Sag mir, wo du studierst und ich sage dir, wo du wohnst

Schon lange kursiert das Gerücht, dass die Universität Adressen ihrer Studenten an verschiedenen Stellen durchsickern lässt. prisma hat es genauer unter die Lupe genommen.

Neues Semester, neues Glück. Insbesondere für die auswärtigen neueinsteigenden Masterstudenten bedeutet dies, was es für den Grossteil der Assessies schon im September mit sich brachte: einen Umzug in die Grossstadt St.Gallen. Zuerst muss die Wohnung eingerichtet werden, man will ja nicht ein halbes Jahr lang auf dem Boden essen. Und bis man sich über eine Farbe für die Tischbeine geeinigt hat, vergeht einige Zeit mit hitzigen Debatten – wie es sich für Entscheidungen derartiger Wichtigkeit gehört. Und huch, Salz, Pfeffer und Internetzugang sind ja kein Grundinventar einer Wohnung! Danach stehen der Aufbau sozialer Kontakte, Schweinerennen an der Olma sowie die alltägliche Konfrontation mit allerlei befremdlichen Essgewohnheiten der St.Galler an der Tagesordnung – in Kombination mit der puren Entzückung über die betörenden Klänge des Ostschweizer Dialekts.

Was sie nicht weiss, macht sie nicht heiss

So vergeht die Zeit wie im Flug und ehe man sich versieht, ist die 14-tägige Anmeldefrist vom Einwohneramt abgelaufen und die Stadt hat noch immer keine Kenntnis davon, dass man sie seit zwei Wochen und hoffentlich für mehr als nur ein Semester mit seiner ständigen Präsenz beehren wird. Aber was sie nicht weiss, macht sie nicht heiss. Woher soll sie denn wissen, dass man hier residiert, wenn man es ihr nicht sagt? Aus irgendeinem Grund besteht ja die Notwendigkeit, seinen Zuzug mitzuteilen.

Kein Grund also, sich noch auf den Weg ins Rathaus zu machen, um sich demütig nachträglich anzumelden und die angedrohte Busse zu bezahlen. Die weniger utopische Realität kommt einige Wochen später in Form eines Briefes oder E-Mails der Stadt in jemandes (virtuellen) Briefkasten geflattert: «Gemäss Studentenliste der Universität St.Gallen sind Sie in unserer Stadt wohnhaft oder wieder neu zugezogen.» Es folgt eine Willkommensbegrüssung und eine höfliche, jedoch bestimmte Aufforderung, sich doch bitte baldigst, nämlich innert acht Tagen, anzumelden. Aber wieso gibt die HSG die Korrespondenzadressen ihrer Studenten an Dritte weiter? Und darf sie das über- haupt?

Abkommen zwischen Stadt und Uni

Sich beim Einwohneramt des neuen Wohnortes anzumelden ist eine gesetzliche Pflicht. Bleibe die Anmeldung aus, ob nun aus Unwissenheit, Bosheit oder Ignoranz, so sei das Einwohneramt dazu befugt, die benötigte Auskunft von den betreffenden Instanzen zu verlangen und diese seien ohne jegliches finanzielles Entgelt zur Leistung der selbigen verpflichtet, erläutert Stephan Wenger vom Einwohneramt der Stadt. So hat sich vor rund zehn Jahren ein Abkommen zur Herausgabe der studentischen Post- anschriften zwischen der damaligen IT-Abteilung der HSG und dem Einwohneramt ergeben, welches bis heute beibehalten worden ist. «Allerdings ist das Einwohneramt äusserst tolerant», sagt Wenger, bei Studienbeginn im September werden die Daten erst Ende Oktober verlangt. Eine Verspätung von bis zu eineinhalb Monaten bleibe zumeist ungebüsst. Inoffiziell wird allerdings auch über diese Frist hinaus des Öfteren einmal ein Auge zugedrückt und stattdessen von der Verwarnungsoption Gebrauch gemacht, sodass den reumütigen Studenten die Strafe von 100 Franken vor, respektive 200 Franken nach Ablauf von drei Monaten erspart bleibt.

Anmelden und Gutscheine kassieren

Die Herausgabe ist mit dem kantonalen Datenschutzgesetz vereinbar, welches die Bekanntgabe von nicht besonders schützenswerten Daten an ein öffentliches Organ als zulässig erklärt, wenn die Empfängerin oder der Empfänger die Personendaten zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe benötigt. Alle Spitzfindigkeit beiseite gelassen: Einen wirklichen Nachteil hat diese Informationsweitergabe durch die HSG für die Studenten schliesslich nicht zur Folge. Die Busse bleibt meistens aus und obendrein bekommt man noch eine Sammlung an Gratis-Eintritten und Gutscheinen – und sogar einen gratis Abfallsack!

Doch wer geniesst neben der Stadt eigentlich noch den Vorteil einer derartigen Adressenherausgabe durch die Uni? «Die Studienadministration gibt prinzipiell Adressdaten im Rahmen der Amtshilfe an andere öffentliche Dienststellen weiter, zum Beispiel an Polizei oder Ausländeramt», erklärt die Leiterin der Studienadministration, Bernadette Einsmann. Sie präzisiert: «Anfragen von Profit- oder Non-Profit-Organisationen werden jeweils an die Studentenschaft weitergeleitet. Die Studentenschaft hat die Herrschaft über die Adressdaten und sie hat hierfür ein eigenes Reglement.»

Adressen als Einnahmequelle

Die SHSG bestätigt: Sie verkauft Adressen ihrer Kommilitonen. Unternehmen können mittels eines Antrags eine gewünschte Menge Adressen für eine einmalige Veranstaltung beziehen – für 1’800 Franken Grundbetrag plus 50 Rappen pro Adresse. Der Kauf ist mit zahlreichen Bedingungen verbunden. Jegliche E-Mail-Adressen sowie Adressen von Assessment-Studenten werden nicht verkauft. Die Transaktion bedingt einen inländischen Firmensitz und ist auf höchstens zwei Käufe pro Unternehmen und Semester limitiert. Ausserdem verpflichtet der Käufer sich «ausdrücklich zur Einhaltung der anwendbaren Gesetze zu Datenschutz und unlauteren Wettbewerb» sowie zum indizierten einmaligen Gebrauch der Daten mit anschliessender sofortiger Vernichtung – ohne vorhergehende Kopie oder Weitergabe.

Hauptinteressenten sind vor allem Consulting-Unternehmen, welche BWL-Studenten an Recruiting-Veranstaltungen einladen. «Das ist ein Service der SHSG gegenüber den Studenten», meint SHSG-Präsident Shin Szedlak. Dass dies gleichzeitig noch ein Nebenverdienst für die Studentenschaft bedeutet, ist praktisch. Pro Semester belaufe sich die Anzahl derartiger Transaktionen auf rund drei bis vier, sei allerdings im Vergleich zu vorhergehenden Jahren stark eingeschränkt worden. Während seiner Amtszeit werde dies äusserst restriktiv gehandhabt, wie auch schon bei der letztjährigen Präsidentin. Auf keinen Fall würden die Adressen an Unternehmen mit blosser Werbeintention herausgegeben. Wer dem misstraut und trotzdem einen Werbeflyer von Denner erwartet, welcher für heruntergesetzten Broccoli wirbt, hat jederzeit die Möglichkeit, seine Adresse auf dem Serviceportal von künftigen Herausgaben auszuschliessen.

Illustration: Eugénie Mathieu


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