? «Hmmm, gute Frage … Zuerst mal was Gutes essen, ein Fondue beispielsweise, und dann einfach ‹höckle› und ‹gspröchle› … ja, das wär’s. Leider gibt es viel zu wenige von diesen Abenden!»

Fasziniert von Euler

Wer mal bei Herrn Schuppli in der Vorlesung oder in den Übungen war, bemerkte die grosse Sympathie für den Mathematiker Leonhard Euler. «Der Typ gefällt mir einfach. Bei den meisten Mathematikern gibt’s so ein bis zwei Charakterzüge, die mir nicht gefallen – von Euler fällt mir keiner ein. Er war ein einfacher, bescheidener Mensch, dazu naiv gläubig und tief religiös. Er hat etwas unglaublich Gutmütiges – ja, etwas Demütiges – an sich», erklärt Herr Schuppli. Als Student interessierte es ihn noch nicht so brennend, wie man zu all den mathematischen Sätzen gelangt. Das änderte sich erst, als er zu lehren begann: «Mathematik ist etwas Ewiges, entweder es ist oder es ist eben nicht.»

Der Geschichtenerzähler Schuppli

Aber nicht nur Mathematiker interessieren Herrn Schuppli, er kennt scheinbar tausende von Geschichten von allerlei Persönlichkeiten. Dabei erzählt er diese Geschichten so spannend und lustig, dass man sich fast wie im Theater fühlt. Er sammelt aber nicht nur Geschichten, sondern auch «Samichläuse». Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Student an Schupplis «Chlauskrawatte». Er hat drei davon, nebenbei noch allerlei andere «Chlausdinge».

«Man lernt nichts kennen, als was man liebt»

Wie schon bei den letzten beiden Profs-privat-Gesprächen bemerkten wir auch bei Herrn Schuppli wieder deutlich eine ganz beeindruckende Leidenschaft für das Thema, das er lehrt: «Mathematik hat ein Gesicht, es gibt z. B. Moden und Trends.» Er findet, dass es essenziell ist, Leidenschaft für das zu lehrende Fach zu haben. Jemand habe ihm mal gesagt: «5 % ist Inspiration, 95 % ist Transpiration.» Mit anderen Worten: Man arbeite sehr viel, und das halte man nicht durch, wenn man keine Begeisterung für das Fach empfinde. Wie erwähnt beeindruckt uns Herr Schuppli einige Male mit Zitaten von Berühmtheiten, auch hier fällt eines dieser Zitate: «Man lernt nichts kennen, als was man liebt.»

Fussballverein als «Psychogruppe»

Herr Schuppli interessiert sich aber nicht nur für Bücher und Mathematik, ganz besonders wichtig ist ihm auch seine «Psychogruppe». Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen seltsamen Esoterik-Verein oder eine Selbsthilfegruppe. Nein, es ist ein ganz normaler Fussballverein. Einmal die Woche trifft sich Herr Schuppli mit seinen Fussballfreunden zum Training und zum gemütlichen Beisammensein danach – dieser Abend ist ihm heilig. Was Herr Schuppli dagegen gar nicht mag, sind Sitzungen. Da kann wahrscheinlich jeder mitfühlen.

Bezüglich Tipps an uns Studierende meint Herr Schuppli, dass ihn die Antwort von Frau Odendahl beeindruckt habe und dass er ihr voll zustimme. Auch er sei der Meinung, dass die Studierenden die Möglichkeit nutzen und haben sollten, sich mehr nach ihren Interessen zu richten, um dann auch wirklich etwas zu lernen, wo man mit dem Herzen dabei sein kann. Herr Schuppli ist sicherlich mit ganzem Herzen dabei.


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