Realsatire: Schlammschlacht an der Uni

Für das Thema Boulevard eignet sich unsere Universität gerade hervorragend als Beispiel. Im Folgenden will prisma die Affäre Thielemann Revue passieren lassen; Boulevard genug, schon ohne Kommentar.

Alles scheint damit zu beginnen, dass Dr. Ulrich Thielemann, seines Zeichens Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an unserer Universität, Ende März auf Einladung der Grünen-Fraktion vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags vorstellig wurde. Hier der wichtige Auszug aus dem Protokoll der Sitzung:

Ortwin Runde (SPD): Wenn wir die Situation USA – Schweiz […] sehen: Haben Sie den Eindruck, dass die Fortschritte, die dort in Richtung Anerkennung von Informationspflichten gemacht wurden, ohne die Kombination mit nationalem Druck erreicht worden wären? […]

Dr. Thielemann: Vielen Dank für die Frage. Mein Eindruck ist, dass in der Schweiz – und das zeigen auch die gegenwärtigen Verwerfungen – keinerlei Unrechtsbewusstsein darüber besteht, dass die Schweiz […] Steuerausländer, also Personen, die gar nicht im Lande anwesend sind, vielleicht auch niemals anwesend waren, besteuert oder steuerlich behandelt. Und zu der steuerlichen Behandlung gehört natürlich auch die Verweigerung des Informationsaustausches, und zwar so, wie das notwendig wäre, um hier eine umfassende, gesetzmässige und gleichmässige Besteuerung in den Wohnsitzstaaten zu erreichen. Darüber besteht in der Schweiz keinerlei Unrechtsbewusstsein, überhaupt kein Problembewusstsein. Insofern stimme ich ganz mit Ihnen überein: Offenkundig hat die Schweiz – und andere Steueroasen ganz genauso – nur darum Zugeständnisse gemacht, weil der internationale Druck da war, offenbar auch der USA, die es leid war. Die USA sah nicht ein, dass Steuerbürger ihres Landes, die das Land noch nicht einmal irgendwann verlassen haben, nur darum, weil sie Kunde einer Bank waren oder noch sind, die in der Schweiz ihren Wohnsitz hat, dem Schweizer Recht unterstellt sind. […] Darum muss das [gemeint ist die Anerkennung des Wohnsitzprinzips und des Ansässigkeitsprinzips durch die Schweiz] durch Sanktionsmassnahmen der Staaten gestützt werden, meines Erachtens durch die Sanktionsmassnahmen […].

Die Aussage von Thielemann, dass der Schweiz jegliches Unrechtsbewusstsein fehle und dass er, wenn man die Schweiz zu einer Verhaltensänderung bewegen möchte, Sanktionen für notwendig halte, sorgte in der Schweiz in der Folge für grosse Unruhe.

«Dies stösst mir sauer auf», meinte beispielsweise CVP-Nationalrat Thomas Müller. Und auch Ständerat Ivo Bischofberger empfand die Wortwahl Thielemanns als «sehr unglücklich» gewählt.

Auch Ulrich Cavelti, Rechtsberater der Finanzdirektoren-Konferenz und Titularprofessor an der HSG, gab zu bedenken: «Im jetzigen Umfeld muss man sich fragen, ob solche Äusserungen geschickt sind.»

Eine forschere Stellungnahme kam jedoch vom akademischen Direktor unserer Executive School, dem emeritierten Professor Franz Jaeger. Dieser forderte umgehend Thielemanns Absetzung, falls dieser sich nicht von seinen Aussagen distanziere. Unterstützt wurde er dabei vom ehemaligen Economiesuisse-Chef Ueli Forster.

Auch SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli schaltete sich als Kommentator ein. «Die HSG hält sich mit den Wirtschaftsethikern ein paar Hofnarren. Dieses Institut braucht es nicht.» Mörgeli selber hatte zuvor als Titularprofessor der Universität Zürich die Wissenschaftswelt mit Artikeln wie «Das Bild des Arztes in der Karikatur am Fin de siècle» bereichert.

In einem Interview vom 6. April mit dem St. Galler Tagblatt nahm nun unser Rektor Ernst Mohr zum Fall Thielemann Stellung; bevor überhaupt die Protokolle der Sitzung vorlagen. Mohr berichtete, dass er nach dem Vorfall umgehend mit Thielemann telefoniert hätte. Mohr gab unumwunden zu: «Es fällt mir tatsächlich nicht leicht, mich in dieser Situation vor meinen Dozenten zu stellen.» Auf die Frage, ob eine Entlassung von Thielemann zu erwarten sei, antwortete Mohr: «Jeder Angestellte der HSG kann entlassen werden.» Weiter stellte er fest, dass der Lehrstuhl für Wirtschaftsethik in Zukunft «stärker als heute nach innen zu wirken» habe.

In einer Stellungnahme des Rektorats vom 8. April stellte dieses klar, dass Dr. Thielemanns Ansichten nicht die Meinung der Universität wiedergeben. Die Universität verzichtet jedoch auf weitere disziplinarische Massnahmen, welche über diese Distanzierung hinausgehen.

Die Tatsache, dass sich Rektor Mohr nicht hinter seinen Angestellten stellt und sogar seine Entlassung nicht ausschliesst, sorgte für eine Gegenreaktion.

«Die Kritik von HSG-Rektor Ernst Mohr an Ulrich Thielemann ist ungeheuerlich», sagte Alt-FDP-Ständerat und Staatsrechts-Ikone Professor René Rhinow. Die Meinungsfreiheit eines Wissenschaftlers sei «unantastbar».

Auch der Freiburger Rechtsprofessor Thomas Fleiner hielt die Kritik von Mohr für «völlig unangebracht». Als Ethiker habe Dr. Thielemann zum Bankgeheimnis durchaus etwas zu sagen. Der Vorwurf von Mohr, Thielemanns Statement sei nicht wissenschaftlich gewesen, sei «bevormundend». Mohr solle lieber konkrete, inhaltliche Kritik an Thielemanns Aussagen üben.

Auch HSG-Professor Rainer J. Schweizer empfand die Reaktionen auf Thielemanns Äusserung als problematisch: «Es gehört zur Freiheit des Wissenschaftlers, dass er öffentlich Dinge sagen kann, die unbequem sind und nicht zum Mainstream zählen.»

Nach einem indirekten Angriff auf sein Institut für Wirtschaftsethik schaltete sich Professor Peter Ulrich, Thielemanns Vorgesetzter, ein. In einem Interview mit der WOZ sagte er, dass er zunächst darauf gehofft hatte, «dass das Rektorat seine Aufgabe wahrnimmt und alle Betroffenen fair behandelt. […] Das hat das Rektorat nicht getan.» Weiter kritisierte er die Stellungnahme des Rektorats: « […] Es wird mit keiner Silbe die jahrzehntelange, wissenschaftlich seriöse und integre Arbeit des Instituts für Wirtschaftsethik erwähnt. Es sieht aus wie eine Rüge für Thielemann. Sie [die Universität] distanziert sich einseitig von der Wirtschaftsethik, nicht aber von denjenigen, die unsachliche Forderungen in den Raum gestellt haben, also Franz Jaeger und Ueli Forster.»

Auf die Rücktrittsforderungen von Franz Jaeger angesprochen, stellte Ulrich folgende Mutmassung auf: «Herr Jaeger hat im St. Galler Tagblatt offen zugegeben, was die wahren Motive für seine Forderung waren. Er sagte: ‹Man sucht seit langem nach einem handfesten Grund, der gegen Thielemann spricht. Jetzt hat er ihn selber geliefert.› Muss man dazu noch etwas sagen? Ich will ja nicht spekulieren, aber das ist doch brisant. Das tönt nach einer orchestrierten politischen Übung, nach einem Druckversuch vonseiten der Wirtschaft auf die HSG. Das könnte ein Grund gewesen sein, weshalb alles so aufgebauscht wurde.»

So viel zu den wichtigsten Elementen des bisherigen Verlaufs der Affäre Thielemann. Die Statements wurden im Boulevardstil von verschiedenen Zeitungen ausgeschlachtet. Natürlich gab es noch viel mehr Kommentare von verschiedensten Seiten. Wir hoffen aber, euch einen guten Überblick über die wichtigsten Stimmen gegeben zu haben.

Quellen, wo nicht anders vermerkt: St. Galler Tagblatt, Tagesanzeiger


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